Glücksfall Gottesreich

17. Sonntag A: Mt 13, 44-46

I.

Gut zwei Jahre sind es her, dass eine einfache Frau aus Niederbayern zur Bestsellerautorin wurde. Die Rottaler Bäuerin Anna Wimschneider hatte in schlichten Worten die Geschichte ihres Lebens niedergeschrieben. Hunderttausendfach hat dieses Stück Zeitgeschichte unter dem Titel "Herbstmilch" Leser gefunden; sogar verfilmt wurde die Autobiographie. Im Zusammenhang einiger besonders einschneidender Erlebnisse vor allem in der Kinderzeit kommt die Autorin auch auf die Kirche zu sprechen: Übriges Geld war nie (schreibt sie)- auch der Vater hatte kaum etwas. Oft kam der Gerichtsvollzieher, weil der Vater nicht die Steuern bezahlen konnte. Dann mussten alle Kinder antreten, da ging er wieder fort. - Bevor nicht alle Kinder aus dem Haus waren und die Kleinen versorgt waren (wir waren im ganzen 8), durfte ich nicht zur Schule gehen. So kam ich immer zu spät. Der Lehrer hatte Verständnis, aber der Pfarrer nie. Der schimpfte mich jeden Tag, weil ich nicht zur Schulmesse kam. Er sagte, ich müsse eben früher aufstehen... ich war sehr traurig, weil ich ja gar nichts dafür konnte. Als aber der Pfarrer mich in der Kirche geschlagen hat, weil ich kein "Lob Gottes" wie die anderen Kinder mitbrachte – wir hatten nur vier Gebetbücher für die vielen Kinder - , da ist der Vater zur Polizei gegangen. Der Pfarrer musste 30 Mark Strafe zahlen. Darauf hat der Pfarrer an den nächsten beiden Sonntagen in der Predigt geschrieen als wäre eine Kirchenverfolgung....Mein Vater saß mit unbewegtem Gesicht in seiner Bank. Ich war ihm dankbar, weil er mir geholfen hat. Was wird ein Kind denken, dem Kirche so begegnet? Und so noch einmal in der Jugendzeit: - Bei der Osterbeichte fragte der Pfarrer die verheirateten Bauersleut, ob der Kindersegen verhütet worden ist, und das war eine Todsünde. Da kommt man im Fall eines plötzlichen Todes gleich in die Hölle. Meine Mutter ist beim letzten Kind gestorben, weil sie nicht in die Hölle kommen wollt. Der Doktor hatte schon gewarnt, aber die Mutter wollte das nicht auf ihr Gewissen nehmen. Unsere Mutter hat sich aber aus der Ewigkeit um uns Kinder gekümmert und es sind alle große und richtige Leut geworden.

II.

Anna Wimschneider rechnet nicht bitter ab. Sie urteilt auch nicht. Sie erzählt nur. Aber gerade das macht ihre Geschichte so bestürzend. Sogar noch der Gerichtsvollzieher handelt im Anblick der Umstände verstehend, ja einfach menschlicher als der, dem von Amts wegen aufgetragen ist, die Menschenfreundlichkeit Gottes zu bezeugen. Ist nicht ein Wunder, dass einem jungen Menschen über dem brutalen Gebotsfanatismus und der Gnadenlosigkeit des kirchlichen Gnadenverwalters der Glaube an Gott nicht zerbricht? Gewiss war auch damals längst nicht jeder Pfarrer so. Aber Einzelfall war er mit Sicherheit keiner. Und regelmäßig waren es gerade die Kleinen und Wehrlosen, die die geballte Autorität der Hochwürdigen Herren als erste zu spüren bekamen. Der Geschichten darüber, die ich selber schon aus dem Mund älterer Christen gehört habe, ist Legion. Nicht immer ging es so gut aus wie bei Anna Wimmschneider. Denn für viele, viele zu viele sind solche schmerzlichen Begegnungen mit Priestern und Ordensleuten zum Wurzelboden für die Frage geworden, was denn die Kirche, die sich so gebärdet, noch mit dem zu tun hat, auf den sie sich als ihren Herrn beruft.

III.

Und in der Tat: Welten trennen solche Erlebnisse von der Art und Weise, wie Jesus als Sachwalter Gottes in der Welt auftrat. Das heutige Evangelium führt uns gleichsam bis in die unterste Seelenschicht Jesu hinab, bis dorthin, wo in seinem eigenen Fühlen und Sprechen Gottes Geheimnis selbst sich erahnen lässt und warum er so war, wie er gewesen ist. Im Medium der zwei Gleichnisse von vorhin hat er uns dieses Geheimnis mitgeteilt: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker.-

