Auf den Stern zugehen

Ostermontag B: Lk 24, 13-35

I
Der einflussreichste Philosoph des 20. Jahrhunderts ist Martin Heidegger gewesen, und wenn nicht alles täuscht, nimmt derzeit seine Aktualität nochmals zu. Das sagt noch nichts über Stimmigkeit des von ihm Gedachten. Dass, wer groß denkt, bisweilen auch groß irrt, gilt auch und wahrlich nicht zuletzt von ihm, was zumal seine Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus betrifft. Gleichzeitig spiegelt sich in seinem Denken und an seiner Person ein Ringen um die Gottesfrage, das bis heute unverbraucht herausfordert.

II
Katholischer Provenienz, wollte er zunächst, wie viele der damals Hochbegabten, Priester und Jesuit werden. Der Plan zerschlug sich. Ein frühes Motiv dafür war der Zustand der Theologie seiner Zeit, der Neoscholastik, den er als desaströs empfand und der Sache völlig unangemessen. Das führte ihn weit, weit weg von seinen christlichen Ursprüngen, auch wenn die gerade in seinen Hauptwerken verborgen präsent blieben. Der späte Heidegger hat darum von einer Ankunft des Gottes oder der Götter geredet, manchmal eher geraunt, ein Ereignis, das über die Menschheit kommen und die Verfahrenheiten der modernen Technikkultur aufbrechen, verwandeln und vermenschlichen werde. Nachchristlich hat man dieses Gottdenken Heideggers genannt.

Dennoch hatte Heidegger für sich testamentarisch ein katholisches Begräbnis festgelegt, was auch geschah. Sein Grab liegt auf dem Kirchhof seines Herkunftsdorfes Messkirch. Wer es besucht, entdeckt auf dem Grabstein, dass dort kein Kreuz angebracht ist, sondern ein Stern. Darüber kann man viel rätseln. Verhaltenen Wink wohl gibt ein Satz aus seiner kleinen Sammlung mit dem Titel Aus der Erfahrung des Denkens aus dem Jahr 1947. Dort heißt es unter anderem: Auf einen Stern zugehen, nur dieses. – Auf einen Stern zugehen, nur dieses.

III
Wenn Heidegger damit hätte sagen wollen, dass man sich dem Wesentlichen im Leben immer nur annähern kann, ohne es zu ergreifen, von ihm leiten, ohne über es zu verfügen – so wie ein Fixstern unverrückbar leuchtend am Nachthimmel steht, Orientierung schenkt, aber von uns nicht in Verfügung genommen werden kann –, wenn er das hätte sagen wollen, dann wäre auch der Stern auf seinem Grabstein eine der verborgenen Gravuren seiner christlichen Herkunft. Ja mehr noch: Er wäre so etwas wie ein Osterzeichen, weil genau dieses Ineinander von Sehen und Entzogensein, von Erkennen und suchend Bleiben, das Besondere aller Ostergeschichten des neuen Testaments ausmacht. Und besonders pointiert gilt das gerade für das berühmte Emmaus-Evangelium, das gleichsam die Mitte des heutigen Ostermontags bildet.

IV
Die beiden Jünger, Kleopas und der für uns Namenlose, wanderten von Jerusalem nach Emmaus zurück, bitter enttäuscht. Ihre ganze Hoffnung hatten sie an Jesus gehängt. Ein wort- und tatmächtiger Prophet war er in ihren Augen gewesen. Einer also, dem sie zutrauten, die wirkliche Wahrheit über Gott und die Welt und das Leben zum Vorschein zu bringen. Und dann haben ihn die offiziellen Autoritäten wegen dem, was er sagte und tat, erledigt. Das leere Grab erwähnen sie nur noch beiläufig, weil ihnen das auch nicht weiterhilft. – Wir hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen würde, sagen sie. Aber wenn er, dieser Jesus, die Dinge schon nicht zum Guten zu wenden vermochte, wer dann überhaupt? Was er sagte und was er tat, war halt auch nur eine Utopie. Eine Vision vom Leben, wie es sein sollte, ohne dass es jemals so werden würde.

