Wenn uns die Natur predigt

Osternacht A: systematisch

I
Jetzt halten wir Osternacht. Es ist die Geburtsstunde unseres Glaubens. Ein einziger Kranz von Bildern und Zeichen und Sinngeschichten deutet sie aus. Nur so vermögen wir von jenem unausdenkbar Neuem zu sprechen, das wir unbeholfen Auferweckung nennen. Die meisten der Zeichen und Bilder kommen – eigentlich erstaunlichere Weise – aus der Natur: Die aufgehende Sonne, Wasser, der Funke aus dem Stein geschlagen. Es ist, wie wenn die Dinge der Schöpfung uns Ostern predigen wollten.

II
Manchmal tun das auch sehr unscheinbare Geschöpfe. Eine alte Geschichte weiß von einem guten Menschen, der sah in seinem Garten hässliche Raupen. Er hatte Mitleid mit ihnen, wie sie sich Stunde um Stunde vorwärts plagten, um den Stengel einer Pflanze zu erklettern und ihr Fressen zu suchen – ohne Ahnung von der Sonne, dem Regenbogen in den Wolken, den Liedern der Nachtigall. Und der Mensch dachte: Wenn die Raupen nur wüssten, was einmal mit ihnen sein wird, wie sie aussehen werden als Schmetterlinge – sie würden ganz anders leben. Sie würden erkennen: das Leben besteht nicht nur aus Fressen und der Tod ist nicht das Letzte.

So dachte der gute Mensch, und er wollten den Raupen sagen: Ihr werdet frei sein! Ihr werdet eure Schwerfälligkeit verlieren. Ihr werdet mühelos fliegen und Blüten finden. Und – ihr werdet schön sein. Aber die Raupen hörten nicht. Das Zukünftige – das Schmetterlingshafte – ließ sich in der Raupensprache einfach nicht ausdrücken. Der Mensch versuchte Vergleiche zu finden: Es wird sein wie auf einem Feld voller Möhrenkraut... – sie nickten und mit ihrem Raupenhorizont dachten sie nur an ein endloses Fressen. – Und als der gute Mensch von Neuem anfing: Euer Puppenpanzer ist nicht das Letzte, sie würden verwandelt, über Nacht würden ihnen Flügel wachsen, sie würden leuchten wie Gold, – da sagten sie: Lass uns endlich in Ruh! Du hältst uns nur vom Fressen ab. Und sie lachten ihn aus.

III
So geht es, wollte einer den Raupen etwas von der Schönheit der Schmetterlinge erzählen. Nicht anders erging es vor langer Zeit ein paar Frauen und Männern in Jerusalem. Sie hatten einen gekannt, der ihnen von Gott erzählen konnte – wie keiner vor ihm. Und nicht nur erzählen, sondern er handelte auch so wie Gott: Erdrückende Schuld hat er abgenommen – so einer Ehebrecherin; vom Würgegriff der Habsucht hat er befreit – so den Zachäus an der Zollschranke; und gesund gemacht hat er an Leib und Seele – besonders die, die ihrer selbst nicht mehr mächtig waren. So hat er getan. Dazu wusste er sich von Gott gesandt. Weil Gott will, dass alles Leben heil und frei sei. Aber genau dafür, für sein Reden und Tun, dafür haben sie ihn umgebracht. Weil er ein Störenfried war für die, die den Ton angaben in Sachen Gottes. Das war das Ende aller Hoffnung für jene Frauen und Männer. Geweint haben sie nur noch. Und Angst gehabt.

Aber irgendwann, mitten in ihrem wehmütigen Erinnern und ihren Träumen, da geschieht etwas, was sie selber nicht begreifen. Was sie nie und nimmer erwartet haben. Sie können es sich nicht vorstellen. Und es passt auch nicht zu dem, was sie wissen von ihrem Leben und kennen aus ihrer kleinen Welt. Sie wussten nicht wie und nicht was. Sie spürten nur: Es hat mit ihm zu tun. Mit eben dem, der gekreuzigt worden war. Es ist, als wäre er wieder da. Nein! Es ist nicht nur so. Er ist wirklich da,  weil sie an sich und in ihrem Herzen  genau dasselbe erfuhren – und noch stärker – , was sie in jenen Stunden erlebt hatten, da sie ihm am nahesten gewesen waren. Bezwingend war, was ihnen da widerfuhr. So bezwingend, dass sie – die Verängstigten – den unglaublichen Mut fanden auf die Straße hinauszugehen und den Leuten auf den Kopf zu zusagen: Jesus lebt. Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Ihn, den ihr gekreuzigt habt. Gott hat Jesus – allem, was er tat und sagte – recht gegeben. Gott hat bestätigt, dass er wahr geredet hat vom Himmelreich, vom Menschsein, von der Liebe und von dem, was ein Menschenleben gültig macht.

