Christlicher Anti-Typ

Pfingstsonntag C: Apg 2, 1-11

I.

Fünfzig Tage lang haben wir jetzt Ostern gehalten. Etwas so lange feiern, das muss seinen besonderen Grund haben. Diesen besonderen Grund gibt es auch. Denn Ostern heißt: Gott steht so verlässlich, so bedingungslos zu mir, dass mir schlechthin nichts zum Verhängnis werden kann, zum Abgrund, der mich in einem Nichts verschlänge und so zu nichts machte. Denn durch das Kreuz und den Ostermorgen zusammen ist offenbar geworden: nichts gibt es, was Macht dazu hätte, nicht einmal mein Sterben einst. Auch in diesem meinem letzten Ende falle ich nicht, weil Gott mich hält. Das macht frei von aller Sorge, die mich überfällt, wo immer im Leben ich an Grenzen rühre, die mich ans große Ende erinnern. Dieses Freiwerden richtet auf. Es weckt zum Lebendigsein – zu einem Leben vor dem Tod, weil wir durch Jesus gewiss sein dürfen, im Tode einmal nicht zu vergehen. Das meint Auferstehung.

II.

Dieses Ostern freilich ist kein Ereignis, das irgendwann halt im Lauf der Geschichte geschah. Ostern – also das, was Jesus gelebt und gelitten hat -, Ostern ist eine Antwort; Antwort auf die nach dem Zeugnis der Bibel älteste Frage der Menschheit – d.h. auf die Frage, die sich jeder Mensch einmal und unumgänglich stellt. Die Bibel selbst hat diese Frage auf ihren ersten Seiten in der Geschichte vom Paradies und vom Sündenfall zusammengefasst:

Der Mensch findet sich geborgen und umsorgt im Paradiesgarten des Schöpfers. Aber auch: er erfährt sich begrenzt und vergänglich; das meint die Bibel, wenn sie von den Früchten des Baumes in der Mitte des Gartens erzählt, von denen zu essen dem Menschen versagt ist. Nicht, weil Gott es ihm nicht gönnte! Den ganzen restlichen Garten, den großen, und seine Früchte darf der Menschen für sich nehmen und sich daran freuen. Nur dieser, dieser eine, soll ihn daran erinnern, dass alles, was da ist und ihm gehört, nicht von ihm selber kommt, sondern von einem, der alles – auch ihn – den Menschen ins Dasein gerufen hat und dem er sich verdankt.

Und doch lässt diese Begegnung mit der eigenen Endlichkeit den Menschen fragen, ob Gott – wenn er, der Mensch, selbst so zerbrechlich ist -, ob Gott denn dann trotzdem der Gute, der Gütige, der Gönnende sein könne. Da meldet sich Misstrauen, das Sinnbild der Schlange steht biblisch dafür, dieser Ikone dessen, was Angst macht. Wo der Mensch diesem Misstrauen nachgibt und es übermächtig wird, da ist Sündenfall: Absonderung von Gott. Die Folgen sind katastrophal: der Mensch geht seinem Gott aus dem Weg; Mann und Frau leben nicht mehr Seite an Seite, sondern der eine herrscht über den andern, Lust und Schmerz geraten ineinander, der Paradiesgarten erscheint auf einmal als das Jammertal voller Disteln und Dornen, zwischen denen der Mensch sich ums tägliche Brot schinden muss. Ein Bruder erschlägt den andern – Kain und Abel. Die Völker, die von Noachs Söhnen abstammen, kennen als einziges, was sie noch verbindet, die Gewalt gegeneinander. Und am Ende steht der Turmbau von Babel: das Werk, mit dem sie sich – getrieben von der Angst vor der eigenen Nichtigkeit – Ansehen verschaffen, sich also selbst zu etwas machen wollen, - dieses Werk bringt sie so auseinander, dass einer nicht mehr des anderen Sprache versteht. Mit Gott und mit sich selbst, mit der Natur und mit seinesgleichen restlos zerfallen sein: das ist das Schicksal dessen, der Gott nicht mehr trauen mag und darum den Garanten für sein eigenes Dasein spielen muss.

III.

