Vom guten Gehör

Trauung: 1 Kor 12,13b-13,8 + Joh 15,12-17

I.

Am Morgen damals war es wohl noch ein Tag wie jeder andere – der Tag, da Ihr Euch zum ersten Mal begegnet seid. Nichts hat Euch auch nur ahnen lassen, was an diesem Tag geschehen wird. Aber gerade er ist ein Datum geworden für Euch: Datum – das ist ein Gegebenes, ein Geschenk, unter zahllosen Bedingungen und Zufällen vielleicht stehend, aber dennoch selbst so unbedingt, dass es Euch heute hierher geführt hat. Jetzt in dieser Stunde tretet Ihr vor Gott hin, um dieses Datum zu besiegeln. Im Ja-Wort, mit dem Ihr einander Treue bis zum Ende Eures Lebens zusagen werdet, nehmt Ihr ganz an, was Euch durch dieses Datum zugedacht ist.

II.

Ihr sagt "ja" zu diesem Datum, also "ja" zueinander. Ja-Sagen zu einem Menschen heißt sagen: Ich will, dass Du bist. Mehr noch: Ich will, dass Du der und die bist, der und die Du bist mit Deiner Größe und Deinen Grenzen, mit Deinem Geheimnis, das mich bezaubert, auch mit den Schatten, die mich ratlos machen und manchmal ängstigen. Ein Wort, das so an die Wurzeln geht wie dieses Ja, das Ihr einander zusprechen werden – ein solches Wort verträgt keinen Vorbehalt. Denn es gibt kein halbes Ja, das sich am andern aussucht, was ihm gerade passt und den Rest beiseite wischt. In den Hoch-Zeiten, da Ihr einfach schon froh seid, dass Ihr Zeit habt füreinander, da kommt dieses Ja wie von selbst über die Lippen. Dieses Ja will aber auch gesagt sein dann, wenn einmal in einer anderen Stunde das "Ja, ich will, dass Du bist", nichts anderes heißt als: "Ich lasse Dich sein" – mit Deiner ganzen Unbegreiflichkeit für mich. Ich trage, – ja sogar: Ich ertrage Dich, auch jetzt, da Du mir wehtust. Weil Du Du bist. So weit reicht die Spanne des kleinen "ja", dass es den anderen unbedingt annimmt sogar dort noch, wo ich ein Stück drangebe für ihn. Seid Ihr doch zur Freude einer dem andern gegeben, aber genauso zur Sorge, dass Ihr einander leben helft. Daher rührt das Gewicht des Ja-Worts, das Ihr hernach sprechen werdet. Viele junge Paare leben heute zwar miteinander, aber sie zögern, dieses endgültige Ja zueinander zu sprechen. Man ist da schnell mit Urteilen zur Hand. Ich denke aber, dass nur sehr wenige auf das Ja-Wort der Trauung verzichten aus Oberflächlichkeit. Die meisten, die sich nicht dafür entscheiden, handeln so, weil sie überzeugt sind, dass dieses unbedingte "ja" zu einem anderen, zu seiner Geschichte, zu seiner radikal unbekannten Zukunft, – dass sie das als Menschen überfordert, weil sie um ihre eigene Grenzen und Versuchlichkeit wissen. Und ich denke, viele, die die Dinge so sehen und deshalb das Ja-Wort nicht sprechen, handeln richtig. Weil dieses Wort den Menschen tatsächlich überfordert. Jeden Menschen. Wenn ein solch an die Wurzel gehendes "ja" einer dem andern dennoch ernsthaft zusprechen will, dann muss dieses "ja" deshalb noch von etwas Größerem gedeckt sein als dem guten Willen und der Zuversicht, dass schon alles gut gehen wird. Dieses Größere jenseits Eurer menschlichen Verfügung ist: der Glaube. Endgültig und für immer "ja" sagen zu einem andern vermag nämlich mit unbedingtem Ernst im Grunde nur, wer – wie verborgen und unausgesprochen vielleicht auch immer – an Gott glaubt. Warum? Weil wirklich "ja" sagen zu einem andern nur kann, wer vorweg zu seinem eigenen Wort darauf vertraut, selbst immer schon unbedingt und über jedes Maß hinaus bejaht zu sein. Und genau das ist es ja, was wir Christen "Glaube" nennen – dass ich darauf setze: da hat einer aus Liebe "ja" gesagt zu mir, ohne Vorbedingung, und so über jedes Maß hinaus, wie kein Mensch das vermag. Da hat einer gesprochen: Du darfst sein – der, der Du bist. Also: Ich muss mir mein Dasein nicht verdienen, nicht durch Wohlverhalten und Leistung, erst recht nicht durch Besitz und Macht, nicht einmal durch Moral. All dem vorweg bin ich längst schon unendlich viel wert, weil Gott schon im ersten Augenblick meines Daseins gesagt hat: Du darfst sein; ich will, dass du bist. Dieser Glaube macht ein Menschenherz ruhig bis zum Grunde. Er nimmt ihm die Angst – die Angst um sich selbst und vor den andern. Und eben dadurch befreit mich dieser Glaube dazu, "ja" sagen zu können zu einem andern, weil die Angst nicht mehr Platz greift, ich selbst würde zu einem Nichts, wenn ich einem andern ohne Einschränkung sage: Ich will, dass Du bist. In der Kraft des immer schon gesprochenen großen Ja's Gottes also dürft Ihr einander Euer menschliches Ja versprechen – als ein endgültiges, das auch dann noch gilt, wenn Ihr einmal eine Krise zu bestehen habt. Denn als Glaubende müsst Ihr ja nicht mehr restlos alles – die Erfüllung Eurer ganzen unendlichen Sehnsucht nach Leben und Angenommensein – von Euch selbst erwarten und Euch darin gnadenlos überfordern. Der Glaubende erwartet sein ganzes Glück stattdessen von Gott. Und das befreit Euch zu wirklich menschlicher Liebe, die nicht einmal an den eigenen – manchmal schmerzlich eng gezogenen – Grenzen und denen des Lebensgefährten verzweifelt, sondern sich auch noch im Werktag der Ehe bewährt.

