Fascinosum "Wort"

Vesper beim Symposion "Dogma und Denkform" anlässlich der Emeritierung von Prof. Dr. Thomas Pröpper – 9./10.01.2004 im Franz Hitze-Haus, Münster: Joh 1,1-18 pass.

I.

Mit gewisser Regelmäßigkeit kehrt in der Theologie die Debatte um die Hellenisierung des Christentums wieder. Das Erstaunlichste daran ist, wie einäugig sie oft geführt wird. Als ob es nicht sozusagen gegenwendig zum Einfluß griechischen Denkens auf die jüdisch-christlichen Traditionen auch ein ganzes Bündel biblischer Motive gäbe, die sich dem Gang des abendländischen Philosophierens so tief eingeschrieben haben, dass es ohne sie so manchen seiner Wege nicht gegangen wäre.

II.

Mehr als für alles andere gilt das von dem, was wir dieser Tage feiern. Ich denke, man übertreibt nicht, wenn man die Botschaft von der Menschwerdung als einen heimlichen Glutkern lebendigen Philosophierens bis heute bezeichnet. Nicht nur, aber bevorzugt geschah das durch die Weise, wie der Johannesprolog und die Johannesbriefe das Mysterium der Inkarnation im Gewand der Mystik des inkarnierten Logos intonieren: Gottes Selbstaussprache, von Urbeginn in ihm als dem sich mitteilen Wollenden vollzogen, sein Innerstes zur Sprache bringend, darum untrennbar ihm zugehörend und doch unterscheidbar von ihm, weil sich in diesem verbum internum das Heraustreten des Unbegreiflichen in den Horizont der endlichen Vernunft vorbereitet. Und dann sein Kommen ins Fleisch, damit durch das Schauen der Augen das verwundete Herz geheilt werde, mit dem allein das Wort geschaut werden kann - so Augustinus in seiner Auslegung zum Ersten Johannesbrief. Andere nach ihm standen ihm in ihrem meditierenden und reflektierenden Ringen um das ewige Wort, in dem alles Endliche beschlossen sein muss, wenn denn Gott wirklich der Unendliche sein soll, in nichts nach: ein Anselm von Canterbury im "Monologion", der Aquinate mit seinem Prolog zum Johannes-Kommentar. Und auch so mancher Moderne steht - nach wie vor wenig bekannt in der Theologie - in der Reihe dieser Philosophien der Inkarnation. Einen nur nenne ich, einen zumal, mit dem sich auch Thomas Pröpper intensiv beschäftigt: Bereits 1797 hatte Friedrich Heinrich Jacobi nach dem Zeugnis Dritter halb ernst, halb im Spaß gemeint, die Prinzipien von Fichtes Wissenschaftslehre würden sich in Wahrheit am Anfang des Johannesevangeliums finden. Vermutlich hat Jacobi von seiner ihm eigenen Warte aus nie ganz begriffen, wie recht er damit hatte. In der "Anweisung zum seligen Leben" macht Fichte das selbst ausdrücklich: Seine Überlegungen kulminieren in einer Auslegung des Johannes-Prologs, in dem sich für ihn das authentisch Christliche auf unüberbietbare Weise verdichtet. Fichte schreibt:

"Was im Evangelium Johannis zu allererst unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss, ist der dogmatische Eingang desselben in der Hälfte des ersten Capitels; gleichsam die Vorrede. Halten Sie diese Vorrede ja nicht für ein eigenes und willkürliches Philosophem des Verfassers; gleichsam für eine räsonnirende Verbrämung seiner Geschichtserzählung, von der man, rein an die Thatsachen sich haltend, der eigenen Absicht des Verfassers nach denken könne, wie man wolle... Es ist vielmehr derselbe in Beziehung auf das ganze Evangelium zu denken, und nur im Zusammenhange mit demselben zu begreifen. Der Verfasser führt, durch das ganze Evangelium durch, Jesum ein, als auf eine gewisse Weise, die wir unten angeben werden, von sich redend; und es ist ohne Zweifel Johannes‘ Ueberzeugung, dass Jesus gerade also, und nicht anders gesprochen habe, und dass er ihn also reden – gehört habe: und sein ernster Wille, dass wir ihm dies glauben sollen. ... Die Vorrede ist anzusehen, als der Auszug und der allgemeine Standpunct aller Reden Jesu: sie hat darum, der Absicht des Verfassers nach, die gleiche Autorität, wie Jesu unmittelbare Reden. Auch die Vorrede ist, nach Johannes Ansicht, nicht des Johannes, sondern Jesu Lehre; und zwar der Geist und die innigste Wurzel von Jesu ganzer Lehre." (Fichte, Johann G.: Die Anweisung zum seligen Leben. WWV. 478-479.)

λογος Und es versteht sich von selbst, wo Fichtes nachfolgende Auslegung des Prologs ansetzt: bei dessen fünften Wort "lógos" natürlich: Dessen ursprungloses In-Gott-Sein, ja Gott-Sein, das packt ihn, denn das heißt ja: Gottes Dasein ist unmittelbar Bewusstsein seiner selbst; Gottes Leben ist sein Sich-Wissen, und in ihm sind Welt und Dinge als gewusste und begriffene, und diese Selbstaussprache Gottes macht ihre Existenz aus: "Alles ist durch ihn – den Logos – geworden, und ohne ihn ist nichts, das geworden ist. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen"– alle Wirklichkeit und alles Wissen entspringen der Selbstgegenwart Gottes.

III.

Eigenartig im übrigen, dass das Herausfordernde am Weihnachtsgeheimnis die schärfsten Kritiker des Christentums meist genauer gesehen haben als viele Gläubige. Das war schon bei Kelsos, dem Gegenspieler des Origenes so, erst recht natürlich bei Nietzsche, und es reicht bis in unsere Tage: Der vor einigen Jahren gestorbene Emile Cioran schrieb in seinem Werk "Die verfehlte Schöpfung": Die Menschwerdung ist die gefährlichste Schmeichelei, die uns zuteil wurde. Sie hat uns ein maßloses Statut verliehen, das in keinem Verhältnis zu dem steht, was wir sind. – Genau so ist es: Nicht, was wir haben, können, tun, macht unseren Wert und unser Wesen aus, sondern dass wir das sind, was der selbst werden wollte, der uns gewollt hat. Der Mensch als der atemberaubendste Gedanke Gottes und ineins darum das Wort seiner Selbstmitteilung.

IV.

Einer unserer philosophischen Kollegen, der ansonsten in theologicis eher zurückhaltend ist, Dieter Henrich, meinte vor Jahren anlässlich seiner Ehrenpromotion durch unsere Fakultät: Das Christentum habe einst das Römische Reich und seine Bildungswelt gewinnen können, weil es – anders als andere und mächtigere – Stimmen damals etwas in das Lebenszentrum des Menschen Gesprochenes zu sagen vermochte. Unsere Zeitgenossen – meinte er – bedürften erneut solchen Getroffenwerdens in ihrer Mitte. Und die Philosophie hätte dies mit der Theologie gemeinsam, nicht davon ablassen zu können, um eine solche Sprache und um die Gründe, von denen her sie sich ausbilden kann, besorgt und bemüht zu sein.

Vielleicht kommen sich die beiden Disziplinen, denen unser Bemühen gilt, gerade im Zeichen dessen, was wir derzeit als Christinnen und Christen feiern, in diesem Sinn besonders nahe. Die Fragen, die uns heute und morgen beschäftigen, um einen zu ehren, der sich ganz in ihren Dienst hat nehmen lassen, - diese Fragen sind einem solchen fides quaerens intellectum auf den Leib geschrieben.