Ostern ist ein einziger Widerspruch dagegen, dass es mit uns so ausgehen muss. Es ist wahr: Es muss so ausgehen, wo das Misstrauen gegen Gott siegt. Aber: das Misstrauen muss nicht siegen. Denn vor dem Abgrund der Angst gibt es auch und genauso den Weg des Vertrauens. Jesus geht diesen Weg. Er geht ihn und gerade durch sein Sterben noch. Er geht ihn darum als erster ganz. Und die österlichen Begegnungen mit dem auferstandenen Herrn bezeugen den Jüngern von innen, vom Gespür ihres Herzens her, dass der, der diesen Weg gegangen ist, durch diesen Weg mitsamt seinem Ende in Gottes Hand gerettet lebt. Sie verstehen: die menschliche Vergänglichkeit widerlegt nicht Gottes Güte. Im Gegenteil und verrückt genug: In ihr bestätigt sich vielmehr auf endgültige Weise, dass Gott der Verlässliche ist.

Dieses österliche Evangelium von der Treue Gottes, die der überwältigend erfährt, der ihr traut – diese Frohbotschaft ist darum das Gegenbild schlechthin zum Sündenfall und seinen Folgen: Der Friede beseelt die Jünger seit dem Ostermorgen – Friede, shalom, ist das biblische Gegenteil der Angst. – Ein Herz und eine Seele sind sie und teilen sogar noch ihren Besitz, dass keiner darben muss – so tun sie das Gegenteil von Kain und den Nachkommen Noachs. – Und auch der Abschluss der Schöpfungsgeschichte mit dem Sprachenwirrwarr von Babel hat sein österlich-erlösendes Gegenstück: die Pfingstgeschichte als Abschluss und Krönung der Osterbotschaft:

Die Jünger und Freunde Jesu sind versammelt, betend; miteinander gehen sie um im Geiste Jesu, also im Geist des Gottvertrauens. Wer Gott traut, der kann auch sich selber mögen und den andern gut sein. Dieses Gottvertrauen geht ihnen durch und durch, wie ein Sturm, dem nichts widerstehen kann; es wirkt wie ein brennendes Verlangen, miteinander verbunden zu sein und sich einander mitzuteilen: Zungen wie von Feuer schienen ihnen, erzählt die Apostelgeschichte – Zungen, das, was uns sprechen macht, dass wir einander ermutigen und trösten. Und diese Macht des Gottvertrauens macht menschlich auf eine Weise, die über alle Barrieren hinwegreicht: Die Jünger beginnen, in fremden Sprachen zu reden, und jeder konnte sie in seiner Muttersprache verstehen. Fremde sogar finden zueinander und verständigen sich, ohne darüber das Eigene zu verlieren.

IV.

In Babel hatte das Misstrauen alle ins Durcheinander gestürzt und so auseinander getrieben. Griechisch heißt durcheinander werfen "diaballein", von dem unser "diabolisch" kommt. Das Gottvertrauen jetzt wirkt das pfingstliche Gegenteil: es führt über alle Grenzen hinweg zusammen und lässt Gottes Werk der Schöpfung so werden, wie es gemeint ist: griechisch "symballein", das hinter unserem Wort "Symbol" steht. Vom österlichen Pfingstgeist beseelt werden wir Gottes Symbol, lebendiges Sinnbild und Spur seiner schöpferischen Güte in der Welt. Das ist die Ernte derer, die mit Jesus den Weg des österlichen Vertrauens gehen.

Manchmal will uns wohl scheinen, unser eigenes Leben, unsere Welt gleiche immer noch mehr dem Babylonischen Chaos als dem Jerusalemer Pfingsttag. Das kommt dadurch, dass auch die Christen, dass wir selber, viel zu wenig österlich zu leben wagen. Dann kommt es darauf an, dass wir diesem Geist, der uns in Taufe und Firmung geschenkt wurde, in uns Raum geben. Denn er, der uralte, ewige junge, der einst über den Wassern der Urflut brütete, die Väter und Mütter der Urzeit führte, den Prophetinnen und Propheten den Munde öffnete, den David musizieren ließ, Maria in Nazaret erfüllte, am Jordan auf Jesus herabkam, den Pfingstsaal erbeben ließ und in jeder Eucharistie die Gaben von Brot und Wein wandelt – dieser Geist möchte auch verwandeln, hineinziehen in jene Welt, in der Gott alles in allem sein wird. So Unbescheidenes dürfen wir für uns erhoffen. Denn unter dieser Gottesverheißung leben wir.