III.

Wer das Ja-Wort Gottes zu sich einmal angenommen hat, diese Zusage, unbedingt gehalten zu sein in allem, was kommen mag, – dessen menschliche Liebe entfaltet dann auch die ganze Lebensmacht, die ihr eignet. Davon spricht das erste Schriftwort, das Ihr euch für heute ausgesucht habt: Das Hohelied der Liebe aus dem ersten Korintherbrief. Es gibt ja durchaus eine Vielzahl von Dingen, mit deren Hilfe Menschen ihr Leben zu meistern suchen: Kenntnisse und Kompetenz, Eleganz und Eloquenz und was sonst den Eindruck ausmacht, den einer erweckt. Nichts davon ist schlecht. Aber für sich genommen bleibt es zweideutig. Persönlichste Worte und Gesten noch können in Wahrheit strategisch sein, zu eigenen Gunsten und auf Kosten des Gegenübers; wer hätte solches noch nicht erfahren! Erst die Liebe macht alles eindeutig: Wenn ich alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnisse hätte, ja sogar alle Glaubenskraft besäße, sagt Paulus, aber die Liebe nicht hätte, wäre ich nichts. Sie vermenschlicht, was ich bin und habe – meine Stärken, dass sie den andern nicht niedermachen; meine Schwächen, dass ihnen nicht Unehrlichkeiten entwachsen. Darum:

Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig.
Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf....
Sie sucht nicht ihren Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach....
Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.
Die Liebe hört niemals auf.

Sie macht – die Liebe –, dass wir es aushalten mit uns und miteinander. Kein Zufall, dass Paulus, der sonst nicht zögert, seinen Gemeinden harsche Imperative um die Ohren zu schlagen, – dass er von der Liebe im Indikativ spricht. Er weiß, Liebe heißt niemals: Du sollst und Du musst, sondern immer: Du bist. Das ist ihr Geheimnis. Es besteht darin, dass die Liebe im Maß des Menschlichen spiegelt, wie Gott ist – der, der zu uns sagt: ich will, dass du bist. Und nur eingeborgen in dieses Geheimnis werden Menschen auch begreifen können, was Jesus in Eurer zweiten Lesung, im Johannesevangelium, von der Liebe zwischen Menschen sagt: dass sie die Liebenden zu seinen Freunden macht und darum gleichsam hineinzieht in seine Beziehung zu Gott. So werden sie ganz Ohr sein für den, dem sie sich verdanken. Und auf diesem Boden finden sie Stand, um einander ein ganzes Leben zu versprechen. Das ist auch Euer Weg. Das feine Gehör, das es dafür braucht, das erbitten wir heute zusammen mit Euch und für Euch.