Arzneipflanze des Jahres 2017

Avena sativa L. - Blütenstand
© IPBP - Krüger

Der Studienkreis „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg hat eine bemerkenswerte Nutzpflanze zur Arzneipflanze des Jahres 2017 gekürt.

Der Saat-Hafer (Avena sativa L.) ist eine einjährige, krautige Pflanze aus der Familie der Süßgräser (Poaceae). Er wird zwischen 0,6 und 1,5 m hoch und bildet, im Gegensatz zu den anderen bekannten Getreidearten, keine Ähre, sondern eine allseits wendige Rispe.

Sie trägt z.T. wiederum verzweigte Rispen, an der Spitze dieser Rispen erscheinen Ährchen, die 2- 3 Blüten ausbilden, von denen aber nur zwei Blüten fruchtbar sind. Dadurch liefert eine Haferpflanze geringeren Ertrag als andere Getreidearten. Blütenbiologisch handelt es sich um den sog. „Langstaubfädigen Typ“ der windbestäubt wird. Die Blüten sind homogam und selbstfertil. Von Homogamie im Pflanzenreich spricht man, wenn in einer zwittrigen Blüte die männlichen und weiblichen Blüten gleichzeitig reif werden. Die Narbe ist genau dann empfängnisbereit, wenn die Staubfäden den Pollen entlassen. Die Blüten öffnen sich in der Regel nachmittags, bleiben aber gelegentlich, z.B. bei nasser Witterung, geschlossen und bestäuben sich dann selbst (Kleistogamie).

Die Körner sind spindelförmig, tief gefurcht und bei der Reife mit der kurzbegrannten Deckspelze und der Vorspelze fest verwachsen [1]. Dadurch wird die Verarbeitung des reifen Korns recht arbeitsintensiv aber der Hafer macht diesen Mehraufwand dadurch wieder wett, dass er den anderen Getreidearten im Geschmack und auch beim Nährwert überlegen ist.

Hafer wird als Sommergetreide angebaut und bevorzugt gemäßigtes Klima mit hohen Niederschlägen. Seine Bodenansprüche sind gering. Er gilt als sog. „Gesundfrucht“, das bedeutet, dass sich viele Getreideschädlinge nicht in ihm vermehren und auch gegen Infektionen mit dem Mutterkornpilz ist er offensichtlich nicht anfällig.

Erste Nutzungsbelege für den Hafer in Mitteleuropa stammen ungefähr aus dem Jahr 2400 v. Chr. und auch die Germanen schätzten ihn. Dabei taucht der Hafer in archäologischen Funden nicht in Reinform auf, sondern als Beimengung anderer Getreidearten. Es scheint also so zu sein, dass Hafer zunächst nur als Beigras auf Gerste- oder Weizenfeldern wuchs.

Bis ins Mittelalter war die Nutzung des Hafers auf die Gebiete nördlich des Mains begrenzt. Vom Hochmittelalter an wurde Hafer auch in Mittelgebirgslagen zur bedeutenden Feldfrucht, die erst mit der Einführung der Kartoffel ihre wichtige Stellung verlor. Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts lag Hafer an 3. Stelle, nach Weizen und Mais, bei den weltweit wichtigsten Getreidearten, in Deutschland rangierte er in den 50er Jahren nach dem Roggen an 2. Stelle. Danach ging die Bedeutung des Haferanbaus zurück. Einer der Gründe dürfte in der sinkenden Nachfrage durch die immer weiter zunehmenden Motorisierung Deutschlands liegen, weil dadurch die Zugpferde (als wichtige Haferkonsumenten) nach und nach überflüssig wurden. Weil der Pferdesport in Deutschland wieder populär geworden ist, stieg in den vergangenen Jahren auch die Produktion von Hafer wieder an. Mittlerweile wird Hafer in der Landwirtschaft aber auch als Zwischenkultur wieder angebaut. Sobald die Gerstefelder abgeerntet sind, wird ab August Hafer ausgesät. Der kommt in der Regel noch zur Blüte und zum Fruchtansatz, wird dann abgemäht, angetrocknet und zu Foliensilage (= Futtermittel) verarbeitet, oder kommt in die Biogasanlage.

