König werden

Erscheinung A: Mt 2,1-12

I.
Weihnachten gleicht einem Bergmassiv mit zwei Gipfeln: Der Heiligen Nacht und dem heutigen Fest der Erscheinung des Herrn, dem Dreikönigstag. Beiden untergeordnet begehen wir die anderen Feiertage, an denen wir das Weihnachtsgeheimnis gleichsam weitermeditieren: Das Fest der Heiligen Familie, den Tag der Unschuldigen Kinder, das Hochfest der Gottesmutter an Neujahr, an dem das Krippenkind auch seinen Namen Jesus empfängt, schließlich kommenden Sonntag das Fest der Taufe des Herrn, mit dem die Weihnachtszeit endet.

II.
Es gab Zeiten, da war den Christen der heutige Dreikönigstag wichtiger als der Heilige Abend. In Italien z.B. ist das zum Teil heute noch so. An Befana, so der alte Name des Tages, der von „Epiphanie“ kommt, werden die Kinder beschenkt und versammelt sich die Familie zum Festmahl. Bei uns erinnert daran, dass dieser Tag immer noch mit einer ganzen Fülle von Bräuchen verbunden ist: Das Dreikönigswasser wird gesegnet; in den Wohnungen wird Weihrauch entzündet, gläubige Menschen schreiben über ihre Türen sichtbar nach außen 20 C+M+B 08; CMB heißt: Christus mansionem benedicat – Christus segne das Haus in diesem neuen Jahr 2008. Und vielerorts gibt es die Sternsinger. Mädchen und Buben aus den Pfarrgemeinden ziehen als die Heiligen Drei Könige von Haus zu Haus, verkünden in Liedern das heutige Evangelium, schreiben den Segen über die Türen und bitten um eine Gabe für alle Kinder der Welt, denen auch ein Stück von dem Not tut, was uns schon geschenkt ist. Aber gerade dieser Brauch – und eigentlich auch schon der übliche Name dieses Festtags – Dreikönig – müsste uns eigentlich stutzig machen. Denn: Im Evangelium steht kein Sterbenswort davon, dass „Könige“ zur Krippe gekommen seien. Von Sterndeutern ist dort vielmehr die Rede, von Magiern aus dem Osten. Von Leuten also, die aus der Fremde kommen, die nach den letzten Geheimnissen der Welt und des Lebens suchen. Wie aber und warum werden die in der Überlieferung auf einmal zu Königen?

III.
Bert Brecht, Erzkommunist und absolut unverdächtig, mit frommen Sachen irgendetwas am Hut zu haben, hat einmal ein paar Zeilen über Maria geschrieben und darin das Rätsel der Drei Könige ziemlich gut aufgeschlossen:

Die Nacht ihrer ersten Geburt war
Kalt gewesen. In späteren Jahren aber
Vergaß sie gänzlich
Den Frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen
Und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu.
Aber vor allem vergaß sie die bittere Scham
Nicht allein zu sein
Die dem Armen eigen ist.
Hauptsächlich deshalb
Ward es in späteren Jahren zum Fest, bei dem
Alles dabei war.
Das rohe Geschwätz der Hirten verstummte.
Später wurden aus ihnen Könige in der Geschichte.
Der Wind, der sehr kalt war
Wurde zum Engelsgesang.
Ja, von dem Loch im Dach, das den Frost einließ, blieb nur
Der Stern, der hineinsah.
Alles dies
Kam vom Gesicht ihres Sohnes, der leicht war
Gesang liebte
Arme zu sich lud
Und die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben
und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit.

IV.
Schöner – und genauer – kann man Dreikönig und eigentlich die ganze Weihnachtsgeschichte gar nicht mehr erklären: Die Armseligkeit der Geburt Jesu wird zum Fest, da Menschen sich beschenken, der eisige Wind zum Engelsgesang, der klirrende Frost zum geheimnisvollen Stern, grobschlächtige Hirten verwandeln sich in Könige. Und das alles durch Marias Sohn – durch das, was und wie Jesus ist, sagt Brecht. Wie er war in seinem Leben, will der Dichter sagen, dadurch hat sein armseliger Anfang Glanz, ein Strahlen von innen bekommen. Licht vom Himmel, ein Stern, stand über seinem Leben gerade dann, wenn es dunkel war – zur Nachtzeit: Von Gott hat er sich führen lassen. Und frei, souverän war er, niemandem verpflichtet als Gott allein – daher seine Gewohnheit, unter Königen, also wie ein König zu leben.

