Vom Singen zur Hoch-Zeit und im Werktag

Trauung (20. Mai 2006): Hld 2, 2-3a. 8-14. 16a + Kol 3, 1. 12-17 + Lk 12, 2-31

I.
Im Beten und Feiern der Kirche gibt es ein oft bestätigtes heimliches Gesetz: Dass man sich zu den wichtigsten Festen des Ursprungs von allem erinnert und darum gleichsam an den Anfang zurückkehrt. Es passt zu Ihnen beiden, denen der Gottesdienst der Kirche so wichtig ist, dass das jetzt bei Ihrer Trauung auch geschieht: Obwohl längst wo anders tätig und beheimatet, kehren Sie heute hierher in die Dominikanerkirche zurück, um sich das Jawort für ein ganzes gemeinsames Leben zu schenken. Hier sind Sie beide lange und auf mehrfältige Weise in der Gemeinde und für die Gemeinde tätig gewesen. Hier haben Sie sich kennen gelernt. Und natürlich war es, gewiss nicht allein, aber doch in besonderer Weise auch die Musik, die Sie zusammenführte. Die Musik! Das Klingen und Tönen, das die Seele anrührt und uns auf leichter Schwinge über Alltag, Last, ja Trauer selbst emporträgt und auch die Ursprache allen Gotteslobes ist. Kurt Vonnegut, ein poetischer Haudegen aus Amerika, schreibt in seinem jüngsten Buch, das er soeben mit 83 vorgelegt hat: Falls ich je sterben sollte, Gott behüte, soll dieser Spruch auf meinem Grabstein sein: Der einzige Beweis, den er für die Existenz Gottes brauchte, war Musik!

II.
Mag sein, dass den Satz nicht jeder auf Anhieb versteht. Für Sie beide dürfte das nicht so schwer sein. Jedenfalls ist es kein Wunder, dass Sie sich für heute Lesungen ausgesucht haben, die alle drei so etwas wie Sprachmusik, Melodie aus Worten sind.
Ganz unüberhörbar gilt das natürlich für das alttestamentliche Hohelied. Gleich am Anfang dieses Flirren der Bildworte und buchstäblich der Rhythmus des Herzklopfens im hebräischen Sprachlaut: Kol dodi dopek, Horch, mein Geliebter, sieh da er kommt. So klingt das unbedingte Von-einander fasziniert-, also wörtlich übersetzt: Von-einander-Gebunden-Sein der Liebenden. Auch Sie kennen das, sonst wären Sie jetzt nicht hier, um vor Gott den Beginn Ihrer gemeinsamen Geschichte endgültig zu besiegeln. Und wie auch anders: Wenn es wirklich Unbedingtes in unserem bedingten, zerbrechlichen Menschenleben gibt, dann kann es ja nur von dem kommen, der der Unbedingte ist und den Glaubende "Gott" nennen – eine Spur seiner Gegenwart geradezu. Und dann liegt für Glaubende wie von selbst nahe, in die Geschichte ihrer Liebe auch diesen Gott gleichsam zu verstricken, damit sie in ihm Halt finde. Wem Liebe mehr bedeutet, als dass zwischen Zweien für eine Weile halt die Chemie stimmt, hat sich auf die Dimension des Unbedingten eingelassen, auch wenn er oder sie das mit keinem Wort eigens sagen muss (und, ja, vielleicht nicht einmal weiß).
Am Ende der Lesung klingt das nochmals auf, gebieterisch geradezu:
Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz ... Stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt. Ihre Gluten sind Feuergluten, gewaltige Flammen. Auch mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen; auch Ströme schwemmen sie nicht weg. Böte einer für die Liebe den ganzen Reichtum seines Hauses, nur verachten würde man ihn.
Da ist in der Sprache der Sinne und der Leidenschaft von jenem Unbedingtem die Rede, und eben darum kann ein durch und durch irdisches Liebeslied "Wort des lebendigen Gottes", seine Offenbarung, seine Selbstmitteilung sein. Übrigens ist genau das gemeint, wenn katholische Christen die Ehe ein Sakrament nennen: Die Liebe der beiden Partner als sichtbares Zeichen aus Fleisch und Blut für die unsichtbare Wirklichkeit Gottes, aber Zeichen so, dass in ihm selbst etwas von dem gegenwärtig wird, worauf es verweist. Und könnte man Eheleuten Schöneres sagen, als dass eben das, dass sie einander in Treue gut sind, Sinnbild dafür ist, wie Gott ist?

III.
Diese Symphonie im buchstäblichen Sinn verstummt selbst dort nicht, wo der Werktag seine Rechte anmeldet. Deshalb zögern die frühchristlichen Glaubenslehrer wie der Verfasser des Kolosserbriefes nicht, die Regeln des rechten miteinander Lebens gleichsam in einen kleinen Osterhymnus einzubetten. Aus der Verbundenheit mit dem österlichen Herrn, diesem Inbild der Treue Gottes, können Menschen sich getrauen, einander gut und miteinander barmherzig zu sein, also wie der himmlische Vater zu sein, wie es in der Bergpredigt einmal heißt – ohne Angst, dadurch um das Eigene gebracht zu werden. Dann wird das eigene Tun zum Widerhall der Hymnen und Lieder, die beim Fest Gottes Lobpreis gelten.

