„Streit um Körperschaft eine symbolische Debatte“

Rechtswissenschaftler Wißmann über ein zukunftsfestes Religionsverfassungsrecht

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Prof. Dr. Hinnerk Wißmann
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Über die staatlichen Organisationsvorgaben für Religionen und künftige Herausforderungen an das Religionsverfassungsrecht hat der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hinnerk Wißmann vom Exzellenzcluster in der Ringvorlesung „Religionspolitik heute“ des Exzellenzclusters und des Centrums für Religion und Moderne (CRM) der Uni Münster gesprochen. „Die Organisation von Religion ist ein Grundthema des religionsfreundlich-neutralen Verfassungsstaats“, sagte der Rechtswissenschaftler. Eine gelingende Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften sei Qualitätsmerkmal einer freiheitlichen Rechtsordnung. „Ein zukunftsfestes Religionsrecht muss und kann unterscheiden: Der Anspruch auf Gleichbehandlung aller Religionen ist nicht durch Gleichförmigkeit einzulösen. Überkommene Rechtsinstitute wie der Körperschaftsstatus sind dabei nur eine Bauform und der Streit darüber trägt Züge einer symbolischen Debatte. Eine Öffnung darf nicht in einen Religionsetatismus neuer Art führen.“

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Ton-Mitschnitt des Vortrags

Der Vortrag trug den Titel „Freiheit braucht Form!? Organisationsvorgaben als Herausforderung des Religionsverfassungsrechts“. Die Religionswissenschaftlerin PD Dr. Astrid Reuter vom CRM kommentierte die Ausführungen. Sie teilte die Einschätzung, dass es sich beim Streit um den Körperschaftsstatus um eine „symbolische Debatte“ handele. „Der Körperschaftsstatus steht dabei stellvertretend für das, was manche am herkömmlichen staatskirchenrechtlichen System für veraltet und reformbedürftig, wenn nicht abschaffungswürdig halten“, sagte die Wissenschaftlerin. Sie nannte drei Varianten der Kritik, die dem Wandel in der religiösen Landschaft entsprächen, eine säkularistische, eine individualistische und eine pluralistische Kritik. Die säkularistische Kritik sei entweder generell antireligiös ausgerichtet oder spezifisch antikatholisch oder antiislamisch. Die individualistische Kritik sehe die Religionsfreiheit strikt als individuelles Grundrecht. Die pluralistische Kritik ziele nicht darauf ab, den Körperschaftsstatus abzuschaffen, sondern darauf, ihn konsequent für andere Religionsgemeinschaften zu öffnen oder durch alternative Organisationsmodelle zu ersetzen. Mindestens die ersten beiden Kritikpunkte griffen zu kurz.

„Überkommene Privilegienbündel“

Rechtswissenschaftler Hinnerk Wißmann hatte in seinem Vortrag ausgeführt, die Religionsfreiheit sei „das ganz andere Grundrecht“. Es beziehe sich nicht nur auf äußere Handlungen, sondern schütze den gesamten Menschen mit seinen inneren Überzeugungen und seiner Lebensführung. Dabei werde Religionsfreiheit nicht nur individuell, sondern auch kollektiv gedacht. Sie umfasse auch die religiöse Vereinigungsfreiheit. Als weiteres Element der Religionsfreiheit beleuchtete der Wissenschaftler die Selbstbestimmung. „Die Gestaltung der eigenen Organisation nach innen ist eine weitere Entfaltung der nach außen wirkenden Religionsfreiheit“, so Hinnerk Wißmann. Dabei solle der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Religionsgemeinschaften unterstützen. „Sie sollten ihn aber nur dann beanspruchen, wenn er ihrer Struktur entspricht. Der Körperschaftsstatus ist weder eine Prämie noch ein closed shop.“ In Deutschland gebe es neben den evangelischen Landeskirchen, katholischen Bistümern und jüdischen Gemeinden 236 Religionsgemeinschaften, die Körperschaften öffentlichen Rechts seien.

In der Frage, wie die Kooperation zwischen Religion und Staat gelingen könne, stellte der Rechtswissenschaftler drei Beispiele für Kooperationsfelder vor, den Bildungssektor mit der Frage nach dem bekenntnisorientierten Religionsunterricht, den so genannten Dritten Sektor, in dem beispielsweise Caritas und Diakonie freie Träger und große Arbeitsgeber mit Selbstverwaltungsrechten sind. Als eine Form „unechter Kooperation“ hingegen sieht Prof. Wißmann die „Privilegienbündel“ an. Solche Sonderregelungen für Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus würden viel und emotional diskutiert. Dazu gehören etwa das Besteuerungsrecht, Parochialrecht oder das Dienstherrenrecht, die mit der Vergabe des Körperschaftsstatus den Religionsgemeinschaften nicht zuletzt aus Gründen der Vereinfachung automatisch mitgewährt werden.

Prof. Wißmann schlug vor, diesen Automatismus auf seinen funktionalen Grund hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen: „Warum bezieht sich eine Regelung oder eine Rechtspraxis auf einen bestimmten Rechtsstatus? Kann der damit verfolgte Zweck bei anderen Voraussetzungen erreicht werden?“ So könnten bestimmte Rechte herausgelöst und auf Antrag auch Religionsgemeinschaften gewährt werden, die nicht als Körperschaften verfasst sind.

Die Ringvorlesung „Religionspolitik heute. Problemfelder und Perspektiven in Deutschland“ befasst sich mit aktuellen Fragen der Religionspolitik. Die Reihe bringt Wissenschaft, Politik, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften durch Vorträge und Podiumsdiskussionen ins Gespräch. Ziel ist es, Grundsatzfragen sowie aktuelle Konflikte und Lösungen zu erörtern, auch im internationalen Vergleich. Am Dienstag, 19. Juli, spricht Kommunikationswissenschaftler Dr. Tim Karis über „Koschere Kochshows, muslimische Rundfunkräte und das ‚Wort zum Sonntag‘. Religion und Medienregulierung in Europa“. Die Ausführungen kommentiert die Leiterin des Zentrums für Wissenschaftskommunikation des Exzellenzcluster, Viola van Melis. Der Vortrag beginnt um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22. (vvm/maz)