V
So klagen sie einem, der sich ihnen auf dem Weg angeschlossen hat. Der aber pflichtet ihnen nicht bei noch tröstet oder beschwichtigt er sie. Stattdessen fängt er an, von der Heiligen Schrift ihres Glaubens zu reden. Die ganzen Gottesgeschichten, die dort stehen, angefangen von Mose, also den ersten fünf Büchern der Bibel, über alle Propheten bezieht er auf das, was mit Jesus geschehen ist. So Verschiedenes diese Geschichte erzählen mögen, so haben sie doch eine gemeinsame heimliche Mitte: dass Gott der Treue ist, der Treue in allem, sogar dort noch, wo sein Volk sich abwendet von ihm. Der "Ich-bin-da-für-euch" heißt er, wie eine der wichtigsten Geschichten erzählt, die von Mose handelt. Jesus ist vor dem Kreuz nicht geflohen und ist gestorben, wie er gestorben ist, weil er diesen Gottesgeschichten vertraute. Weil er überzeugt war, dass, wenn Gott der Treue ist, dieser Gott ihn auch noch im letzten Ende, im Sterben nicht fallen lassen wird. Ja sogar: dass dieses Sterben seine Botschaft vom treuen Gott endlich so glaubwürdig machen wird, dass gerade durch dieses Sterben Menschen Gott endlich als Gott wiedererkennen, und das heißt: jene Erlösung finden, von der die beiden Emmausjünger gesprochen haben. Wer sich tief genug ins Wort der Schrift hineinbegibt, wird erkennen, dass Jesus nicht verloren gehen konnte und von Gott gerettet sein muss, dass er – wie die frühen Christen unbeholfen in der ihnen vertrauten Sprache der jüdischen Apokalyptik sagen – auferweckt worden ist.

Was der Unbekannte da sagte, muss Kleopas und den anderen Jünger tief berührt haben. Darum drängen sie den anderen, dass er bei ihnen bleibe. Man kann sich denken, warum: Sie wollten noch mehr hören von ihm, mehr von dem, was sie die Ereignisse vom Karfreitag in ganz anderem Licht sehen ließ. Und wirklich bleibt er bei ihnen. Sie halten Mahl, er bricht ihnen das Brot. Diese Geste trifft sie im Innersten. Ist sie doch das Erinnerungszeichen, das er den Seinen beim Abendmahl geschenkt hatte. Ein Zeichen das gar nichts anderes tat, als ihnen zu versichern: So wie Brot, von dem man lebt, bin ich für euch. Denn ich bin der Ich-bin-da-für-euch in Menschengestalt. Der geheimnisvolle Gottesname aus der Dornbuschgeschichte des Mose hatte in ihm ein menschliches Antlitz bekommen. Das unbegreifliche Geheimnis begegnete in ihm auf Du und Du, um gleichsam aus nächster Nähe zu versichern: Es ist wahr: Gott ist der Ich-bin-da-für-euch. Darum gehört dieser Jesus, in dem sich Gott so als der Treue offenbar macht und mitteilt, schon immer und für immer untrennbar zu Gott. Und das heißt: Er ist und bleibt mitsamt dem Kreuz der Lebendige. Als den beiden Jüngern das aufgeht, sahen sie ihn nicht mehr, sagt das Evangelium. Natürlich: Auch im nächsten Nahekommen bleibt Gott Geheimnis, über das Menschen nicht verfügen. Wie der Stern, der beruhigend leuchtet, unverrückbar am Himmel stehend, ohne dass wir ihn mit Händen greifen könnten.

VI
Aber trotz dieser Unverfüglichkeit ist durch Ostern etwas völlig anders geworden in der Welt: Die Hoffnung, die Menschen beseelt, so sehr, dass sie wider ihr eigenes Denken und Glauben an ihr festhalten, – diese Hoffnung ist seit dem Ostermorgen nicht mehr utopisch, ortlos. Sie hat einen Ort im Leben bekommen: Im Wort Gottes und im Brotbrechen, also der Feier der Eucharistie. Wo Menschen sich hineinziehen lassen in die Gottesgeschichten, wo sie das Gedächtnis des Herrn begehen und dann miteinander so umzugehen versuchen, wie es diesem heiligen Tun entspricht, da erfahren sie – oft gebrochen und in Gleichnissen nur, aber wirklich –, dass nichts umsonst ist, was sie aus Gottvertrauen tun, wie Jesus. Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss? Da geht ihnen auf, dass sie unverlierbar von Gott gehalten sind mitsamt dem Dunklen in ihrem Leben und dessen Ende sogar. In der Schrift und vom Altar her begegnen sie dem Auferstandenen, um sich von ihm sagen zu lassen: Mein Weg ist auch der eure. Seid einander Zeugen dafür! Und freut euch über mich und über Gott. Das tun jetzt auch wir.