© Till Rauterberg

Unterrichtsvideos analysieren

Die systematische Analyse von Unterrichtsvideos umfasst im Kern vier Arbeitsschritte, egal ob Sie nur vereinzelt Videos analysieren oder eine ganze Lehrveranstaltung zur systematischen Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung durchführen möchten:

Vorbereiten einer Unterrichtsanalyse:

1. Auswahl eines Analysefokus

2. Auswahl von Analysekategorien

3. Auswahl von Unterrichtsausschnitten

Durchführen der Unterrichtsanalyse:

4. Vorgehen bei einer Unterrichtsanalyse

  • Auswahl eines Analysefokus

    Unterricht in Klassen ist vielschichtig und dynamisch, so dass Novizen (auch in Unterrichtsvideos) entweder lernrelevante Unterrichtsereignisse übersehen oder sich von der Fülle an Eindrücken überfordert fühlen. Daher hat es sich bewährt, zunächst einen Analysefokus auszuwählen, unter dem ein Unterrichtsvideo analyisert werden soll. Dieser Fokus schafft die Wissensgrundlage für die Analyse und ermöglicht dadurch eine Theorie-Praxis-Verknüpfung.

    Die Unterrichtsvideos auf ProVision lassen sich je nach didaktischem Lernziel unter vielen Analysefokussen analysieren.

    Insbesondere die ausgekoppelten Videoausschnitte (Clips) aus den Unterrichtsstunden sind danach ausgewählt worden, dass sie folgende Analysefokusse bedienen:

    • Unterrichtsqualitätsdimensionen z.B. Klassenführung
    • digitale Kompetenzen von Lehrenden z.B. Einsatz digitaler Tools
    • einschlägige fachliche Unterrichtsthemen
    • übergreifende Unterrichtsansätze z.B. Inklusion
    Unterrichtsqualitätsdimensionen

    Die Unterrichtsforschung hat wirkungsvolle Qualitätsdimensionen empirisch ermittelt, die einen lernförderlichen Unterricht ermöglichen.

    Diese Dimensionen sind im MAIN-Teach-Modell zusammengefasst.

    Übersicht der Qualitätsdimensionen des MAIN-Teach-Modells

    ProVision nutzt das Kategoriensystem des MAIN-Teach-Modells zur Verschlagwortung seiner Unterrichtsvideos und Lernmodule.

    Digitale Kompetenzen von Lehrenden

    Die Entwicklung der Digitalität durchdringt alle gesellschaftlichen Bereiche und eröffnet auch Potenziale für einen lernförderlichen Einsatz digitaler Medien im Unterricht. Allerdings erfordert eine effektive Unterrichtsgestaltung mit digitalen Medien digitalisierungsbezogene Kompetenzen von den Lehrenden. Im Europäischen Rahmen für Digitale Kompetenzen von Lehrenden sind diese Kompetenzen in sechs Kompetenzbereiche und 22 Teilkompetenzen systematisch strukturiert. Im DigCompEduObserve sind sie für deren Erfassung und Beobachtung im Unterricht im Detail ausgearbeitet.

    DigCompEdu (Redecker, 2017, S. 12)

    Weitere Analysefokusse

    Darüber hinaus stehen weitere Analysefokusse zur Verfügung wie z.B.:

    • Unterrichten in inklusiven Klassen
    • Anfangsunterricht in Mathematik
    • Gleichberechtigte Teilhabe im Sportunterricht
  • Auswahl von Analysekategorien

    Oftmals handelt es sich bei den Analysefokussen um abstrakte theoretische Konzepte, die insbesondere für Anfänger:innen zunächst wenig zugänglich sind. Es hat sich als förderlich erwiesen, die Analysefokusse in einzelne Facetten oder Maßnahmen zu zergliedern, die als Kategorien für die Analyse zur Verfügung stehen und dann mit konkreten Unterrichtssituationen verknüpft werden können.  

