(C2-9) Historisch kritischer Korankommentar unter Berücksichtigung von Aneignungs-, Transformations- und Abgrenzungsprozessen zwischen Islam und der jüdisch-christlichen Tradition

Das Projekt mit dem Arbeitstitel „Historisch kritischer Korankommentar unter Berücksichtigung von Aneignungs-, Transformations- und Abgrenzungsprozessen zwischen Islam und der jüdisch-christlichen Tradition“ ist in die so genannte „Theologie der Barmherzigkeit“ eingebettet und setzt sich zum Ziel, unterschiedliche Themenkomplexe des Korans inhaltlich zu analysieren und zu kommentieren, um so auf lange Sicht einen vollständigen Korankommentar in deutscher Sprache zu erstellen. Das Projekt ist dabei so ausgerichtet, dass es sowohl einen deskriptiven als auch einen normativen Teil beinhaltet, die nicht separiert voneinander, sondern ineinander verzahnt betrachtet werden.

Der Koran ist nach dem islamischen Selbstverständnis im siebten Jahrhundert in einem Zeitraum von 23 Jahren verkündet worden. Dabei wird zwischen zwei Hauptphasen der Verkündung unterschieden: die mekkanische Phase von 610 bis 622 n. Chr. und die medinensische von 622 bis 632 n. Chr. In dieser Zeit haben viele historische Ereignisse und einschneidende gesellschaftliche Veränderungen stattgefunden, die sich zum großen Teil im Koran wiederfinden lassen. Gleichzeitig beinhaltet der Koran zahlreiche Geschichten und Elemente aus der christlich-jüdischen Tradition und setzt sich immer wieder mit dem Christentum und Judentum auseinander.

Das Projekt besteht aus mehreren Teilprojekten. Jedes Teilprojekt befasst sich mit einem thematischen Schwerpunkt aus dem Koran. Bei der Analyse steht jedem Mitarbeiter/jeder Mitarbeiterin des Projekts zum einen der Korantext selbst gegenüber, d.h. konkret die im jeweiligen Korpus eines Themenschwerpunktes befindlichen Verse, zum anderen aber eine Reihe von ausgewählten Exegeten und deren Aussagen zu den entsprechenden Versen. Sowohl der Korantext als auch die Aussagen der Exegeten sollen in einem ersten Schritt in ihrem historischen Kontext verortet werden.

Die Erarbeitung dieses deskriptiven Teils führt das Projekt unweigerlich zu dem normativen Teil, dessen Zielsetzung es ist, die im deskriptiven Teil erzielten Ergebnisse auf der Grundlage der „Theologie der Barmherzigkeit“ auszuwerten, um dann im dritten Teil zu einer Kommentierung zu gelangen, die auch den heutigen Lebenskontext einbezieht. Die „Theologie der Barmherzigkeit“ liefert Kriterien für die normative Auslegung des Korans. Als oberste koranische Maxime gilt der Selbstanspruch des Korans an die Botschaft Mohammeds und an sich selbst: „Wir haben dich [Muhammad] lediglich als Barmherzigkeit für alle Welten entsandt.“ (Koran 21:107) und „Dieses Buch ist Rechtleitung und Barmherzigkeit“ (Koran 7:52). Daraus lassen sich konkrete Kriterien einer koranischen Hermeneutik ableiten. Für das Projekt lässt sich also eine Drei-Schritt-Methode erkennen: 1. Historische Kontextualisierung der Verse und der jeweiligen Aussagen ausgewählter Exegeten, 2. Auswertung des deskriptiven Materials anhand der Kriterien der Theologie der Barmherzigkeit, 3. Analyse der Bedeutung der jeweiligen Verse für den heutigen Kontext.

Teilprojekte

  1. Krieg und Frieden im Koran (Mouhanad Khorchide): Dieses Teilprojekt befasst sich mit dem Thema Gewalt im Koran im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen, die im Koran angesprochen werden. Diese werden in ihrem historischen Zusammenhang verortet und analysiert.
  2. Glaube im Koran (Mouhanad Khorchide): Der Koran lädt zum Glauben ein. Der Begriff „Iman“ (Glaube) wird allerdings im Koran in unterschiedlichen Zusammenhängen und Implikationen verwendet. Dieses Teilprojekt befasst sich mit koranischen Zugängen zum Glauben.
  3. „Feministische“ Koranhermeneutik (Dr. Dina El Omari, Zentrum für Islamische Theologie): In diesem Teilprojekt sind koranische Verse, die das Thema „Geschlechterrollen“ bzw. „Frauen“ ansprechen, Gegenstand der Analyse, wobei sich einige Verse heute als hermeneutische Herausforderung herausstellen und andere wiederum noch unentdecktes Potenzial aufweisen.
  4. Der Begriff „Kufr“ im Koran (Ahmed Sami): Dieses Teilprojekt befasst sich mit dem Begriff  „Kufr“  im Koran, der innerhalb der islamischen Theologie einer der zentralen und zugleich der umstrittensten Begriffe ist. Die Kontroversen über den Begriff begründen sich darin, dass gerade dieser Begriff die Grundlage für die Identifizierung der eigenen Identität einer muslimischen Gemeinde als eine zusammengehörige Gemeinschaft „ʾUmma“ ist. Im Laufe der Geschichte kann man erkennen, wie sich der Begriff erweitern ließ, um andere Gruppierungen zu erfassen, die man von der eigenen Gruppe ausgrenzen möchte. So wird der Begriff durch verschiedene Gruppierungen in der islamischen Geschichte instrumentalisiert, um sich von anderen Gruppierungen zu distanzieren bzw. sie zu Feinden zu erklären, was eventuelle Gewaltaktionen ihnen gegenüber legitimieren kann. Mitten in diesem Spannungsfeld setzt sich die vorliegende Arbeit das Ziel, den Begriff „Kufr“ im Koran detailliert zu analysieren.
  5. Schöpfungstheologie im Koran (Mehmet Genc, Zentrum für Islamische Theologie): Dieses Teilprojekt beschäftigt sich mit koranischen Versen, die sich mit dem Thema „Erschaffung der Welt“ auseinandersetzen.
  6. Jüdisch-christliche Narrative im Koran? (Catarina Rachik): Dieses Teilprojekt untersucht anhand ausgewählter Narrative im Koran die Transformations- und Abgrenzungsprozesse im Verhältnis zu ähnlichen Narrativen in der jüdisch-christlichen Tradition, vor allem in den Prophetengeschichten.

Das Projekt ist Teil der Koordinierten Projektgruppe Transfer zwischen Weltreligionen: Aneignung – Transformation – Abgrenzung.