Die Frauen und Männer, denen das widerfuhr und die es wagten, davon öffentlich zu erzählen, die wussten genau, worauf sie sich da einließen. Denen war klar, wie die meisten Hörer darauf reagieren würden: wie die Raupen auf die Worte des guten Menschen in der Fabel. Denn sie mussten ja reden von etwas, was sie einfach nicht mit anderem vergleichen konnten, weil es bisher noch nicht vorgekommen war. Sie mussten erzählen von etwas, was über den Horizont ging. Und ihre Botschaft konnte auch gar nicht verständlicher sein, wenn sie denn wirklich etwas ungeahnt Neues zu verkünden hatte, nicht nur die Erfüllung der Sehnsüchte und Hoffnungen der Menschenherzen, auch nicht der tiefsten, sondern mehr als diese. Angst und Ohnmacht und Schuld und Nicht-leben-können, also Tot sein, dieses erstickende Netz, das jeden Menschen einschnürt, das konnte nur zerrissen werden von etwas, was nicht selber wieder zu dem gehört, was unser Leben ausmacht. Und unserem Verfügen und feststellenden Begreifen muss es entzogen sein, wenn es wirklich so umstürzend neu sein soll –: Fass mich nicht an, begreif mich nicht, sagt der Auferstandene zu Maria Magdalena. – Welch Wunder, dass die Christen damals genauso wie heute spöttisches Lächeln und manchen mitleidigen Blick ernten, wenn sie davon sprechen, dass Jesus lebt. Wehrlos bleiben sie denen gegenüber, die all das, was sie sind, und das, was sie haben, für das Ganze halten. Wie die Raupen ihr grünes Kraut.

Beweisen also können die Männer und Frauen in Jerusalem das alles nicht, was ihnen widerfuhr. Andernfalls wäre jenes Neue, das mit Ostern anbrach, nicht wirklich neu gewesen. Beweisen können sie es nicht. Aber: sie können es beglaubigen. Beglaubigen nicht von außen, sondern von innen her. Beglaubigen mit ihrem eigenen Leben, mit ihrem veränderten Leben, das jetzt mit der Auferweckung Jesu begann. Und genau das haben sie getan. Sie, die ängstlich Versprengten, die paar Fischer und einfachen Leute mit ein paar wenig soliden Gestalten darunter, sie tun sich zusammen zur Gemeinde Jesu. Ohnmächtige und schwache Menschen waren und sind sie. Wie der Petrus, der Jesus verleugnet hat; und der Thomas, in dem der Zweifel nagt; und die Frauen, die voller Angst vom leeren Grab davongelaufen waren. Sie alle sammeln sich trotz allem unbezwingbar begeistert von Jesus in seinem Namen zu seiner Gemeinde. Durch ihn tragen sie Gott in ihrer Seele – und reden deshalb Gottes Worte wie Propheten; sie teilen ihre Habe und haben so ein mitteilbares Leben; sie begraben ihren Ehrgeiz gegeneinander, schlichten Streit und versöhnen sich – seht, wie sie einander lieben, sagen die Außenstehenden. Sie dienen einander, wie sie es von Jesus gesehen und gelernt hatten. Das alles, all das Unwahrscheinliche wagen sie. Und: – es geht! In der Apostelgeschichte ist all das wortwörtlich festgehalten. Und dass es geht – dass wirklich Leben in seiner Fülle möglich und Liebe – selbstvergessene Liebe – nicht sinnlos ist, das beglaubigt den unglaublich kühnen Ruf der ersten Christen: Jesus ist auferstanden. Gott hat ihn auferweckt. Er ist zugegen in unserer Mitte, sichtbar durch uns – sein ganzes Leben mit allem, was dazugehört.

IV
Wo immer aber Menschen auch heute in den Osterruf jener Frauen und Männer in Jerusalem einstimmen – Christus ist auferstanden –, dort überall bedarf dieser Ruf von neuem der Beglaubigung – wie damals. – Wo Menschen sich – ermutigt durch Jesus – leidenschaftlich für den Frieden einsetzen, im kleinen wie im großen, ohne das Hintertürchen vorher erbrachter Sicherheitsleistungen, da beglaubigen sie, dass der Herr lebt.

- Wo Menschen dafür eintreten, dass in der Berufswelt nicht Profit und Kapital die erste Geige spielen, sondern der einzelne Mensch und sein Recht auf Arbeit; und wo die, die verdienen, sich sorgen um das Schicksal der Arbeitslosen, da beglaubigen sie die Osterbotschaft.

- Wo Menschen eine Bescheidenheit im Verbrauch pflegen, weil sie wissen, dass auch kommende Generationen ein Recht auf die Güter der Erde haben, da beglaubigen sie die Auferstehung Jesu.

- Wo Menschen dem Wahnsinn der Vernichtung von Gottes Geschöpfen entgegentreten, weil sie glauben, dass sie nicht zu Herren, sondern zu Hütern der Schöpfung bestellt sind, da beglaubigen sie das neue Leben.

- Wo eine Gemeinde feinfühlig wird für die stillen Leiden der Einzelnen genauso wie für den zynischen Ellbogengebrauch in Politik und Gesellschaft und überall da Partei eingreift für die, die kurz gehalten werden, da beglaubigt sie die Auferstehung. Hält sie sich heraus aus allem, dann kann sie noch nicht gehört haben, dass Jesus lebt.

- All das ist nicht einfach die Auferstehung. Aber nur das steckt erste Lichter, glaubwürdige Lichter dessen an, was Gott mit uns vorhat und mit der Auferweckung Jesu beginnen ließ.

Christus ist erstanden! Nur deswegen heißen wir so, wie wir heißen. Uns ist die Wahrheit der Auferstehung des Herrn aufs Herz geschrieben und in die Hände gelegt. Und unser aller Leben macht diese Wahrheit zu einer lebendigen, die Menschen ansteckt und in die Herzen trifft. Machen wir uns also auf, unseren Glauben zu beglaubigen. Das Geheimnis dieser Nacht sendet uns dazu aus.