Sakrament des Aufstands

Gründonnerstag: 1 Kor 11,23-26


I.
Jetzt, mit dem Abend des Gründonnerstags beginnt Ostern, das wichtigste Fest unseres Glaubens. Für Christinnen und Christen liegt über diesem Abend eine ganz eigenartige Stimmung. Sie erinnern sich der letzten Stunden, die Jesus mit seinen Freunden verbracht hat, bevor er verhaftet und hingerichtet wurde. Sie wissen ja, wie Abschiednehmen ist, Abschiednehmen für lange, vielleicht für immer von jemanden, den man gern hat. Kein Mensch, der eine Seele im Leib trägt, vergisst in einer solchen Stunden, denen, die er verlassen muss, ein Andenken zu schenken. Etwas, was für ihn typisch ist, was die Zurückbleibenden unvergesslich daran erinnert, wie der Fortgegangene war. Genau das hat auch Jesus getan. Beim letzten Abendmahl.

II.
Um zu verstehen, was da geschah, braucht man sich eigentlich nur daran zu halten, wie menschlich Jesus war. In der Geschichte ist sein Andenken, das er den Jüngern hinterließ, ganz oft aus diesem Zusammenhang gerissen und darum missverstanden worden. Dann hat man zu spekulieren begonnen über Brot und Wein und Fleisch und Blut. Und die Kirchen haben sich darüber zerstritten, wer genauer versteht und bewahrt, was Jesus beim Abendmahl gesagt und getan hat. Alles daneben. Als Jesus Brot nahm und Wein, den Segensspruch betete, beides an seine Jünger austeilte und dazu sagte: Das bin ich für euch - da tat er, was er sagte, und sagte er, was er meinte.

Das war sein Andenken. Gar nichts Besonderes. Aber muss ein Andenken etwas Besonderes sein? Leonardo Boff, der große Theologe der Befreiung, erzählte einmal, wie es war, als sein Vater starb. Er, der Sohn, war Kontinente weit weg im Ausland, zum Studium in München, als ihm daheim in Brasilien der Vater starb. Geld hatte er keines, um zur Beerdigung zu fahren. Ein paar Wochen später kam ein Brief von seiner Schwester. Darin erzählte sie ihm in allen Einzelheiten von den letzten Lebensstunden des Vaters. Und eine Zigarettenkippe war beigelegt. Die letzte, die der Vater geraucht hatte. Der Sohn hat die heilig gehalten wie etwas ganz Kostbares. Ein Andenken muss überhaupt nichts Besonderes sein. Hauptsache, es stimmt.

III.
Jesu Andenken hat gestimmt. Was er seinen Jüngerinnen und Jüngern über Gott und das Leben erzählte und wie er zu ihnen war, davon konnte man leben. Das machte vieles leichter. Es nahm einem Last und Angst von der Seele, gab Zuversicht und Kraft. Wie Brot, das man täglich isst, um durchzuhalten und am Leben zu bleiben. Nehmt und esst, das bin ich. – Das Andenken stimmte. – Und jedes Mal, wenn ihr miteinander das Brot brecht, denkt an mich. Dann bin ich bei euch.

Mit dem Kelch und dem Blut ist es übrigens genauso. Man muss nur nahe genug daranbleiben. Dann versteht man. Vor einiger Zeit berichtete ein Journalist von einem peruanischen Familienvater namens Porfirio. Der Mann war seit Jahren arbeitslos. Er erzählte dem Zeitungsmann: Heute verdiene ich mir mein Leben, indem ich alle drei Tage ¼ Liter meines Blutes verkaufe. Mit den 100,- Intis – soviel wie ein paar Pfennig -, die sie mir dafür geben, kann ich die Milch für meine drei Monate alte Tochter kaufen. Aber ich weiß nicht, wie lange ich das noch machen kann. Der Doktor sagt, ich hätte schon Anzeichen von Blutarmut. – Der Mann gab sein Blut hin für seine Frau, seine Kinder, damit sie lebten.

