Die katholische Glaubenstradition ist vielfältig

Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Münster nimmt Verleihung des Josef-Pieper-Preises an US-Bischof Robert Barron mit Befremden zur Kenntnis

Am 27. Juli 2025 verleiht die in Münster ansässige Josef-Pieper-Stiftung den Josef-Pieper-Preis an den US-amerikanischen Bischof Robert Barron und veranstaltet aus diesem Anlass eine Tagung in der Bistumsakademie Franz-Hitze-Haus. Der Präsident der Stiftung, Prof. Dr. Berthold Wald, begründet in einem im Internet zugänglichen Statement die Wahl des Preisträgers damit, dass dieser mit seiner Auslegung christlich-theologischer Traditionen „die Engführungen der liberalen Theologie“ überwinden wolle. Robert Barron, seit 2022 Bischof von Winona-Rochester in Minnesota, USA, ist vor allem mit seinem Medienunternehmen Word on Fire international sehr präsent.

US-Bischof Robert Barron
Am 27. Juli 2025 erhält der US-amerikanische Bischof Robert Barron in Münster den Josef-Pieper-Preis.
© KTF | Wikimedia Commons

Als Kollegium der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster nehmen wir die Wahl des Preisträgers mit Befremden zur Kenntnis. Wir verstehen katholische Theologie auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils, das den christlichen Glauben in seiner geschichtlichen Dynamik ausgelegt hat. Es hat ihn ausdrücklich mit der Vielfalt menschlicher Erfahrungen und den Spannungen einer pluralen und heterogenen Weltgesellschaft verknüpft sowie Wege ökumenischer und interreligiöser Offenheit gebahnt. Die katholische Glaubenstradition ist selbst vielfältig und spannungsvoll.

Nach unserer Überzeugung muss sich katholische Theologie, die der biblischen Gottesoffenbarung verpflichtet ist, daran messen lassen, wie sie die Geschichte und die von dramatischen Gewaltkonflikten zerrissene politische Gegenwart begleitet: Der Gott Jesu Christi steht an der Seite der Leidenden und tritt für die Befreiung der Armen ein. Das Bekenntnis zu diesem Gott verpflichtet auf eine Weltdeutung und auf ein Ethos, die die Würde jedes Menschen als Geschöpf Gottes achten – ungeachtet von Herkunft, Geschlecht und sozialem Status. Dazu gehört auch die Überzeugung, dass politische und ökonomische Mächte an den Maßstab von Gemeinwohl und Verantwortung für soziale und globale Gerechtigkeit gebunden sind. In der Tradition des Zweiten Vatikanums und der Neuen Politischen Theologie, die Johann B. Metz in Münster begründet hat, muss christlicher Glaube in der Spur Jesu an der Seite der Bedrängten, der Armen und Ausgegrenzten stehen.

Die Deutung des Katholizismus, für die Bischof Barron steht und die die Josef-Pieper-Stiftung mit der Preisverleihung offensichtlich stärken möchte, sendet andere Signale. Unter dem Vorzeichen, eine zeitenthobene religiöse Wahrheit zu verteidigen, nimmt sie „das Katholische“ für eine ausgrenzende Identitätspolitik in Anspruch, die ideologische Spaltungen verschärft und Menschen ausgrenzt, die nicht ins Bild passen, z.B. queere Menschen und Migrant:innen. Vermeintlich rein religiös interessiert, reiht sie sich in eine weltweit erstarkende Strömung ein, die Religion und Theologie benutzt, um die Welt in Freund und Feind einzuteilen. Bischof Barron kooperiert mit religiös-politischen Netzwerken, die autokratische politische Kräfte in den USA, in Europa und darüber hinaus ideologisch unterstützen.

