Heilige Anarchie

Pfingstmontag B: Apg 8,1b.4.14-17 + Lk 10,21-24

I.
Fünfzig Tage lang haben wir jetzt Jesu Tod und Auferstehung gefeiert – jenes Ereignis, da Gott das Band zwischen Himmel und Erde wieder neu geknüpft hat. Fünfzig Tage haben wir deswegen das österliche Halleluja gesungen. Fünfzig Tage unseren Glauben gefeiert und so das Geheimnis Gottes mit allen Sinnen in uns aufgenommen und uns eingeformt. Durch die Feier von Ostern hat sich das Profil unseres Christseins wieder ein wenig vertieft. Das bewirkt der Heilige Geist, der dabei auf uns übergesprungen ist. Mit ihm beschenkt können wir jetzt hineingehen in unseren Alltag, der immer auch ein Alltag des Glaubens ist. Wir dürfen hoffen, dort in der Kraft des Geistes unser Leben so zu leben, dass es auch vor Gott gültig wird. Und wir dürfen es wagen, auch das noch, was unseren eigenen Träumen zuwiderläuft, ja oft genug unsere eigene Ohnmacht entlarvt, – wir dürfen auch das noch in Gottes Hand liegend glauben und ihm deshalb einen Sinn zutrauen, der uns möglicherweise bis zum Ende verschlossen bleibt.

II.
Dass wir uns trauen dürfen, so zu hoffen und zu wagen, dazu ermutigt uns die Lesung, die wir vorhin aus der Apostelgeschichte gehört haben. Sie erzählt, wie sogar die Ausbreitung der Kirche, also das Gelingen des Werkes Gottes in einer Situation begann, die menschlich gesehen hoffnungslos verfahren schien.
Gerade hatte sich die erste Gemeinschaft von Jesusleuten zusammengefunden. Gerade hatte sie die ersten Schritte dazu gewagt, so zu leben wie ihr auferstandener Herr. Gerade den Versuch unternommen, andere mit ihren beglückenden Erfahrungen anzustecken – da bricht eine schwere Verfolgung über sie herein. Die Gemeinde wird in die vier Winde zerstreut. Alles scheint zu Ende. Aber nun fangen gerade die, die auseinandergetrieben worden waren, an, überall wo sie hinkommen, von Jesus zu erzählen und wie sich ihr Leben verwandelt hat dadurch, dass sie sich in die Geschichten verstrickten, die Jesus von Gott erzählte und in die, die nach dem Karfreitag von ihm erzählt wurden. Und überraschend hatte das zur Folge, dass überall im Land eine kleine Gemeinde nach der anderen entsteht. Wie wenn sich jenes rätselhafte Wort Jesu bewahrheiten wollte, das sie damals als er es aussprach nicht verstanden hatten: dass das Weizenkorn in die Erde fallen und sterben müsse, aber eben dadurch Frucht bringe. Jetzt, an dem, was rings um sie und durch sie geschieht, fangen sie zu begreifen an, was das gemeint haben könnte. Und dann sagen sie bald, dass dieses aufblühende Neue, das sie selber gar nicht geplant hatten, – dass dies nur ein Werk des Gottesgeistes sein kann. Als sie so erlebten, wie ihre Ohnmacht sich auf einmal wandelte in schöpferischen Neubeginn, da wurden sie selber geradezu drastisch daran erinnert, wie nah und lebensmächtig und unberechenbar Gott selber mitten in Welt und Geschichte gegenwärtig ist.
Pfingsten ist deshalb ein Fest, das uns einlädt, die Welt neu anzuschauen, sie neu zu begreifen. Die bisherige Betrachtung der Dinge reicht nicht aus. Erst wenn wir durch die Oberfläche dringen, erschließt sich uns die wirkliche Wirklichkeit. Der gleiche Hauch des Pfingsttages wirbelt durcheinander und führt zusammen, lässt zusammenkrachen und neu erstehen. Der Geist ist ein weit größerer Zerstörer als die Gewalt, hat der Naturwissenschaftler, Philosoph und Mystiker Teilhard de Chardin einmal gesagt – und er hat hinzugefügt: Aber er, der Geist, baut auch mit derselben Geste auf, mit der er umstürzt.
Freilich – ein Gesetz lässt sich daraus nicht ableiten, eine feste Regel, gemäß der nach unserem menschlichen Belieben und Verfügen jede Ohnmacht und jedes Scheitern sich in einen Erfolg umarbeiten ließe. Die verwandelnde Macht des Gottesgeistes lässt nicht über sich verfügen. Sie schenkt sich nur dem, der Gott traut und ihm alles zutraut. Das Evangelium erzählt, wie Jesus vom Heiligen Geist erfüllt ausruft: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Und der Herr sagt damit: Die erleben die Kraft des Geistes an sich, die nicht viel hermachen um sich, sondern in einer geradezu naiven Unbekümmertheit die Tage ihres Lebens entgegennehmen im Glauben, dass keiner dabei ist, der nicht von Gott käme. Dass in jeder Herausforderung, die uns angeht, der Schlüssel dazu verborgen liegt, wieder ein kleines Stück mehr ich selber zu werden vor Gott. Den Besserwissern und Buchhaltern – auch den kirchlichen –, die den Heiligen Geist immer gern als feste Größe zu ihrem Zweck in die Bilanzen schreiben möchten, ihnen verweigert er sich.

III.
Die islamische Mystik kennt folgende Geschichte: Ein junger Mann geht zu einem Meister des geistlichen Lebens, um bei ihm zu lernen. In der winterlichen Kälte gehen sie zu der Hütte des Meisters. Der alte Mönch pustet dabei manchmal in die Hände, um sie ein wenig aus ihrer Starre zu befreien und zu erwärmen. In der Klause angekommen, kocht der Alte eine Suppe und sie setzten sich an den Tisch. Da aber die Suppe heiß ist, pustet der Mönch auf den Löffel, um die Speise zu kühlen. Der junge Mann schaut verwundert zu und sagt schließlich: Vorhin hast du in deine Hände geblasen, um sie zu wärmen, jetzt bläst du auf deine Suppe, um sie zu kühlen. Bei dir möchte ich nicht bleiben, du weißt ja selbst nicht, was du tust.

IV.
Wohl wahr: Engstirnigen, eindimensionalen Köpfen dünkt der Geist bisweilen widersprüchlich – drum leugnen sie eine Hälfte von ihm. Und das Tun geistlicher Menschen halten sie für verrückt – zu ihrem eigenen Schaden. Aber der Geist ist unberechenbar. Er führt uns in jeder Situation zu dem, was Not tut. Der Geist hält es nicht mit Hierarchien – mit heiligen, unvordenklichen Ordnungen. Er hat es eher ein bisschen mit der An-ar-chie , mit der Lösung, der festen, starren Panzer. Er votiert für die Vielfalt, die Ausnahme, die Einzigartigkeit. Der Geist lebt und webt in der von der Liebe bewegten Freiheit. Dass ein Widerschein dieser Freiheit des christlichen Geistes unseren Alltag des Glaubens durchweht, der nun wieder beginnt, das wünsche ich uns.