Steppenökosysteme in Kasachstan

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    Steppenökosysteme in Kasachstan - Hintergrund

    Der Eurasischen Steppen waren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 Schauplatz großräumiger Landnutzungsänderungen, besonders in der Landwirtschaft. Durch die Abwicklung der Staatsfarmen und damit verbundene ökonomische Schwierigkeiten fielen Millionen Hektar Ackerfläche brach, und die einstmals großen Viehbestände schmolzen auf Bruchteile zusammen. Dies resultierte in spontaner Restaurierung riesiger ehemals landwirtschaftlich genutzter Bereiche zurück zu Steppe, und stark veränderten Beweidungsmustern. In den vergangenen Jahren haben sich allerdings diese Trends umgekehrt: Es ist eine erneute Ausweitung und Intensivierung  des Ackerbaus und ein Anwachsen der Viehbestände zu beobachten.

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    Fruchtendes Federgras verwandelte die Steppe im Mai in ein silbern glänzendes Meer im Mai. (Foto: Johannes Kamp)
    © Johannes Kamp

    Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese tiefgreifenden Änderungen in der Landnutzung einen starken Einfluss auf Tier- und Pflanzenpopulationen der Steppe hatten (und in Zukunft haben werden) – allerdings gibt es kaum quantitative Daten, die dies belegen würden.

    Wir untersuchen in Zusammenarbeit mit  internationalen Naturschutzorganisationen (wie RSPB in Großbritannien und dem BirdLife-Partner ACBK in Kazakhstan), wie sich großmaßstäbige Nutzungsaufgabe, geänderte Beweidungsmuster und die aktuelle neue Expansion der Landwirtschaft auf Steppenvegetation und –vogelgemeinschaften auswirken. Unsere Forschungsergebnisse werden genutzt, um Naturschutzstrategien zu planen und umzusetzen, neue Schutzgebiete auszuweisen und eine nachhaltigere Entwicklung in der Landwirtschaft zu fördern. Im Bereich der Grundlagenforschung versuchen wir, ein tieferes Verständnis von populationsökologischen Prozessen in natürlichen und wenig beeinflussten Grasland-Ökosystemen zu gewinnen.

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    Halbwilde Pferdeherden, die die Steppe in großen Bereichen beweiden, schaffen wichtige Nischen für viele Steppenarten. (Foto: Johannes Kamp)
  • Altyn Dala

    Altyn Dala: Ökosystemweiter Naturschutz in Kasachstan (2009–2013)

    In diesem Projekt untersuchen wir den Einfluss von Änderungen in der Landwirtschaft auf Pflanzen- und Tiergemeinschaften der Steppe. Beruhend auf unseren Ergebnissen evaluieren wir den Gefährdungs- und Erhaltungsstatus von Steppenarten und –gemeinschaften und geben Empfehlungen für konkrete Schutzmaßnahmen. Um den Landnutzungswandel besser zu verstehen und zukünftige Trends vorherzusagen, analysieren wir außerdem Agrarstatistiken und führen Interviews mit Landnutzern und anderen lokalen Stakeholdern durch.

    Mithilfe vegetationsökologischer Methoden untersuchen wir, wie schnell sich aufgegebene landwirtschaftliche Flächen wieder in Steppe zurückentwickeln. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies ein langsamer Prozess ist, der aber durch Beweidung mit Haustieren beschleunigt werden kann. Einige ausbreitungsschwache Arten, wie die charakteristischen Tulpen der kasachischen Steppe, sind allerdings bisher kaum auf ehemaligen Ackerflächen zu finden und bleiben auf natürliche Steppen beschränkt.

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    Schrenck’s Tulpe Tulipa schrenckii (Foto: Johannes Kamp)

    In weiteren Studien untersuchen wir, wie Vögel und Kleinsäuger (z.B. Ziesel, Murmeltiere und Springmäuse) auf Nutzungsaufgabe und ausbleibende Beweidung reagieren. Wir konnten zeigen, dass aufgegebene Ackerflächen wertvolle Sekundärhabitate für eine ganze Reihe von Steppenvögeln sind, deren Dichten in diesen Bereichen oft vielfach höher sind als in der natürlichen Steppe, die im Moment über weite Bereiche nicht oder kaum beweidet wird. Die Dichten variieren jedoch stark mit kleinräumigen Habitatmustern, und bestimmte Altersklassen aufgegebener Äcker werden deutlich bevorzugt.