Papst Leo XIV. hat in seiner Antrittspredigt am 18. Mai 2025 den Weg einer solidarischen und reformorientierten Katholizität gewiesen: „Lasst uns im Licht und mit der Kraft des Heiligen Geistes an einer Kirche bauen, die auf der Liebe Gottes gegründet und ein Zeichen der Einheit ist, an einer missionarischen Kirche, die ihre Arme der Welt gegenüber öffnet, die das Wort verkündet, die sich von der Geschichte herausfordern lässt und die zum Sauerteig der Eintracht für die Menschheit wird.“ Als Kollegium der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster stehen wir dafür ein, mit unseren Studierenden diesen Weg einer in diesem Sinne geschichtsbewussten, dialogischen und inklusiven Theologie zu gehen.

Für die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Münster, Dekan Prof. Dr. Oliver Dyma.


Statements von Professor:innen der Katholisch-Theologischen Fakultät zur Verleihung des Josef-Pieper-Preises 2025:
 

Prof.in Dr. Marianne Heimbach-Steins (Institut für Christliche Sozialwissenschaften):

Wenn die Josef-Pieper-Stiftung am 27. Juli 2025 den US-amerikanischen Bischof Robert Barron mit dem Josef-Pieper-Preis auszeichnet, würdigt sie damit nach eigenem Bekunden einen Repräsentanten der Katholischen Kirche, der mit ungewöhnlicher medialer Präsenz für die zeitenthobene katholische Wahrheit eintritt und mit modernen Kommunikationsmitteln (und mit sehr viel Geld) katholisches Glaubensgut weltweit unters Volk bringt. Dafür nimmt sie mindestens billigend in Kauf, einem Mann die Ehre zu geben, der seine religiöse Autorität und seine internationale Popularität als Stimme des rechten Katholizismus nutzt, um eine Politik zu stützen, die Wahrhaftigkeit und Fairness systematisch außer Kraft setzt, im Namen der MAGA-Ideologie gezielt Ausgrenzung jeglicher „Anderen“ und eine Spaltung der Gesellschaft betreibt, die Herrschaft des Rechts und die universale Geltung der Menschenrechte mit Füßen tritt.

Bischof Barron hat die Inauguration Donald Trumps mit einer religiösen Aura versehen, „als Hochamt der Demokratie“ gefeiert und quasi gesegnet. Er scheut nicht davor zurück, sich als offizieller Vertreter der Katholischen Kirche zur öffentlichen Unterstützung der Trump’schen Autokratie anzubieten. Offensichtlich hält er den Habitus des Präsidenten, das Land seinen ideologischen Interessen dienstbar zu machen, für ein Mittel, einem rechten Katholizismus zu größerer gesellschaftlicher und politischer Macht zu verhelfen. Die wechselseitige Indienstnahme von Religion und Politik ist nicht neu; die Versuchung der Macht ist spätestens seit der Konstantinischen Wende eine beständig lauernde Gefahr für die Authentizität des gelebten Christentums in seiner kirchlich-institutionalisierten Gestalt.

Bischof Barron hat die Verordnung, mit der Präsident Trump am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit alle offiziellen Diversity-, Equality- und Inclusion-Programme in den USA gestoppt und entsprechende Forschung verboten hat, ungeachtet der fatalen Folgen für die Sicherheit und das Leben ungezählter Menschen begrüßt. Er kann sich auf die transfeindliche Position stützen, die das römische Glaubensdikasterium 2024 in seiner Erklärung „Dignitas infinita“ (Nr. 60) veröffentlicht hat. Dass das römische Lehramt seine Fundamentalopposition gegen das, was es „Gender-Ideologie“ nennt, unbeirrt von heute zugänglichem wissenschaftlichem Wissen über die Vielfalt menschlicher Geschlechtlichkeit, fortschreibt, gibt der unseligen, international erstarkenden ideologischen Allianz zwischen der politischen und der religiösen Rechten beständig Nahrung und Rückendeckung.

Die menschenverachtende Migrations- und Grenzpolitik des amerikanischen Präsidenten, die mit offiziellen katholischen Positionen in keiner Weise vereinbar ist, scheint den amerikanischen Bischof hingegen nicht sonderlich zu beunruhigen, auch wenn religiöse Legitimationsversuche im politischen Umfeld des Präsidenten auf den „ordo amoris“ rekurrieren und meinen, mit einer hochgradig selektiven, biblisch nicht gedeckten Interpretation christlicher Nächstenliebe jede Verantwortung für internationale Migrant:innen und Geflüchtete abweisen zu dürfen.

