Wofür der erste Märtyrer starb

Stephanus B: Apg 6,8-10; 7,54-60 + Mt 10,17-22 (St. Anton, Regensburg)

I.
Gestern haben wir Weihnachten gefeiert. Weihnachten ist der Geburtstag des Menschen Jesus von Nazaret. Wir Christen feiern diesen Tag, weil wir bekennen: In diesem Menschen aus Fleisch und Blut hat sich der unsichtbare Gott selbst auf menschliche Weise – also im Sinnbild – gezeigt. Wie dieser Jesus lebte und war, so ist Gott, so ist er immer, also auch für uns. Gott, dieses Wort, dieses Wort so dunkel und verschlossen und doch so unauslöschlich, wo immer Menschen über die Dinge reden, die wirklich wichtig sind für sie, – dieses Wort hat auch durch Weihnachten nicht sein Geheimnis verloren, aber es hat sich verwandelt: Was es meint, ist seitdem nicht mehr in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt, sondern wie hinter einem Vorhang aus Licht verborgen.

II.
Heute, einen Tag nach Weihnachten, feiern wir ein ganz anderes Fest: den Stephanustag. An ihm gedenken wir des ersten christlichen Märtyrers. Dieses Fest bestand schon lange bevor Weihnachten so gefeiert wurde, wie wir es heute feiern. Deshalb rückten beide Feste nebeneinander, ohne dass sie ursprünglich etwas miteinander zu tun hatten. Und doch zeigt sich im Rückblick, der uns, den Späteren möglich ist, dass sie im Innersten verbunden sind.

III.
Stephanus war einer der ersten sieben Diakone. Das waren Männer, die sich die Apostel als Mitarbeiter gewählt hatten. Heute würde man sagen: Die Diakone waren zuständig für die Sozialarbeit und die Caritas der jungen Kirche in Jerusalem. Klar, dass Stephanus bei dieser Arbeit mit vielen Leuten zusammentraf, auch solchen, die diese neue Gruppe, die sich auf einen gewissen Jesus berief, mit Argwohn betrachteten. So konnte nicht ausbleiben, dass es auch zu Auseinandersetzungen um Jesus, sein Schicksal und vor allem seine Predigt von Gott kam – so erzählt die Apostelgeschichte in der heutigen Lesung.
Bei einem solchen Streit kam es zu dem Übergriff, dem Stephanus zum Opfer fiel. Die Apostelgeschichte überliefert wortwörtlich den Satz, der den Mord auslöste: Ich sehe den Himmel offen, rief Stephanus, und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. – Was war daran so anstößig, dass die Umstehenden derart gewalttätig darauf reagierten? Es war zweierlei: Zuerst das Wort vom „offenen Himmel“. Schon immer – und je länger, je mehr – hatten die jüdischen Gläubigen die Jenseitigkeit und Unbegreiflichkeit Gottes betont. Die Christen teilten diesen Glauben, aber für sie hatte diese Jenseitigkeit durch Jesus eine ganz neue Bedeutung bekommen: Was Jesus sagte, was er tat, wie er war, hatten sie gleichsam als Echo dieser Jenseitigkeit Gottes mitten im Diesseits zu verstehen gelernt – so sehr, dass ihnen in Jesus der Himmel offen stand, gerade so wie es das Johannesevangelium sagt, wenn es Jesus die Worte in den Mund legt: Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Gott hat sich kundgetan auf eine Weise, die atemberaubend ist – als Mensch. Das hat Stephanus bezeugt und verteidigt und damit die Empörung seiner Widersacher entfacht.
Die zweite Anstößigkeit in dem Satz des Stephanus besteht in dem, was er über das Verhältnis dieses Jesus zu Gott behauptet: Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. Der zur Rechten Gottes stehende Menschensohn war das jedem Juden vertraute Sinnbild für das von Gott kommende Gericht, in dem endgültig aufgedeckt und entschieden wird, wo ein Mensch im Leben stand und wer er gewesen ist. So wie Stephanus von diesem Menschensohn sprach, war klar, dass er damit nur Jesus meinen konnte. Und damit hat er das Fass zum Überlaufen gebracht: daß an dem, was Jesus sagte und tat, bemessen werden sollte, was einmal zählt vor Gott. Genau das aber gehört genauso zur Mitte des christlichen Glaubens wie die Gewissheit, dass sich im Menschen Jesus Gott selbst zugänglich gemacht hat: Wer wie er auf Gott vertraut und aus diesem Vertrauen offen und gütig auf jeden und jede zugehen kann, die ihm begegnen, der lebt sein Leben so, dass es einmal gültig sein wird vor Gott.

IV.
Der Streit, dem Stephanus´ Leben zum Opfer fiel, ging also um nichts Geringeres als die Frage: Wo finden wir Gott und was zählt vor ihm? Stephanus Antwort: Gott finden wir in Jesus, und wie er lebte, ist der Maßstab, nach dem wir gerichtet werden. Das ganze Jenseits – Gott und sein Gericht – ist ins Diesseits eingezogen. Beides ist nicht mehr getrennt. Das ist die Weihnachtsbotschaft, nur in anderen Worten. Und sie gibt allem Menschlichen ein Gewicht und eine Würde, wie es sie vorher nie besaß. Was das für Folgen dafür hat, wie wir von uns denken und miteinander umgehen, das hat Jesus in aller Klarheit ausgesprochen, z.B. mit dem Satz: Was ihr einem der Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan – was soviel heißt wie: das hat Gott selbst berührt.

V.
Vielleicht sagen sie jetzt: Gut, der Streit ging um Wichtiges. Aber bringt man darum gleich einen Menschen um? Ich möchte Ihnen mit etwas antworten, was ich neulich von einer Frau aus Serbien hörte: Sie ist mit einem Kroaten verheiratet. Er kämpft auf kroatischer, sie auf serbischer Seite. Einem Journalisten, der sie fragte, was sie denn machen würde, wenn sie im Kampf unverhofft ihrem Mann begegnete, antwortete sie: Ich liebe meinen Mann, aber ich würde ihn sofort erschießen. Denn er ist Kroate und ich bin Serbin. So sind Menschen. Schon so etwas im Grunde Zufälliges wie die Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Sprache kann einen Menschen bis zum letzten Winkel seines Herzens in Bann schlagen. Um wie viel mehr die größten Fragen, die es überhaupt gibt: die nach Gott und seinem Gericht. Sie handeln ja von Leben und Tod. Märtyrer wie Stephanus erinnern uns daran, dass es um´s Ganze geht, wenn wir sagen „Gott ist Mensch geworden“.