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Münster (upm/kk)
Dr. Jan Lehmann trifft letzte Vorbereitungen, bevor die Drohne starten kann.© WWU - Kathrin Kottke
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Ökosysteme aus der Luft erforschen

Die Geo1Copter-Gruppe arbeitet mit modernen Drohnen

Geradezu idyllisch sieht es aus, wenn man die Heckrinder und Konikpferde auf den Wiesen in der Emsaue bei Vadrup beim Grasen beobachtet. Die 33 Hektar große Ganzjahresweidelandschaft liegt im Naturschutzgebiet Emsaue und wurde im Rahmen der Umsetzung des Emsauenschutzkonzeptes 2004 eingerichtet. Sie liegt rund 15 Kilometer nordöstlich von Münster und wird von der NABU-Naturschutzstation Münsterland betrieben. Seit 2016 untersuchen Landschaftsökologen der WWU das Areal, um mehr über die Pflanzen- und Tierwelt zu erfahren.

Dabei arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler häufig mit einer knapp fünf Kilogramm schweren Drohne. Die sogenannten unbemannten Flugsysteme erstellen Ökosystemanalysen aus der Luft. Auch Studentin Clara-Marie Putschky wertet die Drohnenbilder für ihre Bachelorarbeit aus. Sie untersucht die Auswirkungen von sogenannten Großherbivoren – also von den Heckrindern und Konikpferden – auf das Ökosystem in der Emsaue. „Dabei interessieren mich vor allem mechanische Störstellen am Boden, die zum Beispiel durch das Hufscharren geschaffen werden und für das Vorkommen von Insekten wichtig sind.“ Zu Fuß wäre die Kartierung der Störstellen sehr zeitaufwändig. Mithilfe der hochauflösenden Luftbilder, die aus zahlreichen orthogonalen, sich überschneidenden Einzelaufnahmen gerechnet werden, können durch gezielte Auswertungsalgorithmen diese Störstellen automatisch erfasst werden.

Vor mehr als zehn Jahren fing unter der Leitung von Dr. Torsten Prinz vom Institut für Geoinformatik an der WWU eine studentische Gruppe damit an, eigene Multikopter zu bauen. Zu dieser Zeit gab es nur wenige kommerzielle, zivile Drohnen zu kaufen. „Wir haben uns oft in einer Sporthalle der WWU getroffen und versucht, die Drohnen zum Fliegen zu bewegen. Über eine Flugzeit von fünf Minuten haben wir uns riesig gefreut – heute kann die Drohne fast eine Stunde in der Luft bleiben und eine Fläche von bis zu 400 Hektar erfassen“, sagt Jan Lehmann, der bereits als Kind begeisterter Modellflugbauer war und zur Drohnen-Fernerkundung in der Landschaftsökologie promoviert hat. Neben der Drohnentechnik war auch die Kamerasensorik noch nicht auf ökologische Untersuchungen ausgelegt, so dass die Forscher ihre eigenen Kameras modifiziert haben. „Heutzutage sind Drohnen mit einer professionellen Multispektralkamera ausgerüstet, die die Bilddaten räumlich hochauflösend aufzeichnet. Das Auflösungsspektrum reicht dabei von einer Betrachtung einzelner Pflanzen bis hin zum gesamten Untersuchungsgebiet“, erklärt er.

Wo früher das „Tüfteln“ und „Schrauben“ im Vordergrund stand, ist die heutige interdisziplinäre Geo1Copter-Gruppe vor allem an den Auswertungen der Daten interessiert – Geo1 steht dabei für das Gebäude, in dem die Geoinformatiker und Landschaftsökologen untergebracht sind. „Für den modernen Naturschutz sind Drohnen ein wertvolles Werkzeug. Bei der Untersuchung von Habitaten, Tierbeständen und der Ökosystementwicklung haben sich Drohnen als kostengünstige und vergleichsweise einfach zu handhabende Technologie erwiesen,“ erläutert Prof. Dr. Christoph Scherber, Leiter der Arbeitsgruppe Tierökologie und multitrophische Interaktionen des Instituts für Landschaftsökologie. Auch der praktische Naturschutz profitiere. „Die Informationen und Daten, die wir mithilfe der Drohnen erhalten, sind für unsere Naturschutzplanung sehr wichtig – vor allem, wenn es um die Überwachung von Lebensräumen oder Bewertung von Lebensraumpotenzial geht“, sagt Dr. Christian Göcking von der NABU-Naturschutzstation Münsterland.

Für den Drohneneinsatz in der Emsaue müssen die Wissenschaftler vorher einiges an Papierkram erledigen, denn die Flüge in Naturschutzgebieten unterliegen strengen Auflagen – sie müssen von der Naturschutzbehörde genehmigt werden. „Unsere Drohne hat den Vorteil, dass sie nahezu geräuschlos fliegt, sodass Tiere, die auf der Fläche brüten, nicht gestört werden. Der Start und die Landung der Drohne erfolgen außerhalb des Naturschutzgebiets“, sagt Henning Schneidereit, der als studentische Hilfskraft mithilft und aktuell seinen Drohnen-Kenntnisnachweis macht – denn zum Steuern und Fliegen ist eine Betriebserlaubnis vom Luftfahrtbundesamt nötig.

Die Geo1Copter-Gruppe ist auch außerhalb des Münsterlands aktiv. Beispielsweise hat sie in Patagonien an der Südspitze Südamerikas die Moorvegetation im Nationalpark „Tierra del Fuego“ kartiert. In Brasilien hat die Forschergruppe im bislang wenig erforschten Ökosystem „Mussununga“ die Ausbreitung von invasiven Akazien erfasst und Inselberge, die nicht begehbar sind, überflogen. Durch die Aufnahmen wollen die Wissenschaftler den Deckungsgrad der an den Steilwänden wachsenden Bromelienpflanze berechnen, die einen großen Einfluss auf die Landschaft und den Wasserhaushalt haben.

Bei allem technischen Fortschritt und der Arbeitserleichterung müssen manche Aufgaben dennoch zu Fuß und per Hand erledigt werden. „Im Sommer nehme ich die Insektenquantifizierung in der Emsaue vor. Dazu zähle ich Wildbienen auf einigen der Störstellen und in den Bereichen mit geschlossener Vegetationsdecke“, erklärt Clara-Marie Putschky. Die Ergebnisse der Kartierung rechnet die Studentin anschließend auf die Gesamtkulisse hoch.

Zukünftig möchte die Projektgruppe eine hyperspektrale Kamera für die Drohne anschaffen. „Die waren früher so groß wie eine Mikrowelle, heute sind sie in Handygröße erhältlich und können spektral sehr hochauflösende Daten sammeln“, sagt Jan Lehmann. Außerdem möchte die Gruppe sich intensiver mit dem Monitoring von Mooren beschäftigen. „Vor allem durch die zunehmend trockenen Sommer und der intensiven Landwirtschaft sind diese Ökosysteme besonders gefährdet – daraus ergeben sich viele spannende Forschungsfragen“, erläutert Christoph Scherber.

Autorin: Kathrin Kottke

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 15. Juli 2020.

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