Christlicher Glaube in der Spur Jesu von Nazareth, die christlichen Kirchen und ihre offiziellen Repräsentanten sind keiner politischen Macht verpflichtet, sondern der Botschaft von Gottes Heilswillen für alle Menschen – für wirklich jeden Menschen. Die Anbiederung an welche politische Macht auch immer gefährdet, egal in welchem Gewand sie auftritt, diese Loyalität: „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.“ (Mt 6,24)

Prof. Dr. Christian Bauer (Institut für Religionspädagogik und Pastoraltheologie):

Robert Barron steht für eine „kulturelle Hegemonie“ (A. Gramsci) des Katholischen unter Donald Trump. Dessen Rede zur Lage der Nation kommentierte er am 5. März 2025 mit den Worten, er sei in höchstem Maße „delighted“ – einzig die Demokraten hätten diese „political liturgy“ nicht angemessen gewürdigt. Barron grenzt sich von der Politik des US-Präsidenten nicht nur kaum ab, sondern nimmt diese vor dem Hintergrund der Cultural wars in den USA auch billigend in Kauf. Trump selbst berief ihn am 1. Mai 2025 in eine neu eingerichtete Regierungskommission zum Schutz der religiösen Freiheit.

Als resonanzstarke Stimme des finanzkräftigen und weltweit einflussreichen US-Rechtskatholizismus führt Bischof Barron ein global agierendes Medienunternehmen („Word on Fire Fondation“). Seine populistisch einfachen Antworten auf theologisch komplexe Fragen stehen für eine kirchliche Polarisierung, welche die innerkatholische Friedensagenda von Papst Leo XIV. konterkariert: „It frankly delights me to see how I obviously haunt the fevered imaginations of those on the extreme Catholic left.” (7. Juni 2025).

Mit dieser eines Bischofs (und seines Dienstes an der Einheit) unwürdigen Aussage repräsentiert Barron eine asymmetrische Tribalisierung am rechten Kirchenrand. Diese zeigt das Fehlen der synodal notwendigen Fähigkeit zu reflexiver Selbstdifferenz im Zeichen eines je größeren Gottes an – ein geistliches Defizit, über das auch der von ihm angeregte „National Eucharistic Revival“ (2022-2025) nicht hinwegtäuschen kann.

Nach innen verkennt Barron die tieferen Gründe der von Papst Franziskus angestoßenen Reformen. Im Gespräch mit Tucker Carlson negierte er den systemischen Zusammenhang von Missbrauch, Klerikalismus und Synodalität mit einem längst widerlegten Verweis auf die sexuelle Revolution nach 1968: „Friends, it’s no coincidence that the Church’s sex abuse scandals spiked during the sexual revolution.” (2. Juni 2025).

Nach außen vertritt er mit Word on Fire ein identitäres Missionskonzept nach dem Modell einer pastoralen Einbahnstraße, das dem von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. vertretenen Konzept der „Neuevangelisierung“ (als missionarische Rechristianisierung des Westens) näher steht als dem von Paul VI. und Franziskus vertretenen Konzept der Evangelisierung (als zeugnishafte Selbstbekehrung der Kirche).

Mit der von ihm 2024 begründeten Zeitschrift „New Ressourcement“ steht Barron theologisch für eine ebenso einseitige Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils wie Joseph Ratzinger. Diese halbierte Rezeption der vorkonziliaren „Nouvelle théologie“ greift in ihrem Rückbezug auf vormoderne Theologieformate lediglich auf den spirituellen Augustinismus ihres konservativen Jesuitenflügels, nicht aber auf den kontextuellen Thomismus ihres progressiven Dominikanerflügels zurück.

