Vom Umgang mit unserem Erbe

7. Ostersonntag A: Apg 1, 12-14 + Joh 17, 1-11a

I
Ein Vater hatte sieben Söhne, die öfter in Streit waren miteinander. Über das Zanken vergaßen sie ihre Arbeit. Einige böse Menschen hatten sogar im Sinn, diese Uneinigkeit zu nutzen, um die Söhne nach dem Tode des Vaters um ihr Erbteil zu bringen. Da ließ der alte Mann alle sieben Söhne zusammenkommen, legte ihnen sieben Stäbe vor, die fest zusammengebunden waren und sagte: Dem von euch, der dieses Bündel Stäbe zerbricht, zahle ich hundert Taler. Einer nach dem anderen strengte alle seine Kräfte an, und jeder sagte nach vergeblichem Bemühen, das sei gar nicht möglich, die Stäbe zu zerbrechen. – Doch sprach der Vater, nichts ist leichter. Er löste das Bündel auf und zerbrach mühelos einen Stab nach dem anderen. Und er sprach: Wie mit diesen Stäben, so ist es mit euch. Solange ihr eins seid, werdet ihr bestehen und das Erbe bleibt euch erhalten. Löst ihr aber das Band der Eintracht auf, so geht es euch wie den Stäben, die hier zerbrochen auf dem Boden liegen.

II
Die beunruhigende Ahnung von den Folgen der Zwietracht hat den alten Vater dieses aufrüttelnde Zeichen der zerbrochenen Stäbe setzen lassen. Wo Gemeinschaft dem Unfrieden weicht, zerfällt alles in Trümmer. Und vor allem: weil sie einzeln schwach sind, werden die Söhne auch das noch verlieren, was ihnen als Erbe anvertraut und also zum Leben geschenkt ist. Nicht anders bei denen, die sich Töchter und Söhne Gottes nennen dürfen. Die Trennung in Konfessionen ist ihnen heute weitgehend zum Faktum geworden, mit dem sich leben lässt. Aber nur, weil ihnen vor lauter Standpunkten und Streitpunkten die Folgen der Trennung aus den Augen geraten sind: nämlich der drohende Verlust des Erbes, das Christus, der Herr, vom Vater gebracht und ihnen geschenkt hat. Und das kommt daher, dass wir Christen ein gutes Stück gar nicht mehr wissen, was Gott uns durch Christus anvertraut hat. Erst wenn wir den Schatz unseres Erbes wiederentdeckten, würde den Kirchen ihre gefährliche Trennung so schmerzen, dass sie nicht mehr bloß ein bisschen, sondern alles täten, die verlorene Einheit wiederzufinden. Die Schriftlesungen des heutigen Tages helfen uns, diesem Vergessen unseres Erbes zu widerstehen.

III
Oft und oft kommen die schriftlichen Zeugnisse aus dem Leben der jungen Kirche auf die Einheit der Glaubenden zu sprechen. Die Einmütigkeit wird so oft betont, dass man schon ahnen kann, als wie zerbrechlich sie wohl erfahren wurde. Doch eigenartig: Bevor das Anliegen angesprochen wird, ist meist zuerst von dem die Rede, was durch Christus schon geschehen ist. Gott – so könnte man diese Vergewisserung an vielen Stellen zusammenfassen –, Gott hat uns alle herausgeholt aus einem geradezu schicksalsträchtigem Danebengehen-müssen des Lebens. Er hat uns erlöst aus den Zwängen in sich verkrümmter Ichbesessenheit, befreit zu einem neuen Lebensstil. Und dieses Neue, das irgendwie alle Vergleiche sprengt, hat immer mit Ostern zu tun.

Christus ist auferstanden! Mit diesem Bekenntnis steht und fällt unser Glaube. Und wir meinen damit: Gott hat erfahrbar bestätigt, daß die Liebe nicht vergebens und dass das Gelingen des Lebens nicht unmöglich ist, wo einer sein Leben ganz von Gott her und auf Gott hin anlegt – ebenso wie Jesus es getan hat. Ja mehr noch: Auferstehung meint, dass durch seine Verbundenheit mit Gott menschliches Leben nicht einmal im Tod zerfällt, sondern sich sogar auch noch in der Preisgabe seiner selbst gerettet und vollendet wissen darf in der Hand des lebendigen Gottes. Gott selbst bestätigt: Jesus hat recht gehabt mit seinem Vertrauen zu mir. Das ist Auferstehung.