    Allgemein scheint die großräumige Nutzungsaufgabe in Kasachstan der Steppenfauna und –flora sehr zugute gekommen zu sein – neue Habitatverluste und Artenrückgänge sind aber in der Zukunft bei einer starken Neuerschließung der Brachen vorprogrammiert.

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    Aufgegebene Ackerflächen verschiedenen Alters: 4–5 Jahre nach der letzten Einsaat (oben), 15+ Jahre nach der letzten Einsaat, nach einem Steppenbrand (unten) (Fotos: Annika Brinkert)

    Beteiligte Organisationen und Förderer

    Die ‘Altyn Dala’-Initiative (Altyn Dala meint ‘Goldene Steppe’) ist ein ökosystemweites Naturschutzgroßprojekt in Kazakhstan. Das Programm wurde 2005 vom Kasachischen Komitee für Forst und Jagd im Agrarministerium initiiert. Es wird federführend von der Association for the Conservation of Biodiversity in Kazakhstan (ACBK), der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) und der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft (ZGF) umgesetzt, allerdings sind viele weitere Forschungs- und Implementierungspartner beteiligt.
    Die AG Landschaftsökologie trägt überwiegend zu den Vegetations- und ornithologischen Komponenten des Projekts bei. Dabei werden wir von der Darwin-Initiative der britischen Regierung gefördert.

    Darwin Initiativedefra

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    Männliche Steppenweihe, eine Art, die stark von der Nutzungsaufgabe auf riesigen Flächen profitierte. (Foto: Maxim Koshkin).
    © Maxim Koshkin

    Links

    Projektbeschreibung [link [en]]
    Website eines verwandten, ebenfalls von der Darwin-Initiative geförderten Projektes über den global bedrohten Steppenkiebitz [link [en]]

    Kontakt

    Dr. Johannes Kamp (coordination and bird ecology)
    Prof. Dr. Norbert Hölzel (plant ecology)

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    Männliche Mohrenlerche (Foto: Paul F. Donald)

    Mohrenlerche

    Mohrenlerche (2013/2014)

    Die Mohrenlerche Melanocorypha yeltoniensis ist eine endemische Art der eurasischen Steppen. Obwohl sie noch weit verbreitet ist, wurden in den letzten Jahren Rückgänge in vielen Regionen Kasachstans bekannt, die sich in Zukunft wohl fortsetzen werden. Die Gründe für die Bestandsrückgänge sind unklar, möglicherweise aber populationsökologischen Antworten auf Landnutzungsänderungen in sowjetischer und post-sowjetischer Zeit.

    Während Geländearbeiten im Jahre 2011 entdeckten wir, dass Mohrenlerchen (wie viele andere Steppenvögel auch) extrem häufig auf Ackerbrachen brüteten, oft in viel höheren Dichten als in naturnaher Steppe oder auf landwirtschaftlichen Flächen. Außerdem schienen die Geschlechterverhältnisse stark verschoben zu sein, eine vorläufige Schätzung geht von fünf Männchen aus, die auf jedes Weibchen kommen.

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    Mittlere Dichten territorialer Mohrenlerchen-Männchen in naturnaher Steppe und auf aufgegebenen und genutzten Äckern in 2009 und 2011 (linke Abb.). Innerhalb der Ackerbrachen variiert die Populationsdichte entlang eines Altersgradienten (rechte Abb.). Daten aus 171 Distance Sampling-Transektzählungen in Zentral-Kasachstan.

    Auf eine weitere Besonderheit wurden wir während brutökologischer Untersuchungen aufmerksam: Die Weibchen der Art sammeln aktiv Viehdung in der Steppe, um damit ihre Nester zu „verschönern“ – oft werden regelrechte Dungpflaster oder -wälle angelegt. Die Funktion dieser Strukturen ist bisher ungeklärt, legt aber eine weit engere Bindung an wilde Huftiere oder weidendes Vieh nahe als bisher bekannt. Die Nutzung von Viehdung in Vogelnestern als Requisite wurde bereits für andere Vogelarten beschrieben, aber die Gründe und evolutionsbiologischen Vorteile dieses Verhaltens liegen noch weitgehend im Dunkeln.