In seinem Beten, im Betrachten der Heiligen Schriften des Alten Bundes und wohl auch in der Feier des Gottesdienstes der Synagoge hat Jesus eines Tages eine Entdeckung gemacht, die ihn so überwältigte, dass sie ihn nie mehr losließ und letztlich dazu brachte, mit der öffentlichen Predigt vom Gottesreich zu beginnen. Mit einem Mal stand ihm in letzter Klarheit vor Augen, wer Gott ist: Gott ist mein persönlicher Glücksfall – er ist für mich so wie etwas, das es im ganzen Leben nur ein einziges Mal gibt, gleichsam ein völlig unverhoffter, beglückender Fund, der den höchsten Einsatz wert ist, um ihn für immer zu gewinnen – gerade so wie der Mann im Gleichnis, der sein ganzes Hab und Gut für den Acker drangibt, um den in ihm verborgenen Schatz zu gewinnen, den er gefunden hatte. In dem Augenblick, da ein Mensch eben dieses Geheimnis Gottes – sein Glücksfall zu sein. Mit allem ergreift, was ihm zu Gebote steht,- in diesem Augenblick hat für diesen Menschen das Gottesreich angefangen, Wirklichkeit zu werden –dass wieder stimmt zwischen Himmel und Erde, zwischen Schöpfer und Geschöpf. Gerade so, wie Gott von Anbeginn das traute Zueinander zwischen sich und seinem Werk gedacht hatte: dass wir verängstlichen, ja menschlich gesehen –zufälligen Wesen vertrauensvoll mit der Gewissheit leben: da ist einer, dem ich mich verdanke, weil er mich grundlos – aus Liebe – gewollt hat; einer, der mich darum auch trägt im Hier und Jetzt meines Daseins, auch und gerade in dem, was über mein Verfügen hinausgeht; einer schließlich, in dessen bergende Sympathie einmal auch alles zurückfallen wird, was ich auf Erden gelebt habe und gewesen bin – einer also, der mir Grund gibt zu glauben, es sei gut, dass es mich gibt, und der mir dadurch auch die Größe schenkt, das auch einem anderen an meiner Seite zu sagen und so für ihn so etwas wie ein kleiner Widerschein dessen zu werden, der hinter uns allen steht. Sind wir alle nicht ein ganzes Leben lang wie Kaufleute, die in der Unüberschaubarkeit der Welt und ihrer Reichtümer nach eben einem solchen Schatz suchen, der uns mehr als alles andere bedeutet? Mit Sicherheit werden wir bei dieser Suche zwischen Sand und Steinen so manche wertvolle Perle finden, über die wir glücklich sind: Gesundheit und ein langes Leben, die Liebe eines Menschen, das Gelingen eines Werkes, das Bestehen großer Not und mehr noch, was uns zutiefst am Herzen liegt. Und doch findet unsere Sehnen – wenn wir es denn nicht zuschütten – bei all dem nicht wirklich Ruhe, bis es die eine Perle, die kostbarer ist als alle anderen, entdeckt hat, Und dann geht der Kaufmann hin, verkauft alles, was er besitzt, und kauft die eine- so ist es mit dem Himmelreich, sagt Jesus, so ist es, wenn du Gott gefunden hast. Er macht die anderen Perlen darob nicht wertlos. Im Gegenteil: hat er dir doch auch diese anderen geschenkt. Aber wenn du ihn als den größten Schatz deines Lebens gefunden hast, wirst du bewahrt bleiben davor, eines anderen Güter für dich zum Ein und Alles zu machen – und dadurch zu klein von dir denken: E dio solo basta, sagt die Hl. Teresa von Avila – Gott allein ist groß genug, dass er die Unendlichkeit unserer suchenden Seelen ausfüllen kann. Keine Frage dann auch – nebenbei bemerkt -, dass es für den oder jenen ein freudiges und darum zutiefst menschliches Verzichttum geben kann auf einen Schatz, den er ergreifen könnte, aber nicht ergreift, weil solcher Verzicht auf geheimnisvolle Weise dem Gewinn des Größeren und Größten dienst. Doch wehe, man versuchte aus dem, was immer und nur dem einzelnen unverfügbar und für andere unbegreifbar möglich ist, ein ehernes Gesetz für alle zu schmieden!

Unbeschadet all der kritischen Fragen, die sich gerade diesbezüglich die katholische Kirche wird gefallen lassen müssen, verdienen zu allererst Jesu Gleichnisse aus dem heutigen Evangelium unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Denn: was für ein Gott, der des Menschen Glücksfall sein will! Und was für ein Bote dieses Gottes, der durch seines eigens unverstelltes Reden und Sein und Tun uns bezeugt und beglaubigt, dass Gott wirklich so ist – am allermeisten dort, wo wir gar nicht mehr glauben können, dass es Glück auch für uns noch soll geben können, wenn wir am Boden sind.

IV.

Wie hat doch Anna Wimschneider am Ende der Erzählung vom Sterben ihrer Mutter geschrieben?: Unsere Mutter hat sich aber aus der Ewigkeit um uns Kinder gekümmert, und es sind alle große und richtige Leute geworden. – In diesen wenigen, schlichten Worten schimmert etwas durch von dem Vertrauen, durch alles Schlimme hindurch unverlierbar gehalten zu sein von einem, der mir wahrhaft gut und darum mein größter Schatz ist. Helfen wir einander durch das gegenseitige Glaubenszeugnis und die Güte zueinander, etwas von jenem größten Schatz des Lebens entdecken und zu ergreifen. Und beten wir darum, dass das auch dort noch geschehe, wo menschliches Versagen der Kirche und ihrer Amtsträger diesem Fund im Wege stehen.