Hafer - bespelzte Karyopsen
© IPBP - Krüger

Das Haferkorn (Avenae fructus)

Als vollreifes Korn geerntet, verfügt es über einen hohen Gehalt der Vitamine B1 und B6 und liefert zudem viele Ballststoffe. Hafer wird vor der Verarbeitung nur entspelzt, d.h. es wird die für den Menschen unverdauliche Hülle entfernt. Das übriggebliebene Haferkorn wird nicht mehr geschält, das bedeutet, dass die äußeren Randschichten (Fruchtwand und Samenschale), der Mehlkörper sowie der Keimling erhalten bleiben. Haferprodukte sind also i.d.R. Vollkornprodukte.

Aufgrund der breitgefächerten Möglichkeiten von der Behandlung der Haut, über Magen-Darm-Erkrankungen bis hin zur Vorbeugung von Diabetes mellitus Typ 2 und Arteriosklerose, aber auch weil die Gebiete der Dermatologie und der Ernährung noch nicht durch die „Arzneipflanzen des Jahres“ abgedeckt wurden, wurde der Saat-Hafer zur Arzneipflanze des Jahres 2017 gewählt.

Wirkungen / Anwendungen / "health claims"

Arzneilich wird Hafer vielfältig genutzt. Sein Nutzungsspektrum reicht von der Behandlung der Haut, über Magen– und Darmerkrankungen bis hin zur Vorbeugung von Arteriosklerose und Diabetes mellitus Typ 2. In der Literatur wird hauptsächlich das Haferstroh (Avenae stramentum) behandelt. Es wird für Bäder verwendet, die gegen Juckreiz und bei Hautverletzungen helfen sollen. In jüngerer Zeit gewinnt auch das Haferkraut (Avenae herba) zunehmend an Bedeutung. Um es nutzen zu können, wird es vor der Blüte geerntet. Es ist reich an Saponinen (immunmodullierend) und Flavonoiden (antiphlogistisch), dazu kommt ein hoher Anteil an Mineralien wie z.B: Kalium, Kalzium oder Magnesium. Haferkrautextrakte werden bei Neurodermitis eingesetzt, unter der in den Industrieländern bis zu 20% der Kinder und 3% der Erwachsenen leiden. In den 90er Jahren wurde in Frankreich eine besonders geeignete weiße Hafersorte gewonnen, die frei von Proteinen (auch von Gluten) ist. Die entsprechenden Hautpflegemittel (Cremes, Badezusätze u.ä.) sind für Allergiker besonders gut verträglich. Des Weiteren werden Haferkrautextrakte auch gegen Stress, zur Beruhigung und zur Verbesserung von Konzentration und Lernfähigkeit angeboten. Allerdings sind hier noch weitere Studien nötig, die diese Effekte bestätigen.

In der allgemeinen Literatur zu Hafer und seinen Produkten (v.a. im Internet) sind evidenzbasierte von überlieferten Wirkungen & Anwendungen oft nur unzureichend voneinander abgegrenzt. Eine Zusammenfassung über die aktuell verfügbaren Informationen zu den Bereichen Produktion, Inhaltsstoffe, pharmakologische Aktivitäten und traditionelle Anwendungen von Hafer gibt der Übersichtsartikel [2].

Besonders interessant sind die Beta-Glucane, die etwa die Hälfte des gesamten Ballaststoffgehaltes im Haferkorn ausmachen. Hafer-Beta-Glucane wirken auf den Verdauungsttrakt und den Stoffwechsel, besondere positive Effekte auf Cholesterin– und Blutzuckerspiegel stehen aber im Vordergrund. Hafer-Beta-Glucane haben die Fähigkeit Gallensäuren zu binden, dies führt vermutlich dazu, das vermehrt Cholesterin ausgeschieden wird. Die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) bestätigte unlängst, dass der Verzehr von Beta-Glucanen aus Hafer zur Senkung des Cholesterolspiegels beitragen kann und sekundär dadurch das Risiko einer (koronaren) Herzerkrankung mindern kann ("Oat beta-glucan has been shown to lower/reduce blood cholesterol. Blood cholesterol lowering may reduce the risk of (coronary) heart disease." [3]). Die enthaltenen Ballaststoffe verzögern die Aufnahme der Nährstoffe ins Blut, dadurch kommt es zu einem weniger starken und zeitverzögerten Anstieg des Blutzuckerspiegels, was wiederum zu einer geringeren Ausschüttung von Insulin führt. Eine neuere Studie am Diabetologikum in Berlin hat ergeben, dass die Insulingabe bei Patienten mit hohem Insulinbedarf nach zwei Hafertagen um bis zu 30% gesenkt werden kann und dass dieser positive Effekt bis zu vier Woche bemerkbar sein soll. Außerdem beeinflussen Beta-Glucane die Verdauung in positiver Weise, denn die viskose Substanz aus den löslichen Ballaststoffen schützt die Darmwand vor äußeren Reizen und beruhigt den empfindlichen Magen; die unlöslichen Ballaststoffe dagegen wirken regulierend auf die Verdauung.

