Nicht selbstverständlich

21. So B: Joh 6,60-69

I
In großen Dingen können Menschen kleinlich sein: Wenn es darum geht, gut dazustehen z. B. oder in Liebes- und Beziehungsdingen. Auch, wenn zur Debatte steht, was einer glaubt oder nicht glaubt.

Als das Christentum im vierten Jahrhundert unter Kaiser Konstantin Staatsreligion wurde und das Kreuz zum öffentlichen Sinnbild des allgemeinen Glaubens aufrückte, änderte sich für das Judentum ganz vieles. So schrieben die Juden, um sich abzusetzen von diesem siegreichen Christentum, über viele Jahrhunderte beim Rechnen das Additionszeichen „plus“ nur mit dem oberen Teil des senkrechten Strichs, um nur ja nicht auch von fern an das Kreuz zu erinnern. Und noch vor wenigen Jahrzehnten – kaum zu glauben –, als man in Israel die Hafenstadt Haifa baute, haben es die Architekten peinlichst vermieden, die Straßen im Zentrum sich rechtwinklig kreuzen zu lassen, weshalb dort bis heute der Verkehr noch um ein Vielfaches chaotischer ist als anderswo. Hauptsache nichts, was an das Kreuz erinnerte.

II
Was rein menschlich gesehen fast ans Lächerliche grenzt, hat freilich sozusagen eine ernste Rückseite: Dem Glauben an Jesus eignete von Anfang an etwas Anstößiges. Als er selbst nicht mehr anstößig war, weil zur verbindlichen Staatsreligion geworden, haben die Juden, deren einer Jesus war, dieses Anstößige gleichsam aufbewahrt. Und das war, nebenher gesagt, nicht der geringste Dienst, den sie ihren jüngeren Glaubensgeschwistern, uns Christen erwiesen haben. Denn: Christlicher Glaube ist von Wesen her absolut nichts Selbstverständliches. Das steht schon im Evangelium.

III
Und wie sollte dieser Glaube auch selbstverständlich sein können! Da kommt einer, und je länger, je mehr, geht von ihm der Anspruch aus, mit dem, was er tut und sagt und ist, Gott so zu versinnbilden, dass darüber hinaus eigentlich nicht mehr groß etwas gesagt werden muss. Ein Mensch wie du und ich macht klar, was vor Gott zählt – wer er in Wahrheit ist. Und macht das so klar, dass man dabei merkt: Der sagt das nicht einfach so hin, von außen. Sondern, was er sagt, kommt von innen, von daher, dass er selbst mit diesem Gott aufs Innigste vertraut und verbunden ist.

Das aber kann man nicht von außen ablesen an ihm. Es will geglaubt sein. Und da liegt das Problem – weshalb sich schon Leute aus seinem engsten Freundeskreis aufregen über die ganze Sache. Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts – sagt er, laut Johannes, selbst dafür. Wohl wahr! Das äußerlich Sichtbare – das meint Johannes mit „Fleisch“ – verrät soviel wie nichts. Ein Zimmerer halt, der erstaunliche Reden zu schwingen beginnt und dann als Wanderprediger herumzieht, der weise Sprüche absondert, die nicht selten durchaus so ähnlich klingen wie das, was damals auch stoische Philosophen über das richtige Tun und Leben sagten. Und ein paar berufstätige Männer, die alles liegen und stehen lassen, sich ihm anschließen und sich dadurch um ihr geregeltes Einkommen bringen.

Das Verrückte freilich: Um das Geistige zu entdecken, muss man auf das Fleisch schauen: Wie er ist, was er sagt und tut. Daran zeigt sich, was es mit ihm auf sich hat. Ihm selber ist klar, dass nicht einmal alle, die sehen, was sich da zeigt, zum Glauben kommen. Dazu ist das, was sich zeigt, nicht zwingend genug. Aber Glaube ist von Wesen das Gegenteil von Zwang. Der würde ihnen Lügen strafen. Darum muss Raum bleiben für Widerspruch. Nur dann bleibt Glaube Glaube.

IV
Jesus selbst nimmt diese Möglichkeit so ernst, dass er selbst seine engsten Freunde fragt, ob sie denn dableiben wollen, nachdem klar geworden ist, was er für sich beansprucht. Viele, heißt es, gehen. Die Antwort, die Petrus gibt, ist unserer Aufmerksamkeit wert. Denn er sagt nicht nassforsch: Ich bleibe!, sondern er fragt seinerseits: Zu wem sollen wir denn gehen? Das verrät etwas, wie empfindlich, wie zerbrechlich Glaube ist. Und dann fügt Petrus an: Du hast Worte ewigen Lebens. Das ist im Grunde eine ungeheure Behauptung. Darum lässt Petrus sie auch nicht einfach unbegründet stehen, sondern fügt hinzu, warum er das über Jesus sagt: Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Das heißt soviel wie: Uns ist klar aufgegangen – du gehörst untrennbar zu Gott.

Dieses Bekenntnis behauptet nicht, sondern es stellt fest. Also muss es aus Erfahrung kommen. Petrus konnte nur so sprechen, wie er sprach, weil er zusammen mit den anderen Jüngern die Tragfähigkeit dessen, was Jesus sagte über Gott, die Welt und das Leben, – weil er das erprobt hatte. Und das Ergebnis dieser Probe war so ausgefallen, dass er es wagte, Jesus den Heiligen Gottes, den ganz zu Gott Gehörigen zu nennen. Eine solche Probe bleibt immer ein Risiko. Man muss sich für sie entscheiden. Das hat mit Vertrauen zu tun.

V
Der amerikanische Philosoph William James hat einmal gesagt: Es gibt Bereiche, in denen uns eine Wahrheit verborgen bliebe, wenn wir ihr nicht gleichsam auf halbem Wege entgegen kämen. Und Charles Taylor, Religionsphilosoph unserer Tage aus Kanada, kommentiert diesen Gedanken von James mit Beispielen, etwa: Magst du mich oder nicht? Wenn ich darauf festgelegt bin, dies herauszufinden, indem ich eine Haltung einnehme, die ein Maximum an Distanz und Argwohn beinhaltet, besteht die Gefahr, dass ich die Möglichkeit einer bejahenden Antwort verwirke. Ein entsprechendes Phänomen auf der Ebene der Gesamtgesellschaft ist das soziale Vertrauen; wird man es von vornherein in Frage stellen, dann wird man es zerstören.
Genau das gilt auch für die Erkenntnis der Mitte unseres Glaubens, das Lebensgeheimnis Christi. Ließe sich jemand prinzipiell nicht darauf ein, dass Gott das irdische Leben eines Menschen gewählt haben könnte, um uns sein Innerstes aufzutun, bliebe ihm oder ihr diese Mitte genauso prinzipiell verschlossen.

Mit diesem Entgegengehen auf halbem Weg fängt alles an. Je länger, je mehr wird dieses Vertrauen lernen, dass es sich auf Gründe stützen kann. Dann weiß es auch damit umzugehen, dass der Glaube von Wesen anstößig ist und sich nicht von selbst versteht. Christsein ist nicht selbstverständlich. Sein Besonderes macht aus, dass Gott ein Mensch genügt, um mitzuteilen, was Menschen von ihm wissen müssen.