Vom Priesterlichen am Gründonnerstag

Gründonnerstag C [Systematisch]

             
I
Jetzt sind wir eingetreten in das Triduum Pasquale, die Heiligen Drei Tage, die der Quellgrund des christlichen Glaubens – die Feier von Tod und Auferstehung Jesu, des Herrn. Heute, am Abend des Gründonnerstags, gedenken wir des Abschieds Jesu von seinen Jüngern in jenem denkwürdigen Mahl, das wir seitdem in jeder Eucharistiefeier – nein – nicht nachspielen, sondern nachvollziehen, indem wir die Worte und Zeichen von damals mit der Erfahrung des Ostermorgens füllen und so zu einem Freudenfest wandeln.

II
Der erste Gründonnerstag damals war aber genau das nicht – ein Freudenfest –, sondern eine Stunde voller Melancholie und, ja, auch Trauer, weil Abschiedsstunde. Im oberflächlichen Glaubensbewusstsein wird das ausgeblendet. So wie bei dem österreichischen Schüler, der auf die Frage des Lehrers, was denn das letzte Wort Jesu an seine Jünger gewesen sei, antwortete: „Jetzt is eh scho wurscht, in drei Tag bin i sowieso auferstanden“. Über so etwas aus Kindermund lachen wir gern. Doch ich habe genau diese Denke in hohen klerikalen Kreisen selbst erlebt, und sie ließ mir das Lachen im Halse stecken. Als ich Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in Rom studierte und privilegiert im Campo Santo Teutonico, dem deutschen Kolleg im Vatikan, wohnen durfte, da erlebte ich, dass just am Gründonnerstagabend das opulenteste Mahl des Jahres – meist mit sechs Gängen – aufgetragen wurde, weil da die anwesenden Kleriker ihre Weihe und damit ihren Status feierten. So, als ob Jesus im Abendmahlsaal das Sakrament der Priesterweihe – und speziell der Vollmacht der Wandlung – gestiftet hätte. Und die meisten der Feiernden Hochwürden glaubten das tatsächlich. Ich war aus meiner theologisch völlig ungebildeten Familie und der Arbeiterpfarrei, in der ich groß geworden war, ganz anderes gewohnt. Schon dort hatte ich gelernt, dass man am Gründonnerstag sehr behutsam und zurückgenommen von dem spricht, was da berichtet wird, und dementsprechend auch mit ganz schlichten Speisen von Brot und Wein, ein wenig Apfelmus und Bitterkräutern, meist Rucola, sich hineinfühlt in das, was da gefeiert wird. Das Apfelmus erinnert übrigens dabei an den Lehm, mit dem die Israeliten in der Gefangenschaft die Ziegel brannten für die Städte, die sie zu bauen hatten. Und Bitterkräuter kommen deswegen ins Spiel, weil Israel beim Auszug angesichts des Todes der ägyptischen Erstgeborenen nicht einfach froh und frei sein konnte, sondern sich auch der Trauer der Ägypter erinnerte. Und ganz ähnlich, dass beim jüdischen Sedermahl während der Aufzählung der zehn ägyptischen Plagen, die doch eine Siegergeschichte der Israeliten ist, immer etwas Wein mit dem Finger aus dem Becher gespritzt wird. Rabbi Eisik Tyrnau aus dem 15. Jahrhundert meinte dazu:
Der Weinbecher ist ein Symbol der Freude. Da jedoch die Ägypter, die unter den Plagen zu leiden hatten, trotz ihrer Feindschaft zu unsere Mitmenschen waren, kann unsere Freude nicht vollständig sein.
So menschlich und mitfühlend ist der biblische Glaube, selbst dort noch, wo – von außen gesehen – Feinde aufeinander treffen.

III
Vielleicht kommt eben daher, dass nur noch bedingt überraschen kann, die aufwühlendste Vertonung des Gründonnerstagsgeheimnisses von einem Doppelmörder kommt. Es geht um Don Carlo Gesualdo da Venosa. Der Adlige, in dessen Stammbaum der Hl. Karl Borromaeus und Papst Pius IV. stehen, hatte seine Frau bei einem Seitensprung ertappt und sie sowie ihren Liebhaber erdolcht. Gerichtlich wurde das nicht verfolgt, weil damals Ehrenmorde unter Adligen nicht gesühnt wurden. Aber ihn selbst hat die Tat bis ans Lebensende in tiefste Depression gestürzt. Aus ihr heraus hat er die „Tenebrae“ komponiert, Gesänge auf den Gründonnerstag, den Karfreitag und Karsamstag. „Tenebrae“ - Dunkelheiten. Die Texte, die den Kompositionen zugrunde liegen, bestehen einzig aus Bibelzitaten, ein wenig ausgestaltet mit kommentierenden Worten. Etwa so:
Am Ölberg betete er zum Vater: Mein Vater! Wenn es geschehen kann, so gehe dieser Kelch vorüber an Mir: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
Oder:
Mein Freund hat mich verraten mit einem Kuß! Den ich küsse, der ist es: Ergreifet ihn! Dieses frevle Zeichen hatte er ihnen gegeben: mit einem Kusse vollbrachte er den Mord. Das Blutgeld warf der Unselige hin und erhängte sich am Ende mit einem Strick.