    Ausgehend vom ausgewählten Analysefokus empfiehlt sich deshalb, ein Kategoriensystem für die konkrete Unterrichtsanalyse zu erstellen. Das Kategoriensystem enthält ein Set an Kategorien, die aus der Theorie (und Empirie) abgeleitet wurden und die Kategorien anhand beobachtbarer Indikatoren definieren. Erst die Bereitstellung solcher Kategoriensysteme ermöglicht einen gemeinsamen theoretischen Analyserahmen und gleichzeitig eine gemeinsame professionelle Sprache über Unterricht.

    Für Ihre Unterrichtsanalysen können Sie entweder auf vorhandene Kategoriensysteme zurückgreifen, wie z.B. auf die der Lernmodule auf ProVision oder ein eigenes System erstellen. Als Orientierung können Sie die folgenden Kategoriensysteme benutzen:

     Klassenführung

     Lernunterstützung im Sachunterricht

  • Auswahl von Unterrichtsausschnitten

    Für Ihre Unterrichtsanalyse benötigen Sie geeignete Videos. In der Regel sind dies eher kurze - bis zu fünfminütige - Unterrichtsausschnitte (Clips genannt), in denen der ausgewählte Analysefokus je nach Lernziel entweder in lernförderlicher, aber auch in lernhinderlicher Weise beobachtet werden kann. Denn man lernt sowohl an gelungenen wie misslungenen Modellen. Insbesondere bei letzteren ist auf eine respektvolle, wertschätzende Diskussion zu achten!! Darüber hinaus müssen Sie die Videos noch für die Analyse aufbereiten.  

    1. Geeignete Unterrichtsvideos finden

     Eine Auswahl an bereits vorselektierten Unterrichtsausschnitten finden Sie in der

    Zum Suchen und Auffinden geeigneter Videos können Sie die Suchfilter der Videoportale nutzen. Denn die Unterrichtsvideos sind anhand von Metadaten verschlagwortet. Dabei dient das Meta-Videoportal als Suchmaschine in allen angeschlossenen Videoportalen mit nunmehr über 2500 Unterrichtsvideos.

    Die Nutzung der Videos erfordert Ihre Registrierung beim Meta-Videoportal.

    2. Die ausgewählten Videos aufbereiten

    Auf ProVision sind die Unterrichtsvideos mit Begleitmaterialien versehen, die zum näheren Verständnis des Unterrichtsgeschehens beitragen und den Lernenden zur Verfügung gestellt werden sollten:

    • Kontextinformationen zum Unterricht
    • Unterrichtsverlaufsplan mit der Planung der Unterrichtsstunde
    • Lehr- und ggf. Schülermaterialien
    • ggf. Transkripte, wenn es auf eine genaue Analyse der Wortbeiträge ankommt
    3. Eine Musteranalyse der Videos anfertigen

    Für eine effektive Reflexion der Unterrichtsanalysen ist es sinnvoll, sich selbst auf die Analyse vorzubereiten. Hierzu empfiehlt es sich, anhand der ausgewählten Analysekategorien eine Musteranalyse anzufertigen. In dieser wird festgehalten, welche Kategorien zu welchen Zeitintervallen beobachtet werden können. Zu einer begrenzten Zahl an Unterrichtsvideos liegen Expert:innenbeurteilungen zu ausgewählten Analysefokussen, meist Klassenführung, kognitive Aktierung und Lernunterstützung, vor.

    4. Vierschrittanalyse als Format für Unterrichtsanalysen

    Als methodisches Vorgehen hat sich in unseren Projekten zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung eine Vierschrittanalyse (Junker et al. 2020, Kap. 3.2.2) bewährt, bei der das Video chronologisch in jeweils abgrenzbaren Episoden (Zeiten notieren) analysiert wird:

    1 Beschreiben

    Die Unterrichtsereignisse, die für den Analysefokus relevant sind, identifizieren und wertneutral beschreiben, was zu sehen und zu hören ist.

    2 Interpretieren

    Zutreffende Analysekategorien den identifizierten Ereignissen zuordnen und dies begründen.

    3 Bewerten
    Jede abgegrenzte Episode als Ganzes bewerten und begründen, wie angemessen das Unterrichtshandeln bzgl. der zugeordneten Analysekategorien zu beurteilen ist.

