Was frei macht

Christi Himmelfahrt B: Mk 16,15-20

I
von 1775 bis 1783 dauerte der Krieg, in dem sich Amerika – damals noch aus 13 Kolonien bestehend – unabhängig machte vom Mutterland Großbritannien. Voller Stolz schauen die Amerikaner noch heute auf diese Zeit zurück und auf die, die damals die Freiheit erstritten. Alle Dokumente von damals hat man sorgfältig aufbewahrt. Darunter auch das Tagebuch eines namentlich nicht bekannten Soldaten. Kurz nach Ende des Krieges hat der Mann darin Folgendes niedergeschrieben:

Ich bat Gott um Stärke, aber er machte mich schwach,
damit ich bescheiden würde und demütig.
Ich bat seine Hilfe, um große Taten zu vollbringen,
aber er machte mich kleinmütig, damit ich gute Taten vollbrächte.
Ich bat um Reichtum und Güter, um sorglos zu sein; er machte mich arm, damit ich weise würde und unabhängig und frei.
Ich bat um alle Dinge dieser Welt, damit ich das Leben
genießen könnte. Er aber gab mir das Leben, damit ich mich freute – an den Dingen dieser Welt.
Ich erhielt nichts von dem, was ich erbat, aber alles,
was gut war für mich.
Gegen mich selbst wurden meine Gebete erhört; ich bin ein gesegneter Mensch.


II
Da gehört Gottvertrauen dazu, dass einem so etwas über die Lippen kommt: „Gegen mich selbst wurden meine Gebete erhört“. Das Vertrauen, selbst noch und gerade in dem von Gott gehalten zu sein, was gegen meine Pläne und Vorstellungen geschieht. Es ist genau das Gottvertrauen, ohne das niemals eine Kirche entstanden wäre und ohne das es darum heute auch uns hier nicht gäbe.

III
Auch die ersten Christinnen und Christen, die Apostel und Apostelinnen, hatten sich die Sache mit Jesus ganz anders vorgestellt. Sie waren mit ihm gegangen, weil er auf eine Weise von Gott redete, die sie ins Innerste traf. Und weil er durch sein eigenes Tun und Leben, – damit, wie er zu ihnen und zu anderen war –, beglaubigte, dass Gott wirklich so ist, wie er sagte: der Treue und Liebende, dem nichts zu viel ist für uns, nicht einmal dort, wo der Mensch diese Treue und Liebe nicht erwidern mag. Sie hatten erwartet und gehofft, dass die Macht, ja die Wucht dessen, was Jesus sagte und tat, – dass die alles niederbrechen würden, was verkehrt war zwischen Himmel und Erde, auf dass beide, Gott und Mensch wieder zueinander finden so, wie es gut ist. Stattdessen endet derjenige, von dem sie das erwartet hatten, am Kreuz, gehenkt und um die letzte Ehre gebracht.

Zwar geht ihnen bald auf, dass auch der Tod am Kreuz Jesu Botschaft von Gott nicht ungültig machen konnte, ja, dass dieses sein Sterben – die Art, wie er sich da Gott anvertraute –, dass das im Gegenteil seine Botschaft erst recht und ganz glaubwürdig machte; sie sagen „Ostermorgen“ dafür. Sie konnten gar nicht anders, als überzeugt zu sein, dass bei Gott lebt, wer als Mensch stirbt so wie er. Aber: Er, auf den sie gesetzt, und an den sie sich gehängt hatten – er war nicht mehr da.

IV
Eines einzig bleibt ihnen noch: der Glaube. Es bleibt ihnen, Gott so zu trauen, wie Jesus ihm getraut hatte – ohne jede Garantie. Und in dem Augenblick, da sie das wagen, da erfahren sie Eigenartiges. Das Evangelium erzählt: Sie trieben Dämonen aus, das heißt: Sie geben Menschen, die aus welchen Gründen auch immer nicht mehr ihrer selbst Herr, Herrin waren, weil von Zwängen oder Süchten gequält, – ihnen geben sie Freiheit und Souveränität zurück. – Sie redeten in neuen Sprachen, das heißt: Sie können sich mit Leuten verständigen, die ihnen zutiefst fremd zu sein scheinen. – Sie konnten Schlangen anfassen und tödliches Gift trinken, ohne Schaden zu nehmen. Schlangen und Gift stehen in der Bibel immer für Angst vor der Vergänglichkeit. So meint es: Sie können getrost daran denken, dass sie einmal sterben werden, ohne in Panik zu verfallen. – Und Kranke wurden gesund, denen sie die Hände auflegten. Das will sagen: Sie können so warmherzig Zuneigung, Sympathie, also Mitleid verschenken, dass denen, denen es schlecht geht, das Leben wieder erträglich wird. Das alles ist Folge dessen, dass sie Gott so vollständig trauen, wie Jesus ihm getraut hatte.

V
Wenn sie über all das nachdachten, dann sagten sie: Es ist, wie wenn der Herr selbst in uns und mit uns all das wirkte. Was er tat und lebte, ist in uns lebendig. Und je länger, je mehr verstanden sie jetzt: Nicht obwohl, sondern weil er nicht mehr unter uns ist, tun wir, was er getan hat. Ja genau darum ging er von uns, dass wir selbst verantwortlich und selbstständig tun, was er gebracht hat. Ohne ihn hätten wir keine Ahnung davon. Aber jetzt verkörpern wir ihn gleichsam. Er wirkt in uns. Er steht uns darum  bei von dorther, wo er jetzt ist. Alles, was er war, ist aufgehoben – denn das meint ja: Himmelfahrt –, es ist aufgehoben bei Gott. Was bei Gott ist, bleibt für immer und lebendig und voller Kraft. Jeder, der glaubt – also Gott traut wie Jesus –, wird das erfahren.

VI
Es mag viele Dinge geben, um die wir bitten möchten: Kraft und Glück und Erfolg und was alles noch. Manchmal scheint uns Gott all das vorzuenthalten, dass uns bloß noch der pure Glaube bleibt. Zutiefst arm fühlen wir uns dann. Aber wem das geschieht, der darf sich sicher sein: Es geschieht, damit er oder sie weise wird und unabhängig und frei. Das ist das Versprechen dieses Tages. Wir dürfen uns daran halten. Alle und immer. Hier und anderswo.