Gottes Siegelstein

Osternacht C: Lk 24, 1-12

I.
Jetzt feiern wir die Geburtsstunde unseres Glaubens. Ein Doppelzeichen ist ihr Sinnbild: Zuerst das Feuer, an dem wir das Licht der Osterkerze entzündet haben, dann das Wasser, das zum Taufbrunnen wird, indem wir die Kerze in es hinabtauchen. Und dann werden wir uns mit diesem Wasser bezeichnen, werden es über die Segensgaben der Schöpfung sprengen, werden es mit nach Hause nehmen, um den Tag am Morgen mit dem Gedenken der Taufe zu beginnen und mit dem Osterzeichen am Abend vor dem Schlaf, des Todes Bruder, zu beschließen – das Tagwerk und einmal das Lebenswerk gleichsam gefasst in einen österlichen Rahmen. Dieses Bekenntniszeichen ist dichter, poetischer auch als viele Worte das wohl zu sein vermöchten. Man muss nur auf seine Innenseite achten.

II.
Der Dichter Christoph Ransmayr erzählt in seinem letzten Buch Der fliegende Berg, wie er eines Tages zusammen mit Begleitern an einer Furt am Yangtsekiang Rast machte, Rast an einem Ufer, schreibt er,

[…] so unberührt und verlassen,
als wären wir die ersten Menschen an ihm gewesen –
und doch waren dann, beim Durchwaten
des glatten, schnell ziehenden Wassers,
über die ganze Breite des Stroms beschriebene,
mit Schriftzeichen behauene Steine
am Grund erkennbar geworden:


Tausende, Hunderttausende Steine, kieselgroße,
faustgroße, manchmal kopfgroße Steine,
im Verlauf von Jahrhunderten von Pilgern,
die zum Dsokhang-Tempel nach Lhasa zogen
oder von dort zurückkehrten,
im seichten Wasser versenkt,

damit der Strom die dem Stein anvertrauten Gebete
ans Meer trage und so jedes Wort bewegt, gebetet
und unter der Sonne wieder zu Wasserdampf werde,
und die Schwaden des Dampfes wieder zur Wolke,
aus der dann Zeichen für Zeichen zurückregne,
zurückschneie oder selbst als Hagel zurückschlage
auf das allein den Göttern gehörende Land.


III.
Etwas ganz Ähnliches ist mit dem Zeichen des Taufwassers der Osternacht gemeint. Die liturgischen Bücher der alten Kirche sprechen gern vom Brunnen oder Quell der Taufe. Sie haben fließendes Wasser vor Augen, das sich verströmt und verteilt. Wir tun das im Sinnbild, wenn wir uns mit dem Wasser bezeichnen oder wenn wir etwas segnen wie die Osterbrote hernach oder in unseren Wohnungen davon etwas aufbewahren für das tägliche Kreuzzeichen. Und so wie die Pilger am Yangtse ihre Stein gewordenen Gebete in die Flut senken, damit diese sie bis ins Meer trage, dass sie von dort zur Wolke werden und wieder auf die ganze Erde herabregnen, so senken wir die Osterkerze als Sinnbild des Auferstandenen in den Taufquell, damit seine Flut das Geheimnis dieser Nacht forttrage in unsere Lebensgevierte, ja in die ganze Welt und sie mit ihm durchwirke.

IV.
Um diesem Ostergeheimnis nahe zu kommen, darf man freilich nicht erst bei den Ostergeschichten anfangen. Man muss bei dem anfangen, was Jesus gesagt und getan hat. Beides war etwas ganz Einfaches: Er hat gesagt: Gott ist dem Menschen zugetan, ohne wenn und aber. Nicht einmal den, der sich von ihm abwendet, lässt er fallen. Und genauso hat Jesus gehandelt: Den Armen hat er gesagt, dass ihnen Gott besonders nahe ist, Kranke hat er geheilt, Sündern ist er regelrecht nachgelaufen. So hat er in gelebtes Leben übersetzt, was er verkündete. Oder anders gesagt: So ist Jesu Leben zu einem Gleichnis dafür geworden, wie Gott selber ist.
Dieses Gottesbild, das er war, hat Anstoß erregt. Es war zu wenig so, wie Menschen meist meinen, dass Gott sein müsse: so erhaben, richtend, rächend manchmal gar. Dem hat Jesus mit dem, was er sagte, was er tat und wie er war, einen Gott entgegen gehalten, dessen größte Größe darin besteht, dass er sich klein macht, um dem Kleinsten noch gerecht zu werden; einen Gott, der es vermag, seine Gerechtigkeit immer wieder nochmals von seiner Barmherzigkeit so besiegen zu lassen, dass das Unrecht, das einer tat, dem Täter selbst derart zur brennenden Pein wird, dass er von sich aus Gott bittet, ihm Richter zu sein und sich dann in seine Hände fallen lässt.
Jesus spürte je länger, je mehr, dass er mit diesem Bild von Gott Anstoß erregte. Es war vielen zu gottlos sozusagen. Ein Gott auf Augenhöhe, was dann umgekehrt, wenn Gott dabei Gott war und blieb, ja auch hieß: vom Menschen so groß zu denken, wie es nie zuvor geschehen war. Jesus sah wegen dieser seiner Botschaft von Gott und dem Menschen die Passion auf sich zukommen. Trotzdem ist er nicht geflohen, weil er überzeugt war: Wenn Gott so ist, wie ich geglaubt, gepredigt und bezeugt habe, dann werden auch Gewalt und Tod diesem Gott keine Grenze setzen. Ja mehr noch: Dann würde sogar sein Sterben noch auf eine menschlich nicht ausdenkbare, aber atemberaubend stimmige Weise davon erzählen, wer dieser Gott ist: der Geschundene, Gekreuzigte als die Ikone von Gottes Innersten.