Nicht nur die Leiber müssen leben. Die Seelen auch. Und das kostet einen manchmal Leib und Leben für andere. So war es bei Jesus. Er schonte sich nicht. Unablässig hat er gepredigt: Gott ist für dich da, Mensch. Ohne wenn und aber. Er lässt seine Sonne aufgehen über Gute und Böse und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte, heißt es in der Bergpredigt. Nicht weil es egal ist, ob einer gerecht ist oder ungerecht, gut oder böse, sondern um den, der böse oder ungerecht ist, durch Güte zu bestürzen, weil nur so ein Mensch überhaupt fähig wird, aus den Verkehrtheiten seines Lebens, in die er sich verrannt hat, umzukehren. Und weil Gott so ist, kannst du es aushalten mit dir, Menschenkind.

Wegen dieser Predigt wurde er angefeindet. Sie ging vielen gegen den Strich. Jesus wusste: Ich kann keinen Deut davon aufgeben. Nur so bin ich selber dem treu, was ich sage. Und wenn Gott wirklich für uns unbedingt da ist, wird er mich auch nicht fallenlassen, wenn sie mir für diese Treue das Leben nehmen. Dann werden die, die auf mich vertrauen, gerade dadurch – durch mein Sterben – das finden, was ich ihnen bringen wollte: Gott selbst, wie er in Wahrheit ist. Darum: Nehmt und trinkt. Miteinander aus dem einen gesegneten Kelch trinken heißt: Mit Gott einen Bund schließen. Sich ihm verbünden. Ihm trauen. Von ihm leben wollen. Dafür hat sich Jesus bis zum Letzten eingesetzt. Bis aufs Blut sagen wir noch heute, wenn jemand etwas ohne Vorbehalt tut und ohne auf Kosten und Nutzen für sich selbst zu schauen. Und weil Jesus ganz so war, wie Gott ist, hat er dieses Zeichen als Andenken gewählt: Der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, meine Lebenskraft für euch zur Vergebung der Sünden – dafür, dass ihr wieder ganz mit Gott verbunden seid. Also: das Zeichen mit dem Kelch stimmt auch.

IV.
Das ist das Geheimnis des Glaubens. Jesu Andenken, dass er zurückließ, als er sterben musste. Brot und Wein. Unsere Seelen brauchen es, damit sie leben können. Von daher lässt sich auch verstehen, warum das Osterfest beginnt und endet mit tiefgründigen Inbildern der Liebe. Am Anfang des Osterfestes steht der Gründonnerstag mit dem Abendmahl, jener Szene, die uns Gottes ganze Leidenschaft für uns offenbart: Der Herr kniet nieder und wäscht seinen Jüngern die Füße. So ist Gott. Er erniedrigt sich und beugt sich ganz nach unten, um den demütigsten Dienst zu erweisen, den es gibt. Ich bin da für dich ich, der Unendliche, für dich, die Hand voll Lehm mit dem Lebenshauch darüber. Im Brot, das sich verzehren und verbrauchen lässt, damit wir leben, bleibt dieser Liebesdienst Gottes als lebendiger gegenwärtig für alle Zeit. Auch heute.

