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© geralt - pixabay.com

Ein mächtiges Werkzeug für die Grundlagenforschung

Gentechnik: Für die Natur- und Lebenswissenschaften ist sie unentbehrlich – auch im Alltag ist sie längst angekommen

Nachrichten wie diese kursieren regelmäßig in den Medien: „Ein Elfjähriger, der von Geburt an taub war, kann wieder hören.“ Oder: „Die Entwicklung einer Gentherapie gegen Parkinson kommt voran.“ Schlagzeilen machte vor etwa drei Monaten auch die erste Zulassung einer Gentherapie auf Basis der „Genschere“ CRISPR/Cas: Kurz nach den USA erlaubte Großbritannien diese Therapie gegen die Sichelzellanämie – eine Bluterkrankung, die auf einem vererbbaren Gendefekt beruht. Dieser Defekt wird in den Blutstammzellen der Patienten korrigiert. Experten gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren weitere Gentherapien folgen werden, die auf der Genom-Editierung beruhen.

Während sich neue Therapien auf der Basis moderner gentechnischer Verfahren am Horizont abzeichnen, ist die Nutzung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen wie Bakterien oder Hefen in vielen Bereichen des menschlichen Lebens Alltag, zum Beispiel bei der Herstellung von Pharmazeutika oder von Enzymen für Waschmittel. Auch in der Lebensmittelindustrie werden unter anderem Enzyme durch solche Mikroorganismen hergestellt. So lässt sich beispielsweise Käse produzieren, ohne dass Lab-Enzyme aus dem Magen von Kälbern entnommen werden müssen. Weitere Beispiele für Zusatzstoffe und Zutaten, die mithilfe von Gentechnik hergestellt werden können sind die Aminosäure Cystein zur Verbesserung der Verarbeitung von Backwaren, der Süßstoff Aspartam, der Geschmacksverstärker Glutamat, außerdem verschiedene Aromastoffe und Vitamine. Diese Anwendungen von Gentechnik fallen nicht unter die Kennzeichnungspflicht, ebenso wenig wie Erzeugnisse von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden. Von den jährlich in die EU als Futter eingeführten 30 Millionen Tonnen Sojabohnen und Sojaschrot stammt der überwiegende Teil aus Ländern, die fast ausschließlich gentechnisch veränderte Sojabohnen anbauen.

Gentechnisch veränderte Pflanzen werden in manchen Ländern seit mehr als zwei Jahrzehnten angebaut, beispielsweise in den USA, in China und in Indien. Dagegen ist die „grüne“ Gentechnik in der EU und vor allem in Deutschland umstritten; in Deutschland werden keine gentechnisch veränderten Pflanzen kommerziell angebaut. Die Debatte darüber nimmt seit einigen Monaten jedoch wieder Fahrt auf. Die EU-Kommission und Wissenschaftsorganisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina plädieren dafür, Pflanzenzüchtungsverfahren zuzulassen, die neue gentechnische Methoden wie die Genom-Editierung mit CRISPR/Cas zu Hilfe nehmen und im Ergebnis von konventionellen Zuchtmethoden nicht unterscheidbar sind. Im Februar 2024 stimmte das EU-Parlament für eine Lockerung der Vorschriften für die Anwendung dieser neuen Gentechnikmethoden und für eine eingeschränkte Kennzeichnungspflicht. Viele Verbraucherschützer und Umweltverbändeverbände lehnen die von der EU angeregte Reform ab.

Es gilt immer, Nutzen und Risiken sorgfältig zu prüfen.
Prof. Dr. Antje von Schaewen

„Wir müssen unterscheiden: Es gibt transgene Pflanzen, die ein artfremdes Gen tragen und die von den Lockerungen nicht betroffen wären“, erklärt Prof. Dr. Antje von Schaewen vom Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen an der Universität Münster. „Auf der anderen Seite lassen sich mit modernen Verfahren Pflanzen erzeugen, die in ihrem Erbgut exakt gesetzte, gewünschte Punktmutationen enthalten, wie sie auch in der Natur vorkommen – dort allerdings zufallsabhängig. Oder man kann arteigene Gene übertragen – präziser, als es mit konventionellen Züchtungsmethoden möglich ist.“ Kategorische Vorbehalte gegen die grüne Gentechnik findet sie bedenklich. „Selbstverständlich gilt es immer, Nutzen und Risiken sorgfältig zu prüfen. Aber nehmen wir das Beispiel ‚Golden Rice‘: Diese Reissorte enthält im Gegensatz zu weißem Reis dank der Gentechnik Provitamin A. Damit hat sie das Potenzial, ungefähr zwei Millionen Menschen in Entwicklungsländern zu retten, die aufgrund von Mangelernährung jährlich erblinden oder sterben – vor allem Kinder sind betroffen.“ Bereits 2002 war dieser Reis marktreif. Mehrere Lobbyorganisationen, darunter Greenpeace, protestierten massiv, sodass er erst 2020 erstmals auf den Philippinen angebaut wurde – nachdem Wissenschaftler über zwei Jahrzehnte hinweg immer wieder auf den Nutzen hingewiesen hatten.

Für die Natur- und Lebenswissenschaften hat die Gentechnik große Bedeutung, um beispielsweise herauszufinden, wie Körpermerkmale oder Krankheiten entstehen, welche Prozesse auf molekularer Ebene stattfinden und welche Rolle die Gene dabei spielen. Ob Löwenzahn oder Tabakpflanze, Coli-Bakterien, Viren oder Hefezellen, Zebrafisch oder Taufliege – die Liste von Organismen, die für die Forschung gentechnisch verändert werden, ist lang. „Die Gentechnik ist für die Grundlagenforschung ein mächtiges und nicht mehr wegzudenkendes Werkzeug“, betont Prof. Dr. Stefan Schulte-Merker vom Institut für Kardiovaskuläre Organogenese und Regeneration an der Medizinischen Fakultät. „Sowohl für die angewandte Forschung als auch in der Praxis – egal ob Landwirtschaft, Klinik oder Industrie – sind die Erkenntnisse dieser Forschung für den biomedizinischen und gesellschaftlichen Fortschritt unerlässlich.“

Autorin: Christina Hoppenbrock

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 4. April 2024.

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