IV.
Das Wagnis eines solchen Lebens aus dem Geist der Güte hat aber ein wohl bestimmtes Fundament, und davon redete unser Evangelium. Es hat mit dem zu tun, was unser Wesen als Menschen zutiefst ausmacht: die Sorge. Nicht nur, dass wir uns nicht selbst ins Dasein bringen. Auch über sein Ende bestimmen wir nicht. Und in der Spanne dazwischen, die uns gegeben ist, müssen wir uns erhalten. Darum sorgen wir uns um uns. Wir haben nicht nur Sorgen, diese und jene. Wir sind Sorge. Immer. Sobald uns nicht mehr das Überleben Sorge macht, halten uns andere Sorgen in Atem: um Ansehen und Aussehen mühen wir uns, am Wohlstand ist uns gelegen. Ehre und Karriere fordern die Kräfte, bis zum Rande manchmal. Weil wir von all dem erwarten, es werde unserem Leben Geschmack geben, Geschmack, der uns mit dem Leben, mit uns zufrieden sein lässt. Was braucht der Mensch dazu, dass er so zufrieden wird? Jedes gelebte Leben antwortet auf diese Frage. Aber treffen alle Antworten das, was sie eigentlich meinen? Gehen Menschen dabei fehl, werden sie oft krank. Krank an sich selbst, weil eine unüberwindliche Kluft liegt zwischen dem, was sie sein möchten oder was man ihnen eingeredet hat, dass sie sein sollen, und dem, was sie in Wahrheit sind. Sie sind nicht daheim bei sich, das ist ihr Elend. Und die Mühen und Sorgen, die sie sich täglich machen, führen sie immer nur noch weiter fort von dem, was sie eigentlich suchen.
Einen Weg nur gibt es, der hinausführt aus diesem Teufelskreis. Jesus sagt es so: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt ... und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. Seht die Raben: Sie säen nicht und ernten nicht; ... Gott ernährt sie ... Seht euch die Lilien an: sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. – So kann nur einer reden, dem Gottvertrauen kein Fremdwort ist. Weil nur, wer sich ganz aufgehoben weiß bei dem, von dem er herkommt und auf den er zugeht, – weil nur so jemand überhaupt wahrnimmt, dass auch noch das bloße Dasein täppischer Vögel von einem tiefen Geheimnis kündet und wie herrlich Lilien sind einfach dadurch, dass es sie gibt. So gelöst durchs Leben kommen wie Raben, die bald hier, bald da etwas finden, die heute wenig und morgen im Überfluss haben, die nicht horten und hasten, weil sie gar nichts wissen von einer Sorge, was denn morgen kommen könnte; und so selbstverständlich da sein und im Überschwang prangen wie eine wild blühende Lilie, die keiner am Feldrand erwarten würde, – das war es doch, was damals die Menschen in Bann schlug an diesem Jesus.
Und er verrät uns sein Geheimnis, wodurch er so ist, wie er ist, und wie einer wird, was das Gleichnis von den Raben und den Lilien meint: ... fragt nicht, was ihr essen und was ihr trinken sollt, und ängstigt euch nicht! Denn um all das geht es den Heiden in der Welt, – denen, die von Gott nichts wissen. Euer Vater weiß, dass ihr das braucht. Euch jedoch muss es um sein Reich gehen; dann wird euch das andere dazugegeben. Auf den Punkt gebracht, heißt diese Antwort: Gottvertrauen – dass es niemanden gibt und nichts, was uns trennen könnte von dem, der ja gesagt hat zu uns. Wer diesem Treuen traut, dem geht es um das Gottesreich. Und er findet von selbst, was er braucht. Denn dies Vertrauen macht hellsichtig für alles, was an Schätzen und Geschenken auch noch im scheinbar so banalen Alltag verborgen liegt.

V.
Sie beide heiraten einander in Gottes Namen und bekennen so, dass das Gottesreich für Sie die Mitte und der Grund sein soll, und das Sie vertrauen, alles andere, was auch wichtig ist, wird von selbst kommen. Erinnern Sie sich künftig immer wieder gegenseitig an dieses Bekenntnis! Man vergisst das so leicht zwischen den vielen so genannten guten Ratschlägen und dem Schwall geschwätzigen Geredes, dem wir ausgesetzt sind. Aber wenn Sie dem Versprechen treu bleiben, das Sie heute nicht nur einander, sondern miteinander auch dem geben, in dessen Namen Sie Ihr Ja-Wort sprechen, dann werden Sie überrascht sein, was alles er bereithält, um es Ihnen gratis – aus Gnade – hinzu zu geben zum Gottesreich. Darum haben Sie Grund, jetzt Dank zu sagen: füreinander und miteinander dafür, dass Sie so frei ins gemeinsame Leben gehen dürfen. Und nur, wenn Menschen der dauernden Sorge um sich ledig sind, dann löst sich ihnen die Zunge zum Singen von all dem, was ein gönnender Gott für uns Menschenkinder übrig hat. Sie beide tun das dann sozusagen in einem Lebensduett. Dass Ihnen viele Ihrer Lebtage dazu Anlass geben, das wünsche ich Ihnen!