„Umwidmungen wie Hagia Sophia historisch kein Einzelfall“

Forschungen am Exzellenzcluster über Umwandlungen religiöser Gebäude wie Synagogen, Kirchen und Moscheen von der Antike bis heute – Dossier-Beitrag der Judaistinnen Kogman-Appel und Kleybolte über Synagogenzerstörungen im Mittelalter – Byzantinist Grünbart über „national(istisch)e Befindlichkeiten“ rund um die Hagia Sophia

Pressemitteilung vom 24. Juli 2020

Die Kathedrale von Córdoba. 1236 eroberte Ferdinand III. von Kastilien die Stadt, ehemals das politische und geistige Zentrum von al-Andalus, und kurz danach wurde aus der ‚Großen Moschee‘ eine Kathedrale, heute oft als ‚Mezquita-Catedral‘ benannt und immer noch als Kirche im Gebrauch.
© Timor Espallargas (cc-by-sa-2.5)

Die Umwidmung religiös und politisch aufgeladener Gebäude wie die der Hagia Sophia in Istanbul ist aus historischer Sicht seit der Antike kein neues Phänomen. „Vorgeschichte und Kontext solcher Umwandlungen sind dabei stets Veränderungen der Machtverhältnisse und der Wunsch, diese deutlich sichtbar zu machen“, schreiben die Judaistinnen Prof. Dr. Katrin Kogman-Appel und Franziska Kleybolte vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU. Über Epochen, Religionen und Regionen hinweg lasse sich eine Vielzahl solcher Fälle finden. „Architektur und Bildsprache ritueller Räume haben ein großes Potential, Identität auszudrücken und sich damit von anderen Gruppen abzusetzen“, erläutern die Wissenschaftlerinnen in ihrem Dossier-Beitrag Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee. Ein Ereignis mit historischen Parallelen, der im Cluster-Web Beispiele aus Antike, Mittelalter und Gegenwart aufzeigt. Sie erforschen das Phänomen am Beispiel mittelalterlicher Gebäude im heutigen Spanien im Vergleich der Religionen und Regionen. „Auf der Iberischen Halbinsel ereigneten sich Appropriationen in Folge von Eroberungen, massenhaften Zwangstaufen und Vertreibungen jüdischer und muslimischer Minderheiten.“

Diese mittelalterlichen Umwandlungen von Synagogen in Kirchen seien „Akte der Machtübernahme“ gewesen, die „den Triumph der Kirche über das Judentum“ ausdrücken sollten, so Kogman-Appel und Kleybolte. Die Bildsprache der Gebäude wurde religiös umgedeutet, neue Kunstwerke etwa antijüdischen Inhalts aufgestellt und Baumaterial der Synagogen wiederverwendet. „Den Eroberten, so sie noch am Ort lebten, führte dies ihre Niederlage nur zu deutlich vor Augen.“ Aber auch wirtschaftliche Motive spielten eine Rolle, denn meist verlor die jüdische Gemeinde mit der Synagoge auch den gesamten öffentlichen und privaten Besitz.

Sterbliche Überreste entfernen, Wände übertünchen

Man weiß wenig über Umweihungsrituale, wie die Judaistinnen ausführen, doch seien die Umwidmungen als „Reinigung“ verstanden worden. Viele Kirchen wurden Maria, der Reinen, geweiht. „In Rothenburg o.d.T. etwa wurde bei der Umwandlung 1519 darauf geachtet, dass sich keine sterblichen Überreste eines Juden mehr am Ort finden und die Tünche von der Wand abgeschlagen und neu gestrichen wurde, um alles ‘Jüdische’ aus den Mauern zu vertreiben.“ Ein ähnlicher Schritt erfolgte bei der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee nach der Osmanischen Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453. „Auch sie wurde ‚gereinigt‘, die byzantinischen Mosaiken übertünchte man weiß, um der koranischen Zurückhaltung Bildern gegenüber zu folgen.“