Angesichts dieser Schlagseite fragt es sich, welche theologischen Gegenkräfte sich bündeln ließen – ohne dabei in reaktiver Selbstfundamentalisierung derselben identitären Versuchung zu erliegen. Es braucht z. B. ein internationales Netzwerk führender kritisch-katholischer Theologischer Fakultäten, das dem US-Rechtskatholizismus in offener Katholizität etwas theologisch Anderes entgegensetzt. Das Münsteraner Erbe der Politischen Theologie à la Johann B. Metz jedenfalls verpflichtet!

Eine ausführliche Fassung des Statements von Prof. Dr. Christian Bauer findet sich auf seinem Blog.

Prof.in Dr. Regina Elsner (Ökumenisches Institut):

Aus der Perspektive der Forschung am Lehrstuhl für Ostkirchenkunde und Ökumenik ist die Wertschätzung der Medienaktivitäten von Bischof Robert Barron durch die Pieper-Stiftung und das Bistum Münster höchst problematisch. Es ist inzwischen gut erforscht, wie stark internationale rechtskonservative Netzwerke, mit denen Bischof Robert Barron dauerhaft kooperiert, die Kirchen und Transformationsgesellschaften Osteuropas destruktiv beeinflussen. Spätestens mit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine unter dem Vorzeichen eines angeblichen Verteidigungskampfes christlicher Werte müssen sich die christlichen Kirchen und Theologien ihrer Verantwortung in diesem Krieg stellen.

Bischof Robert Barron ist einer der wortgewaltigsten Vertreter der konservativen Bewegung, die mit den akademisch unsachlichen Konzepten der „Gender-Ideologie“ und der angeblichen Bedrohung des Christentums durch säkulare und demokratische Werte weltweit Populismus und menschenrechtsgefährdende Politiken stärken. Russlands Kriegsideologie steht fest auf eben diesem intellektuellen Fundament.

Gleichzeitig vertritt Bischof Robert Barron eine Haltung zu anderen christlichen Kirchen – ausdrücklich auch zur Orthodoxen Kirche -, die eine katholische Superiorität vertritt und damit den Paradigmen katholischer ökumenischer Theologie im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils widerspricht. Er steht in der Tradition der „Ökumene 2.0“, die seit vielen Jahren in Konkurrenz und in Umgehung des internationalen ökumenischen Dialogs strategische Koalitionen und konservative Netzwerke aufbaut. Damit werden ideologischen Verhärtungen im Sinne der Kulturkriege in Kirchen und Gesellschaften weltweit gefördert. Das Medienprojekt „Word on Fire“ von Bischof Robert Barron verleiht rechtskonservativen Akteuren und Vertreter:innen der Neuen Christlichen Rechten eine enorme internationale Reichweite, während die ökumenischen Anstrengungen einer verantwortungsvollen „Einheit in Verschiedenheit“ keinerlei Beachtung finden.

Sicher muss der intellektuelle Diskurs unterschiedliche Positionen ermöglichen. Allerdings sollten deren praktische Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt einer klaren ethischen Bewertung unterliegen. Weltweit werden mit der intellektuellen Unterstützung von Netzwerken wie Word on Fire, der Wonder-Conference, CPAC (Conservative Political Action Conference), ARC (Alliance for Responsible Citizenship) und anderen Strukturen Diskriminierungen, Hassrede, Gewalt, und Zensur in demokratischen Gesellschaften sowie Repressionen und Verfolgung Andersdenkender in autokratischen Ländern legitimiert. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine wird religiös als endzeitlicher Kampf gegen den Antichrist begründet und ist als zynische Zuspitzung dieser Entwicklungen zu verstehen. Eine Wertschätzung der Verbreitung und Unterstützung dieser Positionen durch Bischof Robert Barron steht darum im deutlichen Widerspruch zum katholischen Engagement für eine Überwindung von gesellschaftlicher Spaltung, für ökumenische Versöhnung und eine menschenrechtsbasierte kirchliche Medienarbeit

Prof. Dr. Oliver Dyma (Institut für Biblische Exegese und Theologie):

Ohne einen positiven Bezug zur Moderne wird die Kirche nicht in der Lage sein, die Menschen von heute und morgen mit ihrer Freude und Hoffnung, ihren Sorgen und Nöten anzusprechen. Dabei geht es nicht um eine Anbiederung an den Zeitgeist, sondern um eine verantwortete kritische Zeitgenossenschaft, eine sich ständig erneuernde Inkulturation. Ein kulturkämpferischer Rückzug ins 19. Jahrhundert und eine vermeintliche Uniformität des Katholischen wird den Anforderungen der Gegenwart nicht gerecht.