"Weizenkleie scheint im Unterschied zu Haferkleie keinen Effekt auf den Cholesterinspiegel zu haben" [4].

Die Europäische Zulassungsbehörde EMA veröffentlichte zwei separate Monographien zu Haferfrüchten und Haferkraut bezüglich deren möglichen und zugelassenen Anwendungen als Arzneimittel. Traditionell können Zubereitungen aus Haferfrüchten zur symptomatischen Behandlung von geringgradigen Entzündungen der Haut (z.B. bei leichtem Sonnenbrand) sowie zur verbesserten Wundheilung eingesetzt werden [5]. Diese Anwendung ist allerdings lediglich durch langjährige Erfahrung und dokumentierte Erfahrung belegt, nicht durch detaillierte klinische Untersuchungen an Patienten.

Auch Haferkraut wird gemäss EMA traditionell zur Milderung moderater Symptome bei mentalem Stress sowie als mildes Einschlafmittel eingesetzt [6]. Auch diese Anwendung ist allerdings lediglich durch langjährige Erfahrung und dokumentierte Erfahrung belegt, nicht durch detaillierte klinische Untersuchungen an Patienten. Die behördliche Monographie weist explizit darauf hin, dass die Anwendung von Haferkraut für o.g. Indikationen nicht für Kinder unter 12 Jahren vorgesehen ist. Weiterhin dürfen entsprechende Zubereitungen nicht bei Patienten eingesetzt werden, die unter Zöliakie leiden.

Wie oben bereits erwähnt, enthalten Pflanzenteile aus Hafer, insbesondere die Früchte, in größeren Mengen β-Glucane, die als Ballaststoffe nach oraler Zufuhr unverändert ins Colon gelangen. In hoher Dosierung und bei längerfristiger Anwendung können solche isolierten β-Glucane in Form von Nahrungsergänzungsmittel im Lebensmittelbereich zu einer geringgradigen Senkung von leicht erhöhtem Blutcholesterolspiegel eingesetzt werden. Als Dosierungshinweis für entsprechende Präparate gilt eine orale Aufnahme von mindestens 3 g Haferglucan pro Tag.

Daraus ergeben sich folgende "health claims" [7, 8]:

  • Beta-Glucane tragen zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels im Blut bei. (Beta-glucans contribute to the maintenance of normal blood cholesterol level.)
  • Die Aufnahme von Beta-Glucanen aus Hafer oder Gerste als Bestandteil einer Mahlzeit trägt dazu bei, dass der Blutzuckerspiegel nach der Mahlzeit weniger stark ansteigt. (Consumption of betaglucans from oats (or barley) as part of a meal contributes to the reduction of the blood glucose rise after that meal).

Diese  gesundheitsbezogenen Aussagen sind durch die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) offiziell nach Prüfung der durch Hersteller solcher Produkte vorgelegten Unterlagen für die EU genehmigt worden. [7, 8]

Eine Vielzahl weiterer gesundheitsbezogenen Aussagen zu Haferprodukten (z.B. Immunstimulation, Verbesserung der Verdauung oder Blutzuckerspiegel etc.) wurde seitens EFSA in den letzten Jahren ebenfalls geprüft und in allen Fällen für Lebensmittel als nicht belegt und somit unbegründet abgelehnt.

Quellennachweis:

Originalliteratur, Links & Lehrbücher:

allgemeine Links:

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Hafer
  • http://de.wikipedia.org
  • http://www.proplanta.de
  • http://idw-online.de
  • http://www.diabsite.de
  • http://www.welterbe-klostermedizin.de