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    Weibliche Mohrenlerche auf dem Nest (Foto: Johannes Kamp)

    Wir nutzen die Mohrenlerche als Modellart, um herauszufinden, was viele Vogelarten bewegt, aus der Steppe in die aufgegebenen Ackerbereiche umzusiedeln. Dazu untersuchen wir Verbreitungsmuster, Bruterfolg und Habitatnutzung auf verschiedenen Skalen.

    In der Saison 2013 werden wir unsere Forschung auf die Bedeutung von Viehdung für die Art nutzen: Wir planen, den Bruterfolg der Weibchen als Funktion von Größe und Struktur der Dungpflaster am Nest zu modellieren. Außerdem werden wir in Geländeexperimenten herauszufinden versuchen, wozu die Dungstrukturen am Nest dienen. Dazu werden wir folgende Hypothesen testen: i) Dung lenkt Prädatoren vom Gelege ab, ii) Dung erhöht den Bruterfolg durch bessere Kälteisolation oder Windschutz, iii) Dung schützt Nester davon, vom Weidevieh zertrampelt zu werden, das den eigenen Dung meidet, und iv) Dung sorgt für eine stärkere Verfügbarkeit von Nahrung (Wirbellose) in der Nähe des Nests.
    Aus den Ergebnissen der Arbeit erhoffen wir uns Einblicke in die evolutionären Gründe für die Nutzung von Viehdung in Vogelnestern. Außerdem können wir möglicherweise aus den Daten direkte Empfehlungen für geeignete Viehbestandsdichten für Steppenvögel ableiten.

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    Black Lark nest with a pavement of animal dung (photo: Ruslan Urazaliev)

    Von den Geländearbeiten werden wir im Mai und Juni auf unserem Blog berichten.

    Beteiligte Organisationen und Förderer

    Das Mohrenlerchenprojekt wird in Zusammenarbeit der Universität Münster (AG Ökosysstemforschung) und der Association for the Conservation of Biodiversity in Kazakhstan (ACBK) realisiert. Außerdem sind Studenten der  Universität Wageningen (Niederlande, Resource Ecology Group) und verschiedener Universitäten in Kasachstan stark in Datenaufnahme und Auswertung eingebunden.

    Wir freuen uns sehr über die großzügige Förderung des Projektes durch verschiedene Organisationen: British Ornithologists Union (BOU), Deutsche Ornithologen-Gesellschaft  (DO-G), Ornithological Society of the Middle East and Central Asia (OSME) und der Förderkreis Allgemeine Naturkunde Biologie e.V. (FAN B) unterstützen Forschung und Training kasachischer Studenten.

    British Ornithologists UnionDeutsche Ornithologen-GesellschaftOrnithological Society of the Middle East and Central Asia Förderkreis Allgemeine Naturkunde Biologie e.V.

    Kontakt

    Dr. Johannes Kamp

  • Infothek

    Media

    Radio

    Print

    • ’Nesting in the muck’ – ein Bericht zum neuen Mohrenlerchenprojekt auf Birdguides [link [en]]
    • Kazakhstan’s steppe birds face new declines – Pressemitteilung zu einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Biological Conservation [link [en]]
    • Menschenleere Weiten – ein Erfahrungsbericht Münsteraner Studenten aus Kasachstan [link [de]]

    Abschlussarbeiten

    • Brinkert, Annika (2012) Vegetationsentwicklung auf Ackerbrachen in der kasachischen Neulandzone (Masterarbeit)