Die Pluriformität des Katholizismus, der weltweit wächst und sich regional wie kulturell ausdifferenziert, ist ein Ausdruck der Lebendigkeit und eine mächtige Ressource der Erneuerung. Zu kritischer Zeitgenossenschaft gehört auch, aus dem 20. Jahrhundert zu lernen und politische Machtansprüche – gerade autoritäre – kritisch zu reflektieren. Unerlässlich ist es, für soziale Gerechtigkeit und die Benachteiligten in dieser globalisierten Welt einzutreten.

Prof. Dr. Dr. Bernhard Nitsche (Seminar für Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie):

Ich wundere mich immer wieder, welche Werte die konservativen Verteidiger:innen der christlichen Werte im Blick haben, wenn sie diese gegen bestimmte andere Menschengruppen und Anliegen von Anerkennung, Gerechtigkeit, Humanität und Menschenwürde ins Feld führen oder die ethischen Fragen auf die gewiss problematische Praxis von Abtreibung hin reduzieren.

Um zu verstehen, in welchen Prozessen wir uns befinden, war mir der Hinweis des Historikers Quinn Slobodian (Boston) sehr hilfreich, der nicht nur die völlige Privatisierung von Kosten und Nutzen im Kontext eines entfesselten Kapitalismus nach Hayek untersuchte, sondern auch dessen illegitime Kinder, die den Abbau von Staat, Verantwortung und Gemeinwohlverpflichtung konsequent in einen antiliberalen Kulturkampf umgemünzt haben. Dieser verdankt sein inhaltliches Profil dem "Project 2025" der ultrakonservativen Heritage Foundation, die ein autokratisches top down "Mandate for Leadership" propagiert. Dieses Mandat hat hohe Affinitäten zu hierarchischen Strukturen und Selbstverständnissen im Katholizismus.

Slobodian erläutert in seiner Analyse des Trumpismus: „Als die kommunistische Bedrohung mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verschwand, herrschte bei der politischen Rechten ein Gefühl der Orientierungslosigkeit. Es stellte sich eine entscheidende Frage: War der Sieg vollständig? Und wenn nicht, wer war der neue Feind? Sie kam zu dem Schluss, dass ihr Kampf noch nicht vorbei sei. Nun sind aber nicht mehr die Kommunisten in Moskau der Feind, wie das während des Kalten Krieges der Fall war, sondern Menschen, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung, für Umwelt- und Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Das zeigt, dass sich die Kampffront von der wirtschaftlichen in die kulturelle Sphäre verlagert hat.“ (Slobodian: t-online Interview von Marc von Lüpke 27.06.2025).

Als gläubiger Christ und katholischer Theologe frage ich:

Wäre es nicht zutiefst christlich, jeden Menschen als in Freiheit erwähltes Ebenbild Gottes mit unveräußerlicher Würde und eigenen Menschenrechten anzusehen, dessen Existenz anzuerkennen und dem Wertschätzung entgegenzubringen ist – ungeachtet von Herkunft, Rasse, Religion, Geschlecht usw.?

