Wir sind mit dabei

Maiandacht: 1 Kor 15, 20-27a    


I
Eine jüdische Überlieferung erzählt: Als Rabbi Chaim von Woloschyn starb, durfte er wegen seines heiligmäßigen Lebens vom Totenbett weg sogleich in den Himmel eintreten. Doch an der Pforte angekommen, lehnte er ab. Er wolle hier warten, sagte er, bis alle Schüler und Lehrer seiner Jeschiwa, also seiner Glaubensschule, auch da wären. Etliche Zeit verging, endlich waren alle da, auf die Chaim gewartet und deretwegen er noch nicht den Himmel betreten hatte. Doch da wollte er wieder nicht eintreten: Diesmal gab er als Grund an: Er wolle warten, bis alle Juden soweit seien, dass sie den Himmel betreten dürften. Die Bitte wurde ihm gewährt. Endlich waren alle Juden da. Aber Rabbi Chaim wollte wieder nicht eintreten: Lasst uns warten mit dem Himmel, bis auch noch alle Heiden da sind, sagte er.

II
Leute, die nichts von Religion und Glaube halten, behaupten gern, Gläubige seien egoistisch. Ihnen ginge es – selbst wenn sie anderen Gutes tun – nur um die eigene Seligkeit. Geschichten wie die vom Rabbi Chaim aus Woloschyn beweisen das Gegenteil. Und es gibt eine ganze Menge davon – Ausdruck dafür, wie verbreitet der Gedanke war und ist, dass man den Himmel nicht für sich haben kann, weil man sich an der Seligkeit so richtig gar nicht freuen vermag, solange andere – und im Grunde nicht nur die Nächsten, sondern auch noch die Fernsten – davon ausgeschlossen wären.

III
Zu den großen Marien-Festtagen unseres Glaubens gehört auch „Mariae Himmelfahrt“, das wir am 15. August begehen. Dieses Fest möchte zum Ausdruck bringen: Das Einmalige, das mit Jesus Christus geschah, bleibt nicht auf ihn allein beschränkt. Er hat sein Leben so gelebt, dass es mit allem, was dazugehörte, vor Gott ganz gültig war. Was aber vor Gott gültig ist, ist endgültig. Darum wurde, was Jesus gesagt, getan, gelebt hatte, auch durch seinen Tod nicht ungültig. Im Gegenteil fand es gerade an diesem seinem Ende eine Bestätigung. Gott hat ihn auferweckt, sagen die Christen von Anfang an dafür. Und sie meinen damit: Nichts von Jesus ging durch seinen Tod verloren. Alles an ihm, er selbst, wird hineingenommen in ein anderes, ein neues Leben bei Gott.

Dass es das gibt, wurde durch Jesus offenkundig – und eben das macht seine Einmaligkeit aus, die durch nichts mehr überholt werden kann. Durch ihn wurde offenbar, wie groß der Mensch von Gott gemeint ist und dass das Leben unabhängig von weltlichem Rang und Stand und Erfolg eine Innenseite hat, die unvergänglich ist. Aber diese Innenseite ist nicht etwas, das allein er besitzt. Im Gegenteil: In seinem ganzen Tun und Lassen ging es ihm einzig darum, Menschen zu helfen, diese ihre Innenseite, die sie immer schon besitzen, ernst zu nehmen, besser: überhaupt erst einmal wahrzunehmen, weil sie auf vielfältige Weise verschüttet sein kann: durch Unterdrückung, durch Blindheit für sich selbst, durch die Sünde, die nichts anderes meint, als dass einer beharrlich und obwohl er es schon besser weiß, gegen sich selbst lebt und damit sich und andere kaputtmacht.

IV
Als die frühen Christinnen und Christen das begriffen, begannen sie bald darüber nachzudenken, wer denn diese seine Innenseite schon ganz gelebt haben könnte, wie Jesus es gemeint hatte. Und da fiel ihnen wie von selbst als erste Maria, Jesu Mutter, ein. Das Neue Testament beschreibt uns Maria gänzlich nüchtern, ohne Verklärung und Kitsch. Es spricht ehrlich davon, wie schwer es ihr fiel, alles zu begreifen, was Jesus tat und wie er war. Aber ein Zug taucht überall auf, wo von ihr die Rede ist – ihr Glaube, ihr Gottvertrauen: Angefangen von der Verkündigungsszene über die Hochzeit von Kana bis zum Karfreitag hat sie nie aufgehört, das was geschah, im Licht des Gottesglaubens zu sehen und zu deuten. Eines Glaubens, der darauf vertraute, dass Gott gerade die Kleinen, die Niedrigen nicht übersieht, dass er ihnen Recht schafft gegen die, die sich groß machen und groß dünken, und dass er derer nie vergessen wird, die auf ihn hoffen.

V
Wer so lebt, lebt so, dass Gott dazu Ja sagen kann. Wozu Gott ja sagt, das gehört ihm. Darum lobten die Christen von früher Zeit an Maria als die erste, die nach Christus mit allem, was zu ihr gehörte, ganz bei Gott ist – aufgenommen in den Himmel. Gott allein weiß, wie viele außer Maria auch schon ganz dort sind, wohin im tiefsten alle wollen. Wüssten wir es - ich bin sicher wir würden staunen, wer alles schon dabei ist. Allein schon deswegen, weil wir Menschen uns allein für uns gar nicht richtig freuen können, weil gemäß dem Sprichwort geteilte Freude doppelte Freude ist, darum werden es viele sein – wie die Geschichte von Rabbi Chaim es sagt. Maria ist „nur“ die Erste nach Jesus, von der wir das so gewiss sagen können. Darum ist sie für uns ein lebendiges Erinnerungszeichen daran, was Gott allen, also auch uns, zugedacht hat.