Was nach Weihnachten kommt

Taufe Jesu C: Apg 10,34-38

I.
Zwei Wochen lang haben wir jetzt Weihnachten gefeiert. Am Anfang die Heilige Nacht, dann den Weihnachtstag; den achten Tag da-nach, der der Gottesmutter Maria gewidmet ist und mit dem Beginn des neuen Jahres zusammenfällt; dann sechs Tage später das Fest der Erscheinung des Herrn. Und heute schließt sich der Kreis mit dem Fest der Taufe Jesu. Weihnachten war. Und was kommt jetzt? Was bleibt?

II.
In Irland singt man bis heute ein altes Weihnachtslied, das darauf Antwort gibt. Es heißt:
Wenn der Gesang der Engel verstummt ist,
Wenn der Stern am Himmel untergegangen,
Wenn die Könige und Fürsten heimgekehrt,
Die Hirten mit ihrer Herde fortgezogen sind,
Dann erst beginnt das Werk von Weihnachten:
Die Verlorenen finden,
Die Zerbrochenen heilen,
Den Hungernden zu essen geben,
Die Gefangenen freilassen,
Die Völker aufrichten,
Den Menschen Frieden bringen,
In den Herzen musizieren.

III.
Besser kann man wohl nicht sagen, was nach Weihnachten kommt und was darum von Weihnachten bleibt. Und besser kann nicht zum Ausdruck kommen, dass Christen an Weihnachten nicht ein biss-chen Romantik inszenieren, sondern dass sie Weihnachten als eine Aufgabe für das ganze Jahr begreifen. Denn Weihnachten hat durch und durch mit dem gelebten und erlittenen Leben von Menschen zu tun. Woher kommt das?

IV.
Man braucht nur zu hören, was Petrus in der Predigt sagt, die wir vorhin aus der Apostelgeschichte gelesen haben. Da fasst der A-postel den Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu zusammen: Bei der Taufe am Jordan, sagt Petrus, hat Gott Jesus von Nazaret ge-salbt, mit dem Heiligen Geist und mit Kraft; dann zog Jesus umher; er tat Gutes und heilte alle, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm.
Dass Jesus geboren wurde, hatte von Anfang in Gott seinen Grund und von Gott her ein ganz genaues Ziel, will Petrus damit sagen. Dieses Ziel war eine Aufgabe. Gott selbst hat Jesus für diese Auf-gabe ausgerüstet – das meint dieses „mit Geist und Kraft gesalbt“. Und diese Aufgabe bestand darin, Gutes zu tun und alle zu heilen, die in der Gewalt des Teufels waren, die also – in Worten von heute gesagt – ihrer selbst nicht mehr mächtig waren, umgetrieben wur-den von Zwängen oder Süchten, die ihr Leben Stück um Stück zer-störten. Ihnen Gutes tun und Menschen wieder zu sich selbst kom-men zu lassen – dazu wusste sich Jesus von Gott gesandt.
Noch etwas ganz Eigenartiges kommt hinzu: Diese Sendung nimmt ihren Anfang im hintersten Winkel einer Provinz des römischen Weltreiches, in Galiläa. Und der Gesandte selbst, Jesus, muss sich selbst ganz und gar menschlich zunächst herantasten an die Frage, wie weit diese Sendung reicht. In der Begegnung mit Menschen, die seiner bedürfen, aber gar nicht zu seinem Volk gehören, lernt er buchstäblich, dass er auch zu den Fremden, nein gerade und zuerst zu ihnen gesandt ist, über die Grenzen seiner Volks- und Glaubens-gemeinschaft hinaus. Die Geschichte von der Syrophönizierin, die hartnäckig um die Heilung ihres Töchterchens bittet, etwa erzählt davon und auch die Begegnung mit der Samariterin am Brunnen. Das aber sind keine Sonderfälle. Dieser Zug wird für Jesus und sein weiteres Leben derart prägend, dass er etwas später, in der dichte-rischen Nacherzählung seines Lebensanfangs im Matthäusevange-lium gleichsam bis in seine Geburtsgeschichte zurück gespiegelt wird. So entsteht die Szene von der Anbetung der Weisen, die aus der fremden Ferne kommen und im Bethlehemer Kind den Leitstern eines gesegneten Lebens erkennen.
In der Sicht der Evangelisten hat diese Sendung aber auch auf Sei-ten ihrer Adressaten so etwas wie ein Gegenstück, eine Entspre-chung: Die da aus der Ferne kommen, die Fremden mit ihren ande-ren Lebensweisen, anderen Sitten, ihrem anderen Glauben, Leute also, die man ansonsten Heiden nennt: die werden nicht als unwis-send und in der Lüge befangen hingestellt, sondern der Wahrheit fähig erachtet. Obwohl fremd und anders, finden sie Zugang zu dem, was Jesus bedeutet. Sie fallen nieder, huldigen ihm und be-schenken das Kind, heißt es.
Ihre eigentliche Spitze bekommt die Geschichte aber erst dadurch, dass die Weisen aus dem Osten in schärfstem Kontrast zu Herodes und seinen geistlichen Beraten gezeichnet werden. Sie, die Frem-den, die unvertraut sind mit der Geschichte des Volkes Israel und mit seiner Hoffnung auf das Kommen eines Retters, – sie machen sich auf den langen Weg, geführt einzig von einem Stern, also einer leisen, geheimnisvollen Ahnung, um diesen Retter zu suchen. Und sie finden ihn. Die jedoch, die sich in nächster Nähe zum Gesche-hen befinden, Herodes, der Repräsentant Israels, und die Fachleute fürs Religiöse, haben keinen blassen Schimmer. Das ist eine dop-pelte Kritik: Eine am Bescheidwissen über Gott und seine Pläne. Und genauso Kritik an jedem Versuch, Menschen, weil sie anderer Hautfarbe, Rasse und Herkunft sind oder eine andere Sprache sprechen, auszugrenzen. Für sie, die Fremden, ist Gott genauso Mensch geworden wie für die, die aufgrund ihrer Nähe zu den heili-gen Dingen zu wissen meinen, wie alles sein wird. Das alles hat Matthäus gleich in den Anfang seiner Geschichte vom Leben Jesu hineingeschrieben. Anders gesagt: Was Gott durch Jesus kundtut, gilt von vornherein allen und für alle. Seine Sendung und ihre Fort-setzung in der Predigt der Kirche ist katholisch im ursprünglichen Sinn des Wortes: alle umfassend, niemanden ausschließend. Alle sind gemeint.