Wäre nicht auch christlich mit Emmanuel Levinas darauf hinzuweisen, dass die Aussage „Gott liebt den Fremden“ nach jüdischer Lesart in die Definition Gottes hineingehört? Dann geht es einerseits um die fundamentale Gleichheit bezüglich der Menschenwürde und vor dem Gesetz – für Fremde wie Einheimische (Dtn 14,29; 24,14-21). Dann wird andererseits anerkannt, dass überall auf der Erde und zu allen Zeiten Migrationsbewegungen und Wanderungen stattgefunden haben, die immer auch durch die Suche nach besseren Lebensmöglichkeiten angestoßen wurden. Was wäre Israel, ohne den Auszug aus Ägypten? Was wäre Amerika in Nord und Süd, ohne das jahrhundertealte Phänomen der Einwanderung?

Wäre es nicht zutiefst jesuanisch, an einer Gesellschaft mitzuwirken, die den Sündenbock-Mechanismus (Schuld sind die anderen) überwindet, den Balken im eigenen Auge sehen lernt und die Spirale der Gewalt (Girard) unterbricht, um für Konfliktlösungen ohne physische, psychische und strukturelle Gewaltanwendung einzutreten?

Wäre es nicht ganz traditionelle katholische Naturrechtsethik, wenn man das allgemeine Wohl und die aktive Partizipation möglichst aller Menschen vor die Privatinteressen eines neoliberalen Individualismus, eines politisch direktiven Autoritarismus, eines oligarchischen Kapitalismus der Milliardäre oder eines nivellierenden Konsumismus der anonymen Masse bzw. eines mit Zwang verordneten Kommunismus stellt?

Wäre es nicht zutiefst biblisch und christlich, die Schöpfung als Haus des Lebens für viele zu gestalten und zu bewahren, um in nachhaltigen Praktiken die Lebensräume und das Leben möglichst vieler fühlenden Wesen zu schützen – statt den menschengemachten Klimawandel zu leugnen und die katastrophalen Folgen des Klimawandels zu befeuern?

Prof.in Dr. Monika Bobbert (Seminar für Moraltheologie):

Die Josef-Pieper-Stiftung verleiht dem amerikanischen Bischof Dr. Robert Barron nicht zuletzt aufgrund seiner vielbeachteten Medienauftritte den diesjährigen Josef-Pieper-Preis. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass er im Zusammenhang mit seiner medienwirksamen katholischen Katechese seit einigen Jahren eher extrem-rechtspopulistische Positionen stärkt. Bei offiziellen Anlässen zeigt er sich mit dem neuen US-Präsidenten Trump und affirmiert durch seine Präsenz dessen Aussagen. Dem von ihm selbst als „my friend“ bezeichneten Ben Shapiro bietet er eine Plattform: Er lässt diesen in seinem Podcast auftreten und spricht auch in dessen Podcast.1 Ben Shapiro ist ein ehemaliger Redakteur des rechten Internet-Portals „Breitbart News“. Er bestreitet den Klimawandel, setzte sich für die Freilassung des Polizisten ein, der George Floyd ermordet hatte, und unterstützt theokratische Faschisten wie zum Beispiel Matt Walsh.2

Bischof Barron bekämpft energisch den so genannten „Wokeismus“, d.h. eine Bewegung, die besonders wach für soziale Ungerechtigkeit, Kolonialismus und Rassismus sein will. Auf seiner Plattform und in anderen Medien spricht er gern mit Gleichgesinnten, die weitere rechtsextreme Positionen vertreten.

Bischof Barron hält enge Verbindung zu Vertretern von Positionen, die die Grundstrukturen eines freien demokratischen Staates für die USA umdeuten. Solche Positionen akzeptieren die tragenden nationalen und internationalen Rechtsstrukturen nicht und unterscheiden zwischen „berechtigten“ und „nicht berechtigten“ Menschen. Dies ist moralisch nicht vertretbar, steht auch in eklatantem Gegensatz zur Demokratie-Kampagne des Bistums Münster3, zur Positionierung der deutschen Bischöfe gegen völkischen Nationalismus4 sowie gegen rechtsextremistische Gesinnungen und Konzepte. Denn diese beinhalten Ausgrenzungen und Abwertungen gesellschaftlicher Gruppen und stellen die freiheitliche und demokratische Grundordnung unseres Staates infrage.

Über eine Debatte anlässlich solcher Bedenken im Rahmen der Auswahl des Preises ist nichts bekannt.

