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Münster (upm/kk).
Der Bestand der Saiga-Antilope wird allein in Kasachstan auf rund 1,3 Millionen Tiere geschätzt.© Albert Salemgareyev, ACBK
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„Es geht um die Förderung einer Koexistenz von Wildtieren und Menschen“

Vegetationsökologe Norbert Hölzel über den aktuellen Mensch-Wildtier-Konflikt mit Antilopen in Kasachstan

In den trockenen Steppenlandschaften und Halbwüsten Zentralasiens lebt die Saiga-Antilope - ein Herdentier, das aufgrund von Wilderei seit den 1990er Jahren vom Aussterben bedroht war. Seitdem hat sich die Population mithilfe von Schutzprogrammen wieder erholt, der Bestand wird allein in Kasachstan auf rund 1,3 Millionen Tiere geschätzt. Durch den starken Anstieg nehmen jedoch die Konflikte zwischen Landwirten und den Saiga-Antilopen zu. Im Mai findet eine internationale Konferenz in Kasachstan statt, die sich mit den aktuellen Herausforderungen und möglichen Lösungen beschäftigt. Prof. Dr. Norbert Hölzel vom Institut für Landschaftsökologie ist ebenfalls als Experte vor Ort. Im Vorfeld seiner Reise sprach er mit Kathrin Kottke über die Situation in Kasachstan, wie Mensch-Wildtier-Konflikte entstehen und wie mit ihnen umgegangen werden kann.

Sie forschen seit über zehn Jahren zu Landnutzungsänderungen in Kasachstan und wie sich Mensch-Umwelt-Beziehungen verändert haben. Welche Rolle spielt die Saiga-Antilope in diesem Zusammenhang?

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist der Saiga-Bestand in Kasachstan durch intensive Jagd und Wilderei rapide zurückgegangen. In nur zehn Jahren, von 1992 bis 2003, sank ihr Bestand von über einer Million auf knapp 50.000 Tiere – ein Rückgang von über 95 Prozent. Nach der Einführung von Schutzmaßnahmen und einem strikten Jagdverbot und durch ihre hohe Vermehrungsrate ist die Zahl der Tiere wieder gestiegen. In der größten Population, im Uralgebiet, gibt es inzwischen wieder mehr als eine halbe Million Tiere. Das ist ein großer Erfolg für den Naturschutz, der jedoch Konflikte schürt.

Wie sehen diese Konflikte konkret aus?

Die Saiga-Antilope tritt in großen Herden auf – da können schon mal über Tausend Tiere an Ort und Stelle zusammenkommen. Sie grasen sowohl das Ackerland als auch die Gräser und Sträucher in der Steppe ab, die für viele Haus- und Nutztiere wie beispielsweise Schafe, Pferde, Rinder und Ziegen die Nahrungsgrundlage sind. Den Landwirten und Viehbesitzern passt das natürlich gar nicht. Sie befürchten, dass die Futterressourcen für ihre Tiere minimiert werden und sie schlussendlich finanzielle Einbußen haben – so die Annahme.

Ist es nur eine Annahme - dafür gibt es also keine Belege?

Bislang gibt es weder Studien noch umfangreiche Monitorings, die evidenzbasierte Statistiken liefern. Es gibt zwar zahlreiche Beschwerden von landwirtschaftlichen Erzeugern über die Zerstörung von Feldfrüchten und Weiden. Aber ob ausschließlich die Saiga-Antilope dafür verantwortlich ist oder auch andere Faktoren, zum Beispiel geringer Niederschlag, ist nicht bewiesen. Wir möchten daher zukünftig mit unserem Kooperationspartner vor Ort, der Association for the Conservation of Biodiversity of Kazakhstan, Projekte implementieren, um diese Forschungslücken zu schließen.

Über die Saiga-Antilope soll nun auf einer Tagung diskutiert werden, zu der die kasachische Regierung Sie als Experten eingeladen hat. Wer nimmt an dieser Konferenz teil - und was erwartet man konkret von Ihnen?