Abbildungen

1.	Im Vordergrund die Marienkapelle zu Würzburg, aufgenommen von der Festung Marienburg. Nachdem die Synagoge 1349 abgerissen bzw. in Brand gesteckt und zunächst eine Holzkapelle an gleicher Stelle errichtet worden war, wurde 1377 diese steinerne Kapelle errichtet. Würzburg ist ein weiteres Beispiel für die Weihung eines Gotteshauses auf den Trümmern der ehemaligen Synagoge, welches der christlichen Gottesmutter Maria geweiht wurde. Die Bedeutung, welche dieser Kapelle zukam, lässt sich in dieser Abbildung bereits mittels ihrer Ausmaße und ihrer Dominanz im Stadtbild erkennen.
1. Im Vordergrund die Marienkapelle zu Würzburg, aufgenommen von der Festung Marienburg. Nachdem die Synagoge 1349 abgerissen bzw. in Brand gesteckt und zunächst eine Holzkapelle an gleicher Stelle errichtet worden war, wurde 1377 diese steinerne Kapelle errichtet. Würzburg ist ein weiteres Beispiel für die Weihung eines Gotteshauses auf den Trümmern der ehemaligen Synagoge, welches der christlichen Gottesmutter Maria geweiht wurde. Die Bedeutung, welche dieser Kapelle zukam, lässt sich in dieser Abbildung bereits mittels ihrer Ausmaße und ihrer Dominanz im Stadtbild erkennen.
© Franziska Kleybolte
  • Der spätgotische innere Kapelle der Mezquita Catedral in Córdoba. Im Hintergrund und rechts sind die rot-weißen Bögen der Moschee sichtbar
    © Katrin Kogman-Appel
  • Katrin Kogman-Appel
    © Fresko im Ostteil der Synagoge Ibn Shohan in Toledo, das nach der Umwandlung der Synagoge in eine Kirche angebracht wurde. Die Kapitäle und Bögen im Vordergrund gehören zur ursprünglichen Ausstattung des Gebäudes

Mit Blick auf die Gegenwart schreiben die Forscherinnen: „Bei der Übernahme, Weiterverwendung und Umwandlung von religiös und politisch aufgeladenem Raum, handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall – weder innerhalb der Türkei noch in der longue durée betrachtet: So wurde 2011 im türkischen Iznik ein Museum – ehemals eine Moschee ¬– wieder in eine solche umgewandelt; gleiches wurde 2013 für das türkische Trabzon überlegt; und auch in der Geschichte ist es seit der Antike ein Phänomen, welches sich über Epochen, Religionen, und Regionen hinweg immer wieder finden lässt.“ Das Forschungsprojekt aus dem Fach Jüdische Studien am Exzellenzcluster trägt den Titel Gebäude wechseln ihre Identität. Iberien 709–1611. Vorangegangen war in der ersten Förderphase das Projekt Spätantike Heiligtumszerstörungen des Althistorikers Prof. Dr. Johannes Hahn.

„Hagia Sophia nicht religiöser Fall, sondern national(istisch)e Befindlichkeit“

Der Beitrag Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee. Ein Ereignis mit historischen Parallelen ist in einem Themen-Dossier auf der Website des Exzellenzclusters mit dem Titel Hagia Sophia – Religiöse Gebäude und die Geschichte ihrer Umnutzungen erschienen. In einem weiteren Dossier-Beitrag zeichnet der Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart die wechselvolle Geschichte der Hagia Sophia mit ihren inneren und äußeren Veränderungen vom sechsten bis 21. Jahrhundert nach. Er betont, die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee sei weniger eine religiöse Angelegenheit als eine „national(istisch)e Befindlichkeit“. Das Gebäude sei seit mehr als 550 Jahren keine christliche Kirche mehr. Sein Beitrag trägt den Titel „Religion und Politik am Goldenen Horn? Hagia Sophia, das nächste Kapitel“. (vvm/maz)