Mit Christus auferstanden ist jeder, der diesem Selbstzeugnis Gottes für seine Treue traut - nicht bloß mit dem Mund, sondern in der Sprache des gelebten Werktags: aus Gottvertrauen den Teufelskreis von Leistenmüssen und Geltenwollen durchbrechen und mich annehmen, wie ich bin: für einen zu kurz Gekommenen eintreten, auch wenn´s mir zum Nachteil gereicht; mit denen, die nichts haben, teilen, ohne sich dabei selbst noch einmal großartig zu fühlen; einen eigenen Fehler eingestehen, um Vergebung bitten und anderen vergeben können; gewaltfrei aufständisch sein gegen jede Form von Unterdrückung – auch in der Kirche noch –, in all dem ereignet sich wirklich und anschaulich das Mitauferstandensein, auch wenn die Auferstehung in ihrer vollen Gestalt all diese ersten Zeichen weit hinter sich lassen wird. Zu solchem aufgerichteten, befreiten Leben befähigt zu sein, das ist unser ureigenes Erbe als Kirche Jesu Christi. Wie aber dürfte es dann ausgerechnet unter uns - den Erben - etwas geben, was sich diesem Vorgang der Auferweckung entgegenstellt? Die Trennung der einen Kirche in Konfessionen aber tut genau das. Sie dementiert den Angelpunkt des Glaubens, die siegreiche Macht der Liebe, und macht das mit Ostern eröffnete neue Leben zum unglaubwürdigen Gerücht.

Nicht von ungefähr sind Jesu letzte Worte vor seiner Passion im Johannesevangelium ein inbrünstiges, flehentliches Gebet, das in der Bitte um die Einheit derer gipfelt, die der Vater dem Sohn anvertraut hat. Jesus hat uns gekannt und um die große Versuchung seiner Kirche gewusst, die Versuchung, am Ende doch wieder der Ausübung von Macht und den Hierarchien, den angeblich heiligen Herrschaften mehr zu trauen als der verletzlichen, nicht mehr kontrollierbaren Liebe.

IV
Eben das hat die Kirche ja in die unseligen Spaltungen getrieben. Und eben das hindert die Konfessionen bis heute daran, die längst gegebenen Wege einer Wiedervereinigung überhaupt ernstzunehmen. Es ist ja bezeichnend, daß ausnahmslos alle immer noch bestehenden Uneinigkeiten ihren Ausgang bei der jeweiligen Auffassung des kirchlichen Amtes (einschließlich des Papsttums) nehmen. Würde die Ausübung des gewiss konstitutiven Amtes in der Kirche auf allen Ebenen endlich vom Eindruck – und nicht nur vom Eindruck! – des Machtgebarens befreit, wer weiß, wie viel von dem Trennenden sich von selbst erledigte, gleichsam verdunsten würde. Die Sympathie, das gemeinsame Leiden an dem, was Christus, dem Herrn, geschuldet wird - oder ganz einfach: die Liebe, sie hat noch allemal das sogar scheinbar Unüberbrückbare zusammengebracht mit der Kraft ihrer unerschöpflichen Phantasie:

Im Jahre 1888 starb im holländischen Roermond ein Ehepaar, die Frau wenige Monate nach dem Mann. Die beiden waren konfessionsverschieden gewesen, er katholisch, sie evangelisch. Die feindschaftliche Trennung zwischen den Konfessionen untersagte strikt, dass beide in einem gemeinsamen Grab bestattet wurden. Aber weil die Verwandten beider Seiten wußten, wie sehr die zwei sich geliebt hatten, ersannen sie einen Ausweg: Der evangelische und der katholische Friedhof lagen direkt nebeneinander und waren nur durch eine Mauer getrennt. So legte man die beiden Gräber mit dem Kopfende unmittelbar an die Trennmauer und zog die Grabsteine so hoch, daß sie die Mauer überragten. Und an der Spitze wurden beide verbunden durch einen Marmorstein in der Gestalt zweier Hände, die einander festhielten. Der Maler-Priester Peter Falken aus Aachen hat dem Grabstein eine ganze Bilderserie gewidmet und darin die Macht der Liebe für die Augen meditiert. Liebe ist erfinderisch. Keine Trennung wird ihr widerstehen. Je mehr sich die Kirchen auf ihren Herrn und seine Botschaft von Gott besinnen, desto eher werden sie sein können, wozu es sie überhaupt gibt. Darum beten wir in diesen Tagen.