Und am Ende des Osterfests feiern wir das Hohe Pfingsten. Nicht von ungefähr erzählt uns die Apostelgeschichte, dass am Pfingsttag die Jünger, diese ungebildeten Fischer, auf einmal in fremden Sprachen reden und dass ein jeder Parther, Meder, Elamiter,... Juden und Proselyten, Kreter und Araber sie in seiner Sprache die großen Taten Gottes verkünden hörte (vgl. Apg 2). Mit dieser Geschichte vom pfingstlichen Sprachenwunder schlägt die Apostelgeschichte einen ungeheuer kühnen Bogen zurück zum letzten Kapitel der Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis, wo auch ein Sprachenwunder, nein besser, ein Sprachenunglück geschah: der Wirrwarr beim Turmbau von Babel. Das Misstrauen, seitdem Adam und Eva bezweifelten, dass Gott wirklich der untrüglich Gütige, der gönnende, der liebende ist, dieses Misstrauen mündet am Ende in den totalen Zerfall aller Gemeinschaft. Und als die Menschen gegen dieses Unheil versuchen, sich selbst mit dem himmelragenden Turm zu sichern, zerstreiten und zerstreuen sie sich so sehr, dass einer nicht einmal mehr des anderen Wort versteht. Das Zueinander, die Sympathie und die Liebe sterben ab. Die zerstörerische Urgewalt der Macht, das ist die Ernte des Misstrauens in die Liebe des Schöpfergottes.

An Pfingsten jedoch ist wieder Erntetag, ein gänzlich anderer freilich: Menschen schauen auf den gekreuzigten und von Gott auferweckten Jesus von Nazaret. Sie erkennen an ihm, was sie Gott wert sind: mehr als alles, mehr als er sich selbst. Das bestürzt sie so sehr, dass sie ihre Knie beugen, mit dem Thomas rufen „Mein Herr und mein Gott“, und so ja sagen zu der Liebe, die Gott ihnen schenken will. So wird der gekreuzigte Auferstandene das Inbild dafür, wie Gott zu uns steht, und dafür, dass die Liebe, so sinnlos und ohnmächtig sie auch scheinen mag, niemals trügt. So ungeheuer bis zu den letzten Wurzeln des Daseins sich angenommen wissen, das macht den Menschen frei, dann auch selber im Übermaß gütig zu sein und Liebe zu schenken. Darum vermag der österlich-pfingstliche Mensch alle Barrieren zu überspringen, die ihn von anderen trennen. Das führt die Menschen zueinander und begründet nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte ein gänzlich neues Leben, in dem sie sogar noch die irdischen Güter miteinander teilen. Weil sie der Liebe Gottes zu ihnen wieder trauen, werden sie fähig, einander zu lieben. Beglückende Nächstenliebe ist die Ernte des Vertrauens in die Gottesliebe. So ist das ganze Osterfest beseelt und zusammengehalten von der Liebe.

V.
Begründet im Glauben an den gekreuzigten Auferstandenen, befeuert von der Hoffnung, dass es einmal doch gut ausgeht mit uns, ist die Liebe die Tugend der gewaltlosen Subversion all dessen, was unser Menschenleben knechtet. Seit der Auferstehung Jesu sind wir gewiss, dass es das wirklich gibt. Und im Aufstand gegen alle Lieblosigkeit der Welt und auch der Kirche (!) erfahren wir Ostern selber an Leib und Seele. Was bräuchten Welt und Kirche heute nötiger als solchen österlichen Aufstand? Wie viel Verfallenheit an die Instrumente der Macht, wie viel Angst vor der Vielfalt und Leidenschaftlichkeit gelebten Lebens entstellen doch immer neu das Antlitz der ihrem innersten Wesen nach österlichen Kirche? Wie viel verweigerte Liebe dem Partner, den Kindern, den Eltern, Freunden und Fremden gegenüber breitet sich wie ein bleierner Todeshauch über unsern Werktag! Wie ungeheuer notwendend gegen all das sind die österlichen Aufstände unbeirrbarer Liebe, zu denen uns weil wir Christen sind der Auferstandene ermächtigt. Feiern wir seinen Ostersieg jedes Mal neu mit der ganzen Hingabe unseres Herzens, damit das große liebende Ja Gottes zu uns seinen lebendigen Widerhall finde in unseren aus Liebe aufständischen Gedanken.

Jeden Sonntag feiern wir das Andenken an dieses Geheimnis unseres Glaubens. Heute ist der Jahrestag, da er es uns geschenkt hat. Wem dieser Jesus wichtig ist, der wird ihm heute besonders Dank sagen wollen.