V.
Wie Jesus war, das hat die, die ihn suchten, selber zu Königen gemacht, zu Freien, Souveränen – mögen sie nun Sterndeuter gewesen sein oder bloß Hirten, wie Brecht meint. Das ist eigentlich zweitrangig. Denn es ist ja von jeder und jedem und für alle Zeit gesagt: Wer in den Umkreis, in Jesu Nähe tritt, wer sich führen lässt von dem, was er von Wesen war, entdeckt, dass er selbst von Wesen wie ein König ist. Und was war dieses Wesentliche an ihm? Vielleicht kann man es knapp auf ein einziges Wort bringen: ein durch nichts und niemand zu beirrendes Gottvertrauen. Ein Sich-geborgen-Wissen in jenem letzten Grund, der ihn trägt, den er so nah empfindet, dass er ihn Abba, lieber Vater nennt; der ihn so beglückt, dass er alles andere dafür drangeben mag – das Gleichnis vom Kaufmann, der eine wunderbare Perle in einem Acker findet, hingeht, alles verkauft und jenen Acker erwirbt, deutet das an. Die Sorglosigkeit der Vögel des Himmels und der Lilien am Feldrand lässt ihn jenes Geborgensein besingen. Und nicht einmal dann lässt er davon ab, als sie ihm wegen seines Redens davon das Letzte nehmen, ihn sich selbst. Weil er überzeugt ist, dass es nichts gibt, was jenseits dieses bergenden Grundes geschähe, auch das Sterben nicht. Nicht zufällig taucht das Königsmotiv, das Matthäus in Jesu Kindheitsgeschichte intoniert, bei allen vier Evangelisten in der Passionsgeschichte kurz vor der Hinrichtung Jesu auf – gebrochen durch die Persiflage des Spottkönigs, zu den die römischen Soldaten Jesus machen – aber eben darum umso tiefgründiger und unverwechselbarer mit allem menschlichen Machtgebaren, das sonst am Königstitel haftet. Das alles ist auch gar nicht erstaunlich: Vertraut sich der Mensch Gott an, wie Jesus es tat, hat nichts in der Welt mehr die Macht, über ihn zu verfügen, nicht einmal das Nichts.

VI.
Die Evangelien sind allesamt eigentlich nur nach vorne verlängerte Passionsgeschichten. Sie lesen von hinten, vom Ausgang des Ganzen her, bereits in den Anfang ein, was es um diesen Jesus im Tiefsten ist. Darum hatte Matthäus Recht, als er schrieb, dass das Kind in der Krippe in Wahrheit ein Königskind sei. Und darum hatten die Frommen Recht, die dieses Geheimnis weitergedacht haben und sagten, dass die fremden Wahrheitssucher, die das Kind ehren wollten, auch Könige gewesen seien.
Eine spätere Legende nimmt diesen Faden nochmals auf und spinnt ihn sozusagen fort bis in die Gegenwart: Als die Weisen, so heißt es da, Bethlehem verließen, blickten sie von einer Anhöhe her nochmals auf die Stadt zurück. Da sahen sie: Der Stern, der sie zur Krippe geführt hatte, zersprang in tausend und abertausend kleine Sterne, die wie auf die Erde niedersanken. Die Weisen wussten nicht, was das zu bedeuten hatte. Nach einer Weile kamen sie an eine Wegkreuzung. Da sie nicht wussten, wohin, fragten sie einen Fremden, der gab ihnen hilfreiche Auskunft. Als er weiterging, sahen sie über ihm etwas wie einen kleinen Funken. Und als sie abends müde in einer Herberge unterkamen und ihnen der Herbergswirt freundlich ein Abendmahl brachte, sahen sie über ihm wieder ein solches kleines Leuchten. Und da verstanden sie: Lauter Sternträger. Wo Freundlichkeit und Güte waren, leuchtete etwas wider von dem Himmelslicht, das sie zum Königskind geführt hatte. Das Bild des Kindes in der Seele, schauen sie sein Geheimnis mitten in der Welt und an ihresgleichen. Freie, Werktagskönige gleichsam sehen sie da, denn nur, wer frei ist, kann gütig und den anderen zugetan sein, weil er oder sie nicht mehr Angst hat, im Eigenen zu kurz zu kommen.

VII.
Vielleicht darf man im Geist solch andächtigen Erzählens auch eine symbolische Brücke von dieser kleinen Legende zu einem Element in der Liturgie der Taufe und der Firmung schlagen. Bei diesem Doppelsakrament der Aufnahme in die Gemeinschaft der Glaubenden wird uns auf die Stirn mit Chrisam ein Kreuz gezeichnet, das man unschwer zugleich als die Urform eines kleinen Sterns sehen kann. Schon im Alten Testament drückte die Salbung mit Chrisam die Würde des neu gekrönten Königs aus. Wer getauft ist, fängt an, ein Königskind zu sein. Über seinem oder ihrem Leben steht der Leitstern der Dreikönigswürde, der Stern der Freiheit, die Gott denen zumisst, die sich an ihn binden. Aber auch das Umgekehrte gilt dann: Wo immer uns ein Mensch begegnet, der aus der Schwerkraft einer gelassenen Freiheit handelt, ist es jemand, der dem Stern von Bethlehem nicht fern ist – und sei er von außen gesehen auch ein Fremder wie damals die Weisen aus dem Osten.
Es wird gut sein, wenn wir ein wenig Aufmerksamkeit einüben für dieses Zeichen über dem Leben anderer. Und wenn wir uns selber immer wieder dieser unserer Würde erinnern. Der heutige Dreikönigstag tut das Jahr um Jahr.