Es treffen sich zahlreiche internationale Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Natürlich werden auch Vertreter von Behörden, Naturschutzverbände und landwirtschaftliche Akteure dabei sein. Ich bringe vor allem meine Expertise in der Vegetationsökologie ein und berichte, wie die Auswirkungen des globalen Wandels, etwa Klima- und Landnutzungsänderungen, auf Landschaften, Lebensräume und Arten aussehen. Da ich mit meinem Team schon lange in Westsibirien und Kasachstan diese Veränderungsprozesse erforsche, passt mein Wissen gut zur aktuellen Saiga-Problematik.

Haben Sie also auch schon eine mögliche Lösung vor Augen?

Es müssen unterschiedliche Strategien erarbeitet werden, um die Saiga-Populationen in den nächsten Jahren unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung nachhaltig zu schützen. Grundvoraussetzung für den Erfolg sämtlicher Maßnahmen ist die frühzeitige Einbindung der lokalen Bevölkerung und der unterschiedlichen Interessensgruppen. Dazu gehören Landwirte, Behörden und Naturschutzverbände. Im Grunde geht es um die Förderung einer Koexistenz von Wildtieren und Menschen. Das klingt einfacher als gesagt ...

Gibt es denn konkrete Ideen oder Vorschläge?

Man müsste versuchen, die Saiga-Bestände gezielt zu lenken, um ihren Aufenthaltsort zu bestimmen. Einzäunen ist keine Option, da die Region viel zu groß ist. Aber wir haben festgestellt, dass Saiga-Antilopen besonders gerne dort fressen, wo es frisch gebrannt hat. Feuer tritt in der Steppe relativ häufig auf. Durch gezieltes Feuerlegen könnte die Population möglicherweise gelenkt werden. Um diesen Zusammenhang zu belegen, müssten jedoch noch Studien durchgeführt werden.
Es gibt auch Überlegungen, die Wolfspopulation in der Region zu erhöhen, da der Wolf ein natürlicher Feind der Saiga-Antilope ist. Auch die Einführung von Ökotourismus wäre eine Option, ähnlich wie Safaris in Afrika. Das hätte für die lokale Bevölkerung zudem den Vorteil, dass sie daran verdienen könnten.

Können die Tiere auch bejagt werden?

Einige Personen befürworten eine kontrollierte Bejagung, wie sie auch zu Zeiten der Sowjetunion üblich war. Das wäre aus meiner Perspektive allerdings ein negatives Signal, wenn nach vielen Jahren intensiver Schutzmaßnahmen und einem Wildereiverbot die Saigas nun wieder zum Abschuss freigegeben werden. Zusätzliche Weidetiere sind in der Steppe dringend notwendig, um die weitgehend verlorene natürliche Balance zwischen Feuer und Beweidung wiederherzustellen. Wenn es sich dabei um Wildtiere wie die Saiga handelt, ist dies umso begrüßenswerter.

Könnten ähnliche Probleme auch in Deutschland auftreten, beispielweise Konflikte zwischen Wölfen und Menschen?

Durchaus, wenn auch in einem anderen Umfang und in geringerer Intensität. Der Wolf ist aktuell ein klassisches Beispiel, wenn es um Konflikte zwischen Tierhaltern und Naturschutz geht. Dies ist vor allem in Regionen der Fall, in denen die Landschaften durch große Weideflächen geprägt sind wie etwa in den Alpen. In der heimischen Almwirtschaft laufen die Tiere frei rum. Berichten zufolge werden regelmäßig Schafe oder Kälber gerissenen und die Tierhalter erleiden einen hohen Sachschaden. Das Thema ist auf beiden Seiten emotional aufgeladen, sowohl bei den Tierhaltern als auch bei den Naturschützern. Bei gemeinsamen Lösungen und Strategien geht es leider nur mühsam voran. Ich hoffe, dass wir auf der Tagung in Kasachstan produktiver sind.

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