VI.
So ist Jesus seinem Ende entgegen gegangen in das Dunkel der Angst der Gründonnerstagnacht, die öffentliche Erniedrigung, die menschliche Gottesfinsternis des Karfreitags hinein. Seine Freunde waren entsetzt, rannten alle davon, weil es nicht zum Aushalten war und – ja, das auch – weil sie um sich selber Angst hatten. Aber seltsamerweise kommen sie bald nach diesem fürchterlichen Freitag wieder zusammen, zeigen sich sogar öffentlich und fangen an davon zu reden, dass der Gekreuzigte lebe. Warum tun sie das? Weil ihnen auf durch und durch bestürzende Weise aufging, dass den, der so ganz für Gott lebte wie er und selbst im Sterben nicht ließ von diesem Gott – dass den der Tod gar nicht vernichten konnte. Denn er hatte so gelebt, dass er, wenn Gott so ist, wie er bezeugte, in diesen Gott untrennbar und ganz hineingehört und eben darum – wie Gott selbst – mitten aus der Wirklichkeit der Welt heraus begegnen kann. Gerade so, wie Gott Menschen – ohne dass sie wissen müssen, dass er es ist – manchmal dadurch begegnet, dass ihnen völlig überraschend ein an sich unscheinbares Ereignis ihres Lebens für einen Augenblick zum Inbild für ihr letztes Woher und Wohin wird.
Nicht nur die Bibel, die heiligen Bücher aller Religionen und auch noch die Werke der Dichter, Maler und anderen Künstler sind voll von solchen Spuren der Begegnung mit Gott. Doch mit Ostern kommt etwas ganz Einzigartiges hinzu: dass inmitten solcher Gottesbegegnung Jesus von Nazaret, dieser untrennbar zu Gott Gehörige, selbst begegnen kann auf eben diese Weise, über die Menschen nicht verfügen können, die ihnen aber gleichzeitig unbezweifelbare Gewissheit schenkt. Die Ostergeschichten, die wir angefangen vom Evangelium dieser Nacht bis zum Pfingsttag hin hören werden, bezeugen dies eine um die andere.

VI.
Von so etwas dann zu sprechen ist gar nicht so einfach. Es geht nur mit Wörtern, die man schon kennt. Sie passen freilich nur halb, sind auch missverständlich – und lassen trotzdem etwas ahnen von der Wirklichkeit, auf die sie zielen. In diesem Sinn haben die ersten Christen bald nach dem Karfreitag gesagt, Jesus sei zu Gott erhöht, sei verklärt, verherrlicht – und eben auch: er sei auferweckt worden. Das war ein Wort aus ihrem jüdischen Glauben. Es drückte ursprünglich vor allem die Hoffnung aus, dass Gott am Ende von Zeit und Geschichte die Toten zu neuem, nicht mehr irdischem, sondern mit Gott selbst verbundenem Leben erwecken werde. Jetzt wollten sie damit sagen: Was wir für alle am Ende erhoffen, ist mit Jesus jetzt auf einzigartige Weise schon geschehen. Und dann haben sie in Geschichten ausgefaltet, was das bedeutet.

VII.
Wir heute hoffen, sei es ausdrücklich, sei es verborgen, genauso wie alle Menschen seit es Menschen gibt, dass mit dem Sterben nicht alles vergeblich wird, was wir getan, gelassen und gelitten haben. Wir hoffen das für uns und für alles, was uns heilig ist, wie man nicht zufällig sagt. Mit Ostern freilich ist diese Hoffnung anders geworden: aufregender und gelassener zugleich nämlich. Aufregender, weil von unserer irdischen Gestalt nichts bleiben wird. Auch von Jesu Leben blieb nichts, wie es war – das steht im Evangelium von vorhin: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?, wird den Frauen am Grab gesagt. Und gelassener deswegen, weil an Jesus auf einzigartige Weise sichtbar geworden ist, dass alles im Leben, was durchsichtig ist auf Gott hin und auf ihn geöffnet, je schon – also heute bereits – einen Hauch von Ewigkeit unverlierbar in sich trägt, den auch der irdische Tod nicht zu löschen vermag. Und von ihm her wird es, da es ihm entspricht, also gültig und wertvoll ist, für immer eingehen in den Gang der Dinge, die lange nach mir kommen.
An den Gebetssteinen im Yangtsekiang wird für einen Moment etwas auf irdische Weise sichtbar vom unsichtbaren Stromkreis des Ewigen, in den alles Irdische eingeborgen ist. So ähnlich ist es mit dem Auferstandenen. Was an ihm unauslöschlich sichtbar wird, trägt das Wasser des Taufbrunnens in unser Leben und über die ganze Erde hin, um alles zu bezeichnen mit Gottes Siegel. Und auf dem Siegel steht: Nie wirst Du verloren sein. Und unsere Antwort darauf: Gott sei Dank! Auf hebräisch: Hallelu-IAH!