V.
Ein paar Jahre nach Matthäus hat ein anderer Autor des Neuen Testaments, der Autor des Epheserbriefes, dieses Gemeint-Sein aller als das Geheimnis Christi bezeichnet. Es besteht darin, so wörtlich, dass die Heiden Miterben sind und Mit-Leib und Mitteilha-ber an dem, was Gott durch Christus zusagt. In Gottes Urabsicht, dass Menschen ein Leben führen, das ihrer würdig ist, und dass es gut ausgeht mit ihnen, – in diesen Plan sind die Heiden, also die, die aus der Innenperspektive auch der frühen Gemeinde als Fremde erscheinen, grundsätzlich und von vornherein einbezogen. Dass Gott Mensch geworden ist, bedeutet eben auch dies: Es gibt keine Fremden und es gibt keine Ausgeschlossenen – egalite, fraternite, wird das später im Durchbruch der europäischen Moderne heißen. Nirgends anders als in der Weihnachtsgeschichte haben diese Idea-le ihre tiefsten Wurzeln. Wer Christ ist, ist kraft dessen, dass sie o-der er Christ ist, mit allen verschwistert, egal ob die jetzt schon Christ sind oder noch nicht oder ob überhaupt einmal. Denn das ist nicht die Frage. Aber Tatsache ist: Gottes Liebe hat sie, die für mich anderen, schon von Anfang an mitgemeint.

VI.
Weil Jesus dies verkörperte, haben Menschen, die das dann an sich selbst erfuhren, später vom Anfang des Lebens Jesu so erzählt, dass in diesem Anfang schon aufstrahlte, was er später gewirkt hat. So entstanden die Weihnachtsgeschichten. Darum aber konnten sie umgekehrt auch sagen: Jesu Geburt, also Weihnachten geschah um dessentwillen, was er dann tat. Weihnachten hat seinen eigentli-chen Sinn darin, dass uns durch Jesus Gutes geschieht und wir uns wieder selbst geschenkt werden, wenn wir uns verloren haben quer über alle Unterschiede hinweg, die es zwischen Menschen geben mag. In dieser alle einschließenden Vermenschlichung ist das Ge-heimnis der Weihnacht gleichsam auf Dauer gestellt und in die Sprache des Werktags übersetzt.

VII.
Das alte irische Lied von vorhin ist im Grunde ein Echo dessen, was die ersten Christen über Jesus gedacht und Apostel wie Petrus über ihn gepredigt haben: Verlorene finden, Zerbrochene heilen, Hun-gernden zu essen geben, Gefangene freilassen, Völker aufrichten, in den Herzen musizieren. Wer als Christ Weihnachten ernstnimmt, der kann gar nicht anders, als sich um all das zu mühen. Weihnach-ten bleibt ja nur wahr, wenn es darin weitergeht, dass Menschen – von Jesus beseelt wie er von Gott beseelt war – seinen Dienst am Leben fortsetzen.
Weihnachten hat offenbar gemacht: Menschsein hat auf engstmögliche Weise mit Gott selbst zu tun und umgekehrt. Das gibt menschlichem Leben eine unvergleichliche Würde, jedem Einzel-nen. Es ist völlig gleichgültig, ob eines dieser Wesen groß oder klein, gescheit oder dumm, kunstfertig oder behindert, erfolgreich oder erfolglos, unschuldig oder schuldig ist. Seine Würde ist davon unabhängig und unantastbar. Das war zur Zeit der frühen Kirche nicht selbstverständlich und ist es heute nicht mehr. Darum auch verlangt christlicher Glaube gebieterisch, diese Würde zu verteidi-gen, wo sie bestritten wird, und sie wiederherzustellen, wo sie nie-dergehalten ist – ohne Ansehen der Person und der Umstände.
So hat Jesus selbst es gehalten. Die, die sich auf ihn berufen, wer-den ihm darin nachfolgen. Auch für sie wird Weihnachten darum ein Anfang sein. Das Fest ist mit heute aus. Das, was wir gefeiert ha-ben, bleibt uns das ganze Jahr über aufgegeben.