Gleichwohl soll die Preisverleihung im Priesterseminar der Diözese stattfinden. Ein Gottesdienst soll mit Bischof Oster (Passau) und Bischof Barron in der Überwasserkirche gefeiert werden und in der Katholischen Akademie Franz-Hitze-Haus eine Laudationes-Veranstaltung stattfinden. Ich kann hier nur mein Befremden ausdrücken, dass unsere Diözese und unsere Bischöfe sich von der Wahl des Preisträgers oder wenigstens vom Vollzug der Preisverleihung nicht deutlich distanzieren. Ich befürchte, dass dies in unserer katholischen Kirche zur Normalisierung nicht akzeptabler Positionen beitragen könnte, aber auch, dass die Kirche gerade deshalb weiter in die Kritik gerät.

Als Münsteraner Moraltheologin, als Gleichstellungsbeauftragte unserer Fakultät und als Mitglied der Kommission für Gleichstellung und Diversity möchte ich insbesondere auf folgende kritische Punkte hinweisen:

Bischof Barron setzt sich rückwärtsgewandt für die kulturell bedingte Zuweisung traditioneller Geschlechterrollen ein. So stellt er z.B. dem antifeministischen YouTube-Influencer Jordan Peterson seine Plattform „Word on Fire“ zur Verfügung. Personen, die gegenteilige Positionen vertreten, werden nicht eingeladen. Machtfragen zwischen Männern und Frauen und die menschenrechtliche Garantie der Gleichberechtigung werden übergangen. Gut begründete gesellschaftliche Prozesse in Bezug auf Gender und sexuelle Identität werden nicht fair wiedergegeben. Abwertende Vorurteile werden wiederholt und auf diese Weise verfestigt. Indem Bischof Barron rechtspopulistischen Personen ein Forum bietet, wendet er sich gegen gesellschaftliche Randgruppen, die von Diskriminierung bedroht sind. Das ist in einer christlichen Moraltheologie nicht akzeptierbar. Christsein in der Nachfolge Jesu bedeutet, gesellschaftliche und kirchliche Festlegungen zu hinterfragen, Diskriminierungen und soziale Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und sich für die freie Entfaltung von Menschen einzusetzen.

Zudem versäumt Bischof Barron, für den Schutz von Menschen mit Migrationshintergrund einzutreten. Er versäumt es, nach humanen Lösungen für Menschen zu suchen, die ihre Heimat aufgrund von Verfolgung, Krieg oder Hungersnöten verlassen und ihr Leben riskieren. Er versäumt es, öffentlich dafür einzutreten, dass die christliche Botschaft die Anerkennung jedes Menschen als Ebenbild Gottes beinhaltet. Ist das alles noch christlich?

_______________________
1 https://www.youtube.com/watch?v=yfcHZAutAPo; https://www.wordonfire.org/videos/dialogues/bishop-barrons-interview-with-ben-shapiro/; https://www.youtube.com/watch?v=fH8iXo4F4I8; https://www.wordonfire.org/videos/dialogues/natural-law-family-and-happiness-with-ben-shapiro/; https://open.spotify.com/episode/5SOJogDrJBjHGZzL4tgDFx
2 https://www.ncronline.org/opinion/ncr-voices/bishop-barrons-video-capitol-annotated (zuletzt abgerufen 18.07.2025)
3 Bistum Münster, Mensch NRW. Lebe Freiheit! Demokratie-Kampagne vom 15.01.2024 https://www.bistum-muenster.de/fileadmin/user_upload/Website/Downloads/Themenseiten/Lebe_Freiheit/2025-01-15-Demokratiekampagne.pdf (zuletzt abgerufen 18.07.2025)
4 Deutsche Bischofskonferenz, Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar. Erklärung der deutschen Bischöfe, 22.02.2024 https://www.dbk-shop.de/media/files_public/81db11f0a4662118908038c2640b9019/DBK_10148neu.pdf (zuletzt abgerufen 18.07.2025)