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„Wir forschen, um Krebs bei Kindern und Jugendlichen zu heilen“

Im Labor mit Prof. Claudia Rössig / Interviewreihe des Exzellenzclusters "Cells in Motion"
Kinderärztin Prof. Claudia Rössig ist Mitglied des Exzellenzclusters "Cells in Motion" und Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Pädiatrische Hämatologie und Onkologie.

Frau Prof. Rössig, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?

Wir verändern Abwehrzellen, sogenannte T-Zellen, von Patienten so, dass sie die eigenen Krebszellen erkennen und bekämpfen oder zumindest in Schach halten – und das möglichst ein Leben lang. Nach vielen Jahren Forschung konnten wir mit dieser Strategie erste Erfolge bei Patienten mit einer speziellen Form der Leukämie erzielen. Zurzeit führen Forscher und Mediziner systematisch klinische Studien mit veränderten T-Zellen durch, auch in Deutschland und in unserer Klinik. Diesen Ansatz entwickeln wir parallel weiter, um damit zukünftig auch solide Tumoren effektiv behandeln zu können. Als Kinderonkologin arbeite ich insbesondere mit Tumoren der Knochen und Weichgewebe des Kindes- und Jugendalters, sogenannten Sarkomen. T-Zellen können diese Tumorzellen im Vergleich zur Leukämie deutlich schwieriger erreichen. Während sie zu großen Tumoren anwachsen, umgeben sie sich mit gesunden Zellen und beeinflussen diese so, dass sie den Tumor in seinem Wachstum unterstützen. Diese Zellen erschweren es dem Abwehrsystem, Tumorzellen zu erkennen und zu bekämpfen. Wir versuchen daher, T-Zellen zu entwickeln, die Tumorzellen effektiver erkennen und Barrieren in der Tumorumgebung überwinden können. Dazu müssen wir verstehen, welche Mechanismen Abwehrzellen bei Krebserkrankungen des Kindes- und Jugendalters lähmen und zerstören.

Was macht Sie als Wissenschaftlerin persönlich aus?

Meine Motivation kommt aus den täglichen Begegnungen mit Kindern und Jugendlichen, die an Krebserkrankungen leiden. Zwar können wir viele Patienten heilen, doch die Belastungen der aktuellen Behandlung sind erheblich, und sie hinterlässt nicht selten schwerwiegende Spätfolgen. Und längst nicht alle Kinder und Jugendlichen werden gesund. Das motiviert das Team unserer Klinik und unserer Forschungslabore, nach neuen Therapien zu suchen.

Was ist Ihr großes Ziel als Wissenschaftlerin?

Ich möchte Kinder und Jugendliche aufwachsen und ein gesundes Leben führen sehen, die aufgrund unserer Forschung eine bislang unheilbare Krebserkrankung überlebt haben. Wir forschen, um Krebs bei Kindern und Jugendlichen zu heilen.

Was ist Ihr liebstes technisches Forschungsspielzeug und was kann es?

Wir haben vor kurzem zwei Geräte angeschafft, die uns bei der Erforschung der Immunabwehr gegen Tumoren und bei der Weiterentwicklung in die klinische Anwendung helfen. Eines der Geräte stellt halbautomatisch veränderte, gegen Leukämiezellen gerichtete T-Zellen her. Ohne das Gerät war der Aufwand der Zellherstellung erheblich und erforderte den Einsatz einer großen Anzahl speziell geschulten Personals in High-Tech-Labortrakten. Dieser Aufwand ist für eine breite Anwendung der Zellen viel zu ineffizient. Jetzt geschieht der gesamte Prozess in einem Kasten, der gerade einmal so groß ist wie ein Drucker.

Das zweite Gerät ist eine Art Spezialmikroskop, ein Multicolor Imager. Damit können wir in Tumorgeweben einzelne Zellen anfärben, aus denen sich der Tumor zusammensetzt. Mit dieser Farbcodierung erhalten wir ein viel tieferes Verständnis dafür, wie T-Zellen und Krebszellen miteinander kommunizieren und wie sich Krebszellen gegen die Angriffe des Abwehrsystems wehren.

Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment als Wissenschaftlerin?

Ich warte noch auf den Tag, an dem unsere Forschung definitiv einen Patienten heilt, der mit der Standardtherapie nicht gesund werden würde.

Und wie sah Ihr größter Frustmoment aus?

Als Postdoktorandin dachte ich in einem Moment, dass aus mir nie eine erfolgreiche Wissenschaftlerin werden würde. Ich hatte nach eineinhalb Jahren Forschung ein bestimmtes Protein auf der Zelloberfläche von Tumorzellen gefunden. Ich war überzeugt: Dieses Protein bietet einen geeigneten Angriffspunkt für die immuntherapeutische Behandlung. Die genaue Bestimmung meines vermeintlichen Tumorproteins war ernüchternd. Es handelte sich um einen Bakterienbestandteil. Als junge Wissenschaftlerin ist für mich eine Welt zusammengebrochen.

Welches wissenschaftliche Phänomen begeistert Sie heute noch regelmäßig?

Mich begeistert die Effizienz unseres Abwehrsystems, insbesondere der T-Zellen. Erst wenn das Abwehrsystem mal nicht mehr so gut funktioniert, versteht man, mit welcher Eleganz sich der Körper gegen Eindringlinge wehrt. Ich mache täglich Visiten bei Patienten mit eingeschränkter Abwehrfunktion und dadurch bedingten erheblichen Gesundheitsproblemen und Gefährdungen. Es gibt Viruserkrankungen wie das Epstein-Barr-Virus oder das Zytomegalievirus, die in solchen Fällen lebensbedrohlich sind, während bei stabiler Immunabwehr der Körper spielend damit fertig wird. Das beeindruckt mich und motiviert mich, weiter nach Verfahren zu suchen, die eine effektive Immunabstoßung auch von Tumorzellen ermöglichen.