„Die Sprache der Gaben“

Historiker Gerd Althoff über eine Tagung zur internationalen Kultur der Staatsgeschenke

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Prof. Dr. Gerd Althoff

© Julia Holtkötter

Mit dem Austausch von Staatsgeschenken zwischen Russland und Europa befasst sich eine Tagung im Moskauer Kreml-Museum, die der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster im Oktober zusammen mit dem Deutschen Historischen Institut und der Lomonossow-Universität veranstaltet. Cluster-Sprecher und Historiker Prof. Dr. Gerd Althoff erläutert im Interview, was es mit dem jahrhundertelangen, internationalen Gabentausch auf sich hatte und warum uns diese kulturelle Praxis heute noch angeht.

Warum lädt der Exzellenzcluster ausgerechnet in die Rüstkammer des Kreml-Museums zu einer Konferenz über „Die Sprache der Gaben“ ein?

Die Rüstkammer des Kreml-Museums bietet sich als idealer Tagungsort an, weil dort prachtvolle europäische und asiatische Staatsgeschenke an die russischen Zaren zu sehen sind, vom 11. bis zum 18. Jahrhundert. Das Museum präsentiert etwa eine große Zahl von Thronen, zahlreiche Waffen und Rüstungen, auch wertvolles Tischgeschirr, Dekorationen und andere symbolische Geschenke. Dieser reiche Schatz – im Westen noch weitgehend unbekannt – lädt Historiker, Kunsthistoriker, Byzantinisten und Theologen geradezu ein, über die symbolische Sprache der Gaben und deren internationale Verständlichkeit nachzudenken.

Was hatte es mit dem Austausch von Staatsgeschenken auf sich?

Mit den Gaben begründeten europäische Machthaber ihre Beziehung zu den jeweiligen Herrschern in Moskau. Die Geschenke zeigten symbolisch, welchen Stellenwert der Beschenkte für den Schenkenden hatte und welche Beziehung letzterer sich wünschte. Gaben und Geschenke waren seit jeher geeignet, soziale, religiöse und politische Beziehungen zu begründen, zu intensivieren oder zu verlängern.
Die Tagung untersucht damit also historische Beziehungen zwischen Russland und Europa. Was geht uns das heute an?

Es geht auch um eine bis heute politisch hoch brisante Frage: Gehört Russland zu Europa?

Viele Menschen in Westeuropa und den ehemaligen Sowjetrepubliken in Mitteleuropa meinen, man könnte und sollte Russland aus der europäischen Integration und Tradition heraushalten. Wer allerdings durch das Kreml-Museum geht, wird erkennen, welch intensive Kontakte alle europäischen Mächte mit den Zaren pflegten. Die Fülle an Staatsgeschenken zeigt, dass Russland integraler Teil des europäischen Kommunikationssystems war. Das sind starke historische Argumente dafür, die Grenze zwischen Europa und Asien nicht vom Ural an die polnische Grenze vorzuverlegen, wie es manche Bürger und Politiker heute gern täten.

Gab es Regeln für das Schenken, damit die Staatsbeziehungen gelangen?

Es gab zwar keinen „Knigge des Gabentausches“, die Regeln waren aber als Gewohnheiten auch international bekannt. Ihre Existenz und Verbindlichkeit will die Tagung im internationalen Vergleich nachweisen. Vieles weist darauf hin, dass sich die Spielregeln des Schenkens über Kulturen und Epochen hinweg stark ähnelten. So hatte der Schenkende den Rang des Beschenkten zu beachten. Der Ranghöhere musste üppiger schenken, als er selbst beschenkt wurde, um Überlegenheit und Großzügigkeit zu zeigen. Mit Geschenken ließ sich auch provozieren. Wer zu viel oder zu wenig schenkte, missachtete bewusst den Rang des anderen. Ein deutscher König etwa erhielt zwei Rehe, von denen er selbst genug zuhause hatte – statt exotischer Löwen oder Leoparden. Er verstand dies zu Recht als Beleidigung. Eine weitere Regel war das „Do ut des“, das schon die Römer kannten: Ich gebe, damit du gibst. Gaben erwarteten Gegengaben. Das spielte in den unterschiedlichsten Situationen eine Rolle: in Heiratsverbindungen und dynastischen Allianzen, bei Hofe oder in Kriegssituationen.

Mussten die Geschenke möglichst teuer sein?

Es ging nicht nur um Gold und Edelsteine. Der materielle Wert allein war nicht entscheidend. Begehrt war wie heute alles, was selten oder einzigartig war: Luxusgeschenke, die als Statussymbol dienten. Könige besaßen einen ganzen Zoo mit seltenen Tieren, die sie geschenkt bekommen hatten, Löwen oder Elefanten, sprechende Papageien oder dressierte Bären.

War der Gabentausch ein rein innerweltliches Phänomen?

Der Gabentausch beschränkte sich nicht auf innerweltliche Sphären, wie Theologen auf der Konferenz ausführen werden. Westliche und orthodoxe Christen glaubten gleichermaßen daran, Gott oder die Heiligen beschenken zu können, sei es durch materielle Leistungen oder Gebete, um eine wichtige Gegengabe zu erhalten: das Seelenheil, die Rettung vor der Verdammnis. Darauf beruht das ganze Stiftungswesen an die Kirchen.

Interview: Viola van Melis