Als Gott die menschlichen Züge des alten Jahwe verlor

Philosoph Jens Halfwassen zum Einfluss Platons auf Judentum, Christentum und Islam

Prof. Dr. Dr. h.c. Jens Halfwassen
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Über den Einfluss der Philosophie des griechischen Denkers Platon (428/427 v. Chr.-348/347 v. Chr.) auf Judentum, Christentum und Islam hat der Heidelberger Philosoph Prof. Dr. Dr. h.c. Jens Halfwassen in der öffentlichen Ringvorlesung „Transfer zwischen Religionen“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und des Centrums für religionsbezogene Studien (CRS) gesprochen. Die abrahamitischen Religionen hätten mit dem Platonismus auch die sogenannte negativen Theologie intensiv aufgegriffen. Grund für deren „Attraktivität“ sei die Einheit Gottes selber. Jens Halfwassen: „Das, was Monotheismus und Platonismus miteinander verbindet, ist die Einsicht in die absolute Fundamentalität der Einheit oder des Einen.“ Die Übernahme des Platonismus habe das Judentum, das Christentum und den Islam verwandelt. „Durch sie ist der Monotheismus theologisch erst zu sich selbst gekommen. Sie hat ihn von der mythologischen Schlacke des Polytheismus gereinigt“.

Das Judentum rezipierte die negative Theologie  seit dem jüdischen Philosophen Philon von Alexandria (um 15/10-40), wie der Referent darlegte. Im Christentum sei sie seit dem griechischen Theologen Clemens von Alexandria (150-215) und den Gnostikern des 2. Jahrhunderts übernommen worden, im Islam seit den Denkern der Mutaziliten zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert und dem muslimischen Philosophen Al-Kindi (800-873). Dabei liege bereits in der monotheistischen Botschaft von der Einheit Gottes ein „Keim negativer Theologie“, so der Wissenschaftler. „Der Monotheismus ist die Botschaft von der Einheit und Einzigkeit Gottes. Die negative Theologie ist die Einsicht in die Absolutheit des Einen. Sie zieht daraus radikale Konsequenzen, denen sich der Monotheismus umso weniger entziehen kann, je klarer er sich über die Fundamentalität der Einheit für das Verständnis Gottes wird.“

Die negative Theologie Platons spricht dem Vortrag zufolge von der Unerkennbarkeit des Absoluten. Sie begründe diese aber nicht mit der Schwäche oder Beschränktheit der menschlichen Vernunft, sondern mit der Absolutheit des Einen, das alle Bestimmungen des Denkens und des Seins transzendiere und darum auch von einer göttlichen und unendlichen Vernunft nicht positiv begriffen werden könne.

Der Philosoph legt dar, wie die abrahamitischen Religionen durch die Rezeption der negativen Theologie verwandelt wurden. „Bibel und Koran enthalten mit dem Bilderverbot die Absage an das vermenschlichte – anthromorphe –  Gottesbild des Polytheismus – religionsgeschichtlich ein grundstürzendes Ereignis.“ Aber erst die allegorisch-symbolische Umdeutung der anthromorphen Rede über Gott in Bibel und Koran lasse die Offenbarungstexte überhaupt kompatibel werden mit der Überweltlichkeit Gottes und damit akzeptabel für einen philosophisch durchdachten Monotheismus.

Relativierung der Offenbarung in Bibel und Koran

„Dies bedeutet eine gewaltige Relativierung der Autorität der Offenbarungsschriften. Gleichwohl war und ist sie der Preis, den die abrahamitischen Religionen zahlen mussten und müssen, um sich vor der Absurdität zu bewahren, einerseits die Einheit Gottes zu verkünden, von Gott dann aber genauso sinnlich und leibhaftig zu reden wie die Polytheisten.“ Gott habe dadurch alle anthromorphen Züge des alten Jahwe und des alten Allah verloren und sei vom Gott der Philosophen ununterscheidbar geworden. „Erst dadurch aber werden seine nicht-anthromorphen Attribute – die Allmacht und die Allgüte, die Ewigkeit und die Gerechtigkeit, die Seinsfülle und die Geistigkeit Gottes – überhaupt denkbar.“ (ska/vvm)

Nächster Vortrag der Ringvorlesung „Transfer zwischen Religionen“

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Zum Thema „Reliquientransfer – Verbindendes zwischen den christlichen Welten des Mittelalters?“ hält der Byzantinist Prof Dr. Michael Grünbart vom Exzellenzcluster am Dienstag, 30. Juni, einen Vortrag. Der Vortrag beginnt um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22. Die Vortragsreihe „Transfer zwischen Religionen. Wenn religiöse Traditionen einander beeinflussen“ untersucht, wie es zwischen Religionen in verschiedenen Kulturräumen und Epochen zu vielfältigen Formen des Austauschs religiöser und kultureller Traditionen kam. Am Exzellenzcluster werden Transfer-Phänomene seit 2012 im Forschungsfeld „Integration“ untersucht. (ska/vvm)