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Münster (upm/kk)
Marcelo de Lima Galvao und Angela Schwering haben in den vergangenen Jahren die Navigation von mehr als 1.000 Probanden in dem Fahrsimulator untersucht.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Marcelo de Lima Galvao und Angela Schwering haben in den vergangenen Jahren die Navigation von mehr als 1.000 Probanden in dem Fahrsimulator untersucht.
© WWU - Peter Leßmann

Räumliche Orientierung stärken

Im Projekt "WayTO" entwickeln Wissenschaftler die Navigation der Zukunft

In 100 Metern rechts abbiegen. Bleiben Sie auf der linken Spur. An der dritten Ausfahrt rechts abbiegen. Viele Autofahrer kennen diese Sätze und sie verlassen sich bei Urlaubsreisen, Arbeitsterminen oder im Alltag auf ein Navigationssystem. Die sogenannte „Schritt-für-Schritt“-Anweisung ist der dominierende Ansatz bei Navigationsgeräten und -Apps. Geoinformatiker der WWU finden diesen Ansatz hoch problematisch, denn er ermöglicht dem Nutzer nicht, ein räumliches Verständnis seiner Umgebung zu entwickeln. „Die meisten Systeme verlangen dem Autofahrer möglichst wenig ab, um ihn an sein Ziel zu führen. Auf den eigenen Orientierungssinn verlässt sich kaum noch jemand“, erklärt Prof. Dr. Angela Schwering, die sich seit 2014 in dem von der Europäischen Union geförderten Projekt „WayTo“ (Wayfinding Through Orientation; zu Deutsch: Wegfindung durch Orientierung) mit der Navigation und der Orientierung im Raum beschäftigt.

Die Navigationsführung der Zukunft muss nach Ansicht der münsterschen Wissenschaftler den Nutzer dabei helfen, seine Umgebung beim Fahren aktiv wahrzunehmen und sich anhand bestimmter Strukturen und Merkmalen zu orientieren. Diese sogenannten Landmarken können lokal sein, etwa die Tankstelle an der Ecke, oder global der Orientierung dienen, wie das Stadtzentrum, das links umfahren wird. „Die räumliche Wahrnehmung ist für Menschen jedes Alters wichtig und nützlich, um die eigenen kognitiven Fähigkeiten zu trainieren und zu erhalten“, erklärt Angela Schwering. Das könne vor allem dann wichtig sein, wenn der Nutzer als aktiver Entscheider gefordert ist. Beispielsweise, wenn die Routenplanung mehrere Aufgaben enthält, wie etwa Einkaufen, Arzttermine und Freunde besuchen, ist das konventionelle Links-Rechts-Geradeaus-Schema zum Zielpunkt wenig hilfreich.

Wer blind den Ansagen des Navigationssystems folgt, weiß irgendwann nicht mehr, wo er sich gerade befindet und was hinter im liegt. „Das ist eins der Kernprobleme, die wir im Projekt untersuchen. Menschen verfügen über mehrere Möglichkeiten, um sich zu orientieren. Man kann sich den zurückgelegten Weg merken – dabei helfen markante Gebäude wie eine Kirche oder ein Krankenhaus als lokale Landmarken, die dann mit Richtungsangaben verknüpft werden“, sagt Projektmitarbeiter und Kognitionswissenschaftler Dr. Jakub Krukar. Im Kopf entstehe dadurch eine kognitive Karte, die das Überblickswissen für die räumliche Umgebung stärke, ist sich der Wissenschaftler sicher.

Das interdisziplinäre Projekt, bestehend aus Geoinformatikern und Informatikern, Kognitionswissenschaftlern, Psychologen und Sprachwissenschaftlern, untersuchte in den vergangenen Jahren mit Hilfe von mehr als 1.000 Probanden, welche Karten die räumliche Orientierung unterstützen. In einem Fahrsimulator fuhren die Studienteilnehmer durch eine virtuelle Umgebung. Die Wissenschaftler veränderten zuvor die Kartendarstellung: Sie hoben relevante Landmarken hervor, die sowohl unmittelbar an der Route lagen oder auf globaler Ebene als Orientierung dienten, wie geografische Merkmale. Zusätzlich vereinfachte das Team die Routendarstellung; ähnlich wie bei Bus- oder Metro-Fahrplänen. Zum Beispiel reduzierten sie die Anzahl der Straßen und hoben wichtige Entscheidungspunkte, wie etwa eine Kirche an der Straße an der man abbiegen muss, hervor. Darüber hinaus passten sie die Maßstäbe an, indem sie beispielsweise Autobahnfahrten größer und Kreuzungen kleiner beziehungsweise detaillierter skalierten.

Das zentrale Ergebnis der empirischen Untersuchung ist: Die Darstellung lokaler Landmarken entlang der Straßenführung fördert die Routenkenntnis, während die Hervorhebung struktureller und globaler Merkmale die generelle Übersicht und Orientierung unterstützt. Basierend auf diesen Erkenntnissen erstellen die Wissenschaftler Demokarten mit der neuen Displaydarstellung. „Diese Karten bieten große Potenziale für ältere Menschen, auch für Demenzkranke, da sie die räumliche Orientierung trainieren“, erklärt Angela Schwering. Darüber hinaus sehen die Wissenschaftler vor allem in der Tourismus-Branche Anwendungsbedarf, beispielsweise bei der Erkundung einer fremden Stadt. Die vereinfachten Karten und die Hervorhebung von Landmarken helfen bei dem schnelleren Zurechtfinden.

Das Team um Angela Schwering arbeitet derzeit an einen fortführenden Projektantrag. Gemeinsam mit Partnern aus der Navigations-Branche, Entwicklern von geographischen Informationssystemen, Softwarefirmen und Unternehmen, die die Karten herstellen und gestalten, soll das innovative Potenzial der neuen Kartendarstellung überprüft werden. Navigationshersteller haben bereits erstes Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 14. Oktober 2020.

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