"Die Ideen kommen erst, wenn man sich zusammensetzt"

Beim wöchentlichen "BrownBagLunch" des Exzellenzclusters "Cells in Motion" tauschen sich junge Forscherinnen und Forscher über neue Ansätze der experimentellen Medizin aus. Die Universitätszeitung "wissen|leben" berichtet jetzt über diese neue Netzwerkplattform. Es folgt der Originalbericht.

Weiße Kittel, braune Tüten

Brown-Bag-Lunch bringt Grundlagenforscher und Kliniker zusammen

von Christian Erll

Käse, Ei oder Huhn? Wer beim Brown-Bag-Lunch dabei ist, hat die Wahl — hier Dr. Konrad Buscher und Dr. Rebecca Schmidt. Foto: Peter Grewer
© Uni MS - Peter Grewer

Freitag, 12 Uhr mittags im Universitätsklinikum, ein Konferenzraum im fünften Stock des Ost-Turms: Etwa 70 junge Menschen, einige in weißen Kitteln, stehen dicht gedrängt vor einer Reihe brauner Papiertüten und vor der Wahl: Käse, Ei oder doch lieber Huhn? Wer sich entschieden hat, greift sich eine Tüte und sucht einen Stuhl im abgedunkelten Raum. Nicht alle finden einen, es ist viel los. Andere sitzen schon auf den Tischen, die an die Seiten gerückt wurden, um mehr Sitzplätze zu schaffen. Während der Beamer langsam warm läuft und der Präsentationstitel vorne an der Wand Kontur gewinnt, hört man statt des Umblätterns von Notizblöcken nur Tütenrascheln, statt auf Stiften wird auf den Brötchen gekaut. Und doch steht trotz Mittagspause ein wissenschaftlicher Vortrag an. Entwicklungsbiologe Dr. Sebastian Rumpf referiert eine Dreiviertelstunde lang auf Englisch über die Faktoren, die für den Zerfall von Neuronen bei Fruchtfliegenlarven sorgen. Danach nimmt er sich Zeit für Fragen, bevor um ein Uhr wieder alle ihrer Arbeit nachgehen. Sebastian Rumpf ist Mitorganisator des Projekts „Brown-Bag-Lunch“. Es ist erst das zweite Mal überhaupt, dass die mittägliche Vortragsreihe stattfindet, aber Anlaufschwierigkeiten gab es nicht. Im Gegenteil: Beim Vortrag der Medizinerin Dr. Rebecca Schmidt, die das Projekt ebenfalls mitorganisiert, war der Raum genauso voll.

Was aber bringt so viele junge Forscher dazu, zwischen den mitunter langen Schichten in Klinik oder Labor auch noch die Mittagspause einem Fachvortrag und dem Beruf zu opfern? Sebastian Rumpf entgegnet lachend: „Ich sehe das nicht als Opfer, eher als Möglichkeit, sich nett über unsere Arbeit zu unterhalten und ein kostenloses Essen zu bekommen.“ Kostenlos ist der Inhalt der Tüte dank des Geldsegens der Exzellenzinitiative. Im Juni 2012 bewilligte die gemeinsame Vergabe-Kommission von Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) und Wissenschaftsrat den neuen Exzellenzcluster an der Universität Münster. Seit einem Jahr ist er eingerichtet, etwa 28 Millionen Euro stehen dem Cluster „Cells in Motion“ (CiM) bis 2017 zur Verfügung. Das Ziel: Das Verhalten von Zellen in lebenden Organismen mit Hilfe von hochauflösenden bildgebenden Verfahren zu untersuchen. Von Hautkrankheiten über das Untersuchen der inneren Organe bis zur Degeneration von Gehirnzellen sind Kenntnisse und Bilder von den Prozessen in Zellen wichtig. Die Grundlagen dafür aber kommen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen: Biologie, Chemie, Pharmazie, Physik, Mathematik und Informatik. Zum Beispiel können Physiker und Mathematiker dabei helfen, auf tomographischen Bildern Unschärfen herauszurechnen, wenn die Labormäuse sich bewegen beziehungsweise der Patient in der Röhre nicht ganz stillhält.