IV
Der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer hat sich 1965 in seinem Buch Tynset dieser Gesualdo-Geschichte angenommen und sie poetisch ausgefaltet, die ganze Verzweiflung ins Wort gebracht, die Gesualdo durchpuslte. Obwohl in einer norwegischen Kleinstadt weilend, imaginiert Hildesheimer das Geschick des Gesualdo:
Hier liege ich […]
in diesem Bett, in dem der Mörder liegt, Don Carlo Gesualdo, in seinen letzten Nächten, ganz seinem Gott zugewandt, in Verlangen nach Vergebung, Carlo, in seiner letzten Nacht, in sehnlicher, vergeblicher Erwartung eines Wortes von seinem Schöpfer –

Aber eben genau das war es, was uns das Evangelium vom Jesus im Garten Getsemani nach dem Abendmahl erzählt. Dass er vergeblich auf ein Wort des Schöpfers, des Vaters, wartete, was ihn nach des Lukas Zeugnis Blut schwitzen ließ aus lauter Angst. Da war er dem Liebesmörder Gesualdo näher als allen Frommen, die es auch noch gibt. Darum konnte der Gründonnerstagsgesänge komponieren, die einem fast die Seele zerreißen.

V
Und nur unter diesem Vorzeichen der Melancholie, scheint mir, darf – anders als ich das im Vatikan erlebte – am Gründonnerstag mit Blick auf das Abendmahl auch vom Priestertum die Rede sein. Eine Salzburgische Handschrift aus dem Mittelalteralter bringt das treffend ins Wort. Dort heißt es:


Ein Priester muß sein
Ganz groß und klein,
Vornehmen Sinn’s
Wie aus Königgeschlecht,
Einfach und schlicht
Wie ein Bauernknecht;
Ein Held, der sich selber bezwungen,
ein Mensch, der mit Gott gerungen;
Ein Quell von heiligem Leben,
Ein Sünder, dem Gott vergeben;
Ein Herr dem eigenen Verlangen,
ein Diener der Schwachen und Bangen;
Vor keinem Großen sich beugend,
Zu dem Geringsten sich neigend;
Ein Schüler von seinem Meister,
Ein Führer im Kampf der Geister;
Ein Bettler mit flehenden Händen,
Ein Herold mit goldenen Spenden;
Ein Mann auf den Kampfesstätten,
eine Frau an den Krankenbetten;
Ein Greis im Schauen,
Ein Kind im Trauen;
Nach Höchstem trachtend;
Das Kleinste achtend;
Bestimmt zur Freude,
Vertraut dem Leide,
Weitab vom Neide;
Im Denken klar,
im Reden wahr;
Des Friedens Freund,
Der Trägheit Feind;
feststehend in sich –
Ganz anders als ich.

VI
Das war – mit Ausnahme der letzten Zeile – soeben das Inbild des Priesters Jesus, dessen also, der die Brücke schlägt zwischen Gott und Mensch und beide zu versöhnen vermag. Und die Grundgeste des Priesters Jesu, den der Hebräerbrief nicht zufällig als einzigen Menschen so bezeichnet und gar mit dem Titel Hohepriester auszeichnet, ist – die Fußwaschung, also das Dienen, das sich für nichts zu gut ist, nicht einmal für das Kleinste.

Jedes priesterliche Tun in der Kirche muss eben daran Maß nehmen. Es wird immer dahinter zurückbleiben, selbst in höchsten hierarchischen Rängen, dort vielleicht noch mehr als ganz unten. Aber wenn es sich auf die Melancholie des unter seine Schuld gebeugten Gesualdo einlässt, in der sich Getsemani-Angst Jesu spiegelt, dann wird es sich niemals überheben.

VII
Paul Celan, der Jude, der so oft dem Christlichen nachgedacht hat und nahekam, hat auf seine Weise die Töne der Tenebrae von Gesualdo unter eben diesem Titel nochmals in Worte übersetzt:

Nah sind wir, Herr,
nahe und greifbar.

Gegriffen schon, Herr,
ineinander verkrallt, als wär
der leib eines jeden von uns
dein Leib, Herr.

Bete, Herrr,
bete zu uns,
wir sind nah.

Windschief gingen wir hin,
gingen wir hin, uns zu bücken
nach Mulde und Maar.

Zur Tränke gingen wir, Herr.
Es war Blut, es war,
was du vergossen, Herr.

Es glänzte.

Es warf uns dein Bild in die Augen, Herr.
Augen und Mund stehn so offen und leer, Herr.
Wir haben getrunken, Herr.
Dars Blut und das Bild, das im Blut war, Herr.

Bete, Herr.
Wir sind nah.