    Ausgewählte wissenschaftliche Veröffentlichungen

    • Buchanan GM, Bond A, Crockford NJ, Kamp J, Pearce-Higgings JW, Hilton G (2017, in press) The potential breeding range of Slender-billed Curlew Numenius tenuirostris identified from stable-isotope analysis. Bird Conservation International 27 [doi: 10.1017/S0959270916000551]
    • Palpurina S, Wagner V, von Wehrden H, Hájek M, Hórsak M, Brinkert A, Hölzel N, Wesche K, Kamp J, Hájková P, Danihelka J, Lustyk P, Merunková K, Preislerová Z, Kočí M, Kubešová S, Cheresov M, Ermakov N, German D, Gogoleva P, Lashchynsky N, Martynenko V, Chytrý M (2017) The relationship between plant species richness and soil pH vanishes with increasing aridity across Eurasian dry grasslands. Global Ecology and Biogeography 26 (4): 425–434 [doi:10.1111/geb.12549]
    • Wagner V, Chytrý M, Zelený D, von Wehrden H, Brinkert A, Danihelka J, Jansen F, Hölzel N, Kamp J, Lustyk P, Merunková K, Palpurina S, Preislerová Z, Wesche K (2017) Regional differences in soil pH niche among dry grassland plants in Eurasia. Oikos 126(5): 660-670 [doi:10.1111/oik.03369]
    • Brinkert A, Hölzel N, Sidorova TV, Kamp J (2016) Spontaneous steppe restoration on abandoned cropland in Kazakhstan: grazing affects successional pathways. Biodiversity and Conservation 25 (12): 2543–2561 [doi: 10.1007/s10531-015-1020-7]
    • Kamp J, Koshkin MA, Bragina, Katzner TE, Milner-Gulland EJ, Schreiber D, Sheldon R, Shmalenko A, Smelansky I, Terraube J, Urazaliev R (2016) Persistent and novel threats to the biodiversity of Kazakhstan’s steppes and semi-deserts. Biodiversity and Conservation 25 (12): 2521–2541 [doi:10.1007/s10531-016-1083-0]
    • Lameris T, Fijen T, Urazaliev R, Pulikova G, Donald PF, Kamp J (2016) Breeding ecology of the endemic Black Lark Melanocorypha yeltoniensis on natural steppe and abandoned croplands in post-Soviet Kazakhstan. Biodiversity and Conservation 25 (12): 2381-2400 [doi:10.​1007/​s10531-015-1041-2] Open Access Paper
    • Wesche K, Ambarli D, Török P, Kamp J, Treiber J, Dengler J (2016) The Palaearctic steppe biome: a new synthesis. Biodiversity and Conservation 25 (12): 2197–2231 [doi: 10.1007/s10531-016-1214-7]
    • Fijen TPM, Kamp J, Lameris TK, Urazaliev R, Pulikova G, Kleijn D, Donald PF (2015) Functions of extensive animal dung ‘pavements’ around the nests of the Black Lark Melanocorypha yeltoniensis. The Auk 132: 878-892 [doi: 10.1642/AUK-15-38.1 ]
    • Kamp J, Urazaliev R, Balmford A, Donald PF, Green RE, Lamb A, Phalan B (2015) Agricultural development and the conservation of avian biodiversity on the Eurasian steppes: a comparison of land-sparing and land-sharing approaches. Journal of Applied Ecology 52: 1578–1587  [doi: 10.1111/1365-2664.12527]
    • Kamp J (2014) Land management: Weighing up the reuse of Soviet croplands. Nature 505: 483 [doi:10.1038/505483d]
    • Kamp J, Siderova T, Salemgaarev A, Urazaliev R, Donald PF, Hölzel N (2012) Niche separation of larks (Alaudidae) and agricultural change on the drylands of the former Soviet Union. Agriculture, Ecosystems and Environment 155: 41–49. [doi: 10.1016/j.agee.2012.03.023]
    • Urazaliev R, Iskakov T, Kamp J (2012) Aggressive intraspecific behaviour in Black Larks Melanocorypha yeltoniensis in winter. British Birds 105: 40–42
    • Kamp J, Urazaliev R, Donald PF, Hölzel N (2011) Post-Soviet agricultural change predicts future declines after recent recovery in Eurasian steppe bird populations. Biological Conservation 144: 2607–2614. [doi:10.1016/j.biocon.2011.07.010]
    • Kamp J, Sheldon RD, Koshkin MA, Donald PF, Biedermann R (2009) Post-Soviet steppe management causes pronounced synanthropy in the Sociable Lapwing Vanellus gregarius. Ibis 151: 452–463. [doi: 10.1111/j.1474-919X.2009.00938.x]