Insgesamt sind rund 80 Forschergruppen aus fünf Fakultäten der WWU am CiM Exzellenzcluster beteiligt. Und genau diese große Vielfalt von Forschungsdisziplinen macht sich der Brown-Bag-Lunch zu Nutze, wie der gesamte Cells in Motion-Cluster. „Interdisziplinäre Forschung“ lautet das theoretische Konzept. Das heißt: Hier arbeiten Naturwissenschaftler und Ärzte Hand in Hand, um gemeinsam neue Ziele zu definieren und experimentell umzusetzen. Dabei gibt es durchaus auch Hürden, die überwunden werden wollen, denn nicht jeder ist es gewohnt, sich über die Grenzen seines Fachs hinaus verständlich zu machen. „Manchmal ist es schwierig, eine gemeinsame Sprache zu finden“, findet Rebecca Schmidt, die am Institut für klinische Radiologie im UKM arbeitet. „Andererseits sagen auch viele Forscher, mit denen ich mich austausche, dass sie eine kleine Erinnerung an den medizinischen Sinn ihrer Arbeit sehr motiviert.“ Und Biologe Sebastian Rumpf pflichtet ihr bei: „Als Grundlagenforscher wird man schnell zum Fachidioten, wenn sich die Doktorarbeit zum Beispiel nur um ein einziges Gen dreht. Da ist Austausch mehr als willkommen. Vor allem, wenn er so ungezwungen ist.“

Selbst methodische Erkenntnisse können sich die Forscher untereinander abschauen. Das hat bereits die erste Veranstaltung gezeigt, bei der Rebecca Schmidt über die Markierung von Zellen referierte. Nach dem Vortrag sprach eine Biologin sie an und bat um Austausch und Hilfestellung, damit sie Zellprozesse an lebenden Mäusen beobachten kann. „Selbst wenn es nur solche kleinen, methodischen Transfers sind, ist das schon ein Beweis, dass das Konzept Früchte trägt“, betont Rebecca Schmidt. Für die Mediziner unter den Teilnehmern ist das Referat beim Mittagessen zudem oft der einzige Weg, sich über Forschungsergebnisse zu informieren, die für das eigene Fachgebiet wichtig sein könnten. Der übliche Arbeitsalltag lässt wenig anderes zu. Mediziner Dr. Konrad Buscher, Internist und dritter im Bunde der Lunch-Organisatoren, berichtet aus eigener Erfahrung: „Wir Kliniker haben streng genommen dafür gar keine Zeit. Unser primärer Fokus ist die Patientenbetreuung und wir lernen nicht so einfach Forscher kennen, wenn es kein Forum dafür gibt.“

Bislang gab es kaum Plattformen, in denen insbesondere die jungen klinischen Wissenschaftler und Grundlagenforscher zusammen kamen, so der Tenor auf beiden Seiten. „Der Exzellenzcluster hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit dem Brown-Bag-Lunch eine solche Plattform zu schaffen“, betont Dr. Katja Zuther, CiM-Managerin für Karriereförderung. Häufig sei es so, dass man mit seiner wissenschaftlichen Community auf der anderen Seite der Erde mehr Kontakt habe, als mit Instituten aus der näheren Umgebung. Dabei gehe der Trend bei der Förderung von Forschung stark in Richtung kollaborativer Projekte. „Deswegen hoffen wir, dass aus der Vernetzung der jungen Forscher hier in Münster bald gemeinsame inter- und transdiziplinäre Projektanträge hervorgehen“, erklärt Katja Zuther. Als Starthilfe kann bereits ein Mittagssnack in einer braunen Papiertüte für junge Forscher viel bewirken. Denn nicht nur Rebecca Schmidt ist davon überzeugt, dass „die Ideen erst kommen, wenn man sich zusammensetzt“.