„Wie die Icons eines Computers“

Judaistin Kogman-Appel zum Austausch zwischen Juden, Christen und Muslimen in Malerei und Buchkunst

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Prof. Dr. Katrin Kogman-Appel

Über den Kulturaustausch zwischen Juden, Christen und Muslimen durch Buch und Bild im Mittelalter hat die Judaistin Prof. Dr. Katrin Kogman-Appel aus Israel in der öffentlichen Ringvorlesung „Transfer zwischen Religionen“ gesprochen. „Lange Zeit ging die Forschung der jüdischen Kultur davon aus, dass mitteleuropäische, also aschkenasische Juden im Mittelalter in kultureller Isolation lebten“, erläuterte die Wissenschaftlerin in der Veranstaltung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und des Centrums für religionsbezogene Studien (CRS). Solche Ansichten beruhten aber auf einer Reihe von Fehlschlüssen. In ihrem Vortrag machte die Judaistin die Dynamik von Transferprozessen zwischen den drei monotheistischen Religionen am Beispiel der Figuralkunst in spätantiker Synagogen- und jüdischer Buchmalerei deutlich und erläuterte die Bedeutung des Begriffes „Kulturaustausch“ für die jüdische Kunstgeschichte. Sie ging auch der Frage nach, ob die zweidimensionalen Darstellungen der Figuralkunst mit dem religiösen Bilderverbot im Judentum vereinbar seien.

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Ton-Mitschnitt des Vortrags

„Jüdische Künstler der Spätantike und des Mittelalters benutzten die Bildkultur ihrer Umgebung, sie verstanden sie, wie wir heute die Bildsprache kommerzieller Werbung verstehen oder die Icons eines Computers“, so Prof. Kogman-Appel. „Sie hatten eine Vorstellung von den Botschaften, die diese – zumeist religiösen – Bildinhalte vermittelten.“ Die Bildsprache hätten sie genauso verwendet wie die Volkssprache der Umgebung. „,Kulturaustausch‘ beschreibt nicht den Einfluss einer Fremdkultur, sondern die Tatsache, dass jüdische Schreiber und Illuminatoren sowie ihre Auftraggeber einen integralen Teil dieser Kultur darstellten.“

Dabei sei unter „Kulturaustausch“ „ein aktiver Transferprozess und das Ergebnis von Dialogen verschiedener Gesellschaftsgruppen“ zu verstehen, führte die Wissenschaftlerin aus. Der Transfer bestimmter Stilformen oder Bildthemen sei selten unkritisch oder zufällig geschehen. Jeder einzelne solcher historischer Austauschprozesse erfolge unter jeweils spezifischen Gegebenheiten und sei das Resultat einer ganzen Reihe unterschiedlichster Faktoren. Sie verdeutlichte dies anhand von Beispielen aus der spätantiken Synagogenmalerei und der mittelalterlichen hebräischen Buchkunst, die sie mit ähnlichen Kunstformen der islamischen oder christlichen Kunst verglich. Darunter waren die Wandmalerei in der Synagoge der griechischen Stadt Dura Europos aus dem Jahr 244 nach Christus und die Handschrift „Goldene Haggada“ von 1320.

„Einige dieser Malereien und Bilder sprechen von einem besonders hohen Grad der Akkulturation, andere entstanden in Situationen, in denen das Verhältnis zwischen der jüdischen Bevölkerung und ihrer nicht-jüdischen Umgebung gespannt war“, sagte die Judaistin. „In allen Fällen ging es um die Lebensumstände einer jüdischen Minderheit innerhalb einer islamischen oder christlichen Mehrheit. Es ging um unterschiedliche Grade der sozialen und wirtschaftlichen Integration, um religiöse Toleranz beziehungsweise Feindlichkeit.“ Jedes Beispiel sei repräsentativ für einen komplexen kulturellen Prozess, in dem die Juden sich die Kultursprache der Umgebung zunächst aneigneten, sie dann dauerhaft annahmen oder abwiesen, und zugleich spezifische, eigene Ausdruckmöglichkeiten fanden.

Das Bilderverbot im Judentum stand den Darstellungen der jüdischen Künstler nicht im Weg, so die Judaistin. „Ursprünglich entstand das Bilderverbot im Kontext der antiken heidnischen Götzendienste und betraf daher wohl vorwiegend dreidimensionale Bilder. Vom jüdischen Gesetz her war gegen eine zweidimensionale Figuraldarstellung nichts einzuwenden.“ Bei näherer Betrachtung werde zudem deutlich, dass das Verhältnis jüdischer Auftraggeber und Künstler zur figuralen Kunst nicht unbedingt etwas mit dem Religionsgesetz zu tun habe, sondern vielmehr mit Auffassungen über die jeweilige nicht-jüdische Umgebung und deren Kunstpraxis. Prof. Kogman-Appel: „Das Verhalten der jüdischen Gesellschaft wurde in diesem Falle also weniger von einer Auseinandersetzung mit dem Bilderverbot geprägt, als vielmehr von einer Beobachtung der jeweiligen Umgebung.“

Plakat der Ringvorlesung

Plakat

Ringvorlesung „Transfer zwischen Religionen“

Der Vortrag trug den Titel „Buchkultur und Bildkultur in der mittelalterlichen jüdischen Gesellschaft: Kulturaustausch zwischen Christen, Juden und Muslimen“.  Prof. Dr. Katrin Kogman-Appel hat an der israelischen Ben-Gurion-Universität des Negev den „Evelyn Metz Memorial Research Chair“ inne. Zu ihren Forschungsinteressen zählen die Beziehung zwischen jüdischer und christlicher Kunst in der Spätantike sowie hebräische Manuskriptmalerei. Am Dienstag, 12. Mai, spricht Philosoph Prof. Dr. Andreas Speer von der Universität Köln über „Philosophie und Wissenschaft als gemeinsames Erbe der abrahamitischen Religionen im Mittelalter“. Der Vortrag beginnt um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22.

Die Vortragsreihe „Transfer zwischen Religionen. Wenn religiöse Traditionen einander beeinflussen“ untersucht, wie es zwischen Religionen in verschiedenen Kulturräumen und Epochen zu vielfältigen Formen des Austauschs religiöser und kultureller Traditionen kam. Die Themen der öffentlichen Reihe reichen von multi-religiösen Identitäten in modernen pluralen Gesellschaften über den Transfer in der regulierten Religionsvielfalt Chinas bis zum christlich-muslimischen Dialog im Nahen Osten. Auf dem Programm stehen auch der Reliquientransfer zwischen dem östlichen und dem westlichen Christentum und das gemeinsame Erbe von Philosophie und Wissenschaft in Judentum, Christentum und Islam. Erörtert werden auch die christliche Kabbala, Wechselwirkungen zwischen dem Buddhismus und anderen indischen Religionen sowie die Rezeption hinduistischer Konzepte im Westen und umgekehrt. (ska/vvm)


Ringvorlesung „Transfer zwischen Religionen. Wenn religiöse Traditionen einander beeinflussen“

Sommersemester 2015
dienstags 18.15 bis 19.45 Uhr
Hörsaal F2 im Fürstenberghaus
Domplatz 20-22
48143 Münster