    4 Handlungsalternativen

    Diskutieren und begründen, inwiefern es angemessenere Unterrichtshandlungen hätte geben können.

    Jede Unterrichtsanalyse muss vom Tonfall her respektvoll (!) erfolgen. Hier finden Sie eine Erläuterung und Vorlage für die Vierschrittanalyse.
    Erläuterung und Vorlage für die Vierschrittanalyse.

    Mit diesem Erklärvideo können Sie sich einen Überblick verschaffen, wie der Analyse-Vierschritt mit Beschreibung, Interpretation, Bewertung und dem Generieren von Handlungsalternativen konkret durchgeführt werden kann.

    Das Video ist im Projekt ProdiviS an der Universität Münster entstanden. Wir danken Jennifer Janeczko für die Bereitstellung des Videos.

    ACHTUNG: Im Video wird eine schriftliche Analyse in der speziellen Online-Umgebung des digitalen Selbstlernmoduls durchgeführt. Deshalb ist dieses Video vor allem zur Orientierung und nicht zum Eins-zu-eins-Transfer gedacht.

    Da das Video reale Unterrichtsausschnitte zeigt, müssen Sie zum Abspielen beim Meta-Videoportal registriert und darüber eingeloggt sein.

  • Vorgehen bei einer Unterrichtsanalyse

    Welches Vorgehen hat sich für eine aufschlussreiche Analyse von Unterrichtsvideos bewährt?

    Nachdem Sie einen Analysefokus und zugehörige Analysekategorien sowie geeignete Unterrichtsauschnitte ausgewählt haben, bereiten Sie die eigentliche Unterrichtsanalyse vor. In unseren Lehrprojekten zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung [Link zur Videoseite mit den Projekten] hat sich folgendes Vorgehen bewährt:

    1. Kursregistrierung

    Sie können Ihren Kurs auf dem Meta-Videoportal anmelden, um Ihren Teilnehmenden eine vereinfachte Registrierung zu ermöglichen. Die Hinweise finden Sie hier

    2. Vertraulichkeitserklärung von Teilnehmenden unterschreiben lassen

    Da die Unterrichtsvideos sensible Daten enthalten, sollten alle Teilnehmenden eine Vertraulichkeitserklärung unterschreiben. Passen Sie in der Vorlage die Logos und gelb markierten Passagen an Ihre Belange an.

    3. Vorstellen des Analysefokus und der zugehörigen Analysekategorien

    Im Sinne der "rule-example"-Methode starten Sie damit. Veranschaulichen Sie die Analysekategorien anhand von ausgewählten Unterrichtsausschnitten. Dadurch bekommen die Beteiligten eine erste anschauliche Vorstellung.

    4. Unterrichtsanalyse modellieren

    Wenn die Beteiligten eigene Unterrichtsanalysen zur Verbesserung ihrer professionellen Unterrichtswahrnehmung durchführen sollen, stellen Sie zunächst modellhaft das Vorgehen bei einer Unterrichtsanalyse vor. Dazu gehören die folgenden Schritte:

    • Vertrautmachen mit den Analysekategorien und den Kontextinformationen zum Unterrichtsvideo.
    • Das Video für einen Überblick zunächst vollständig anschauen.
    • Dann von vorn beginnen und kategorienweise oder episodenweise die Analyse im Vierschritt-Format anfertigen. Je nach Zielstellung können Sie eine vollständige oder eine Analyse nur der wesentlichen Unterrichtsereignisse vornehmen lassen.

    ACHTUNG: In dem oben verlinkten Video wird eine schriftliche Analyse in der speziellen Online-Umgebung des digitalen Selbstlernmoduls durchgeführt. Deshalb ist dieses Video vor allem zur Orientierung und nicht zum Eins-zu-eins-Transfer gedacht.

    Da das Video reale Unterrichtsausschnitte zeigt, müssen Sie zum Abspielen beim Meta-Videoportal registriert und darüber eingeloggt sein.

    5. Unterrichtsanalyse durchführen lassen

    Für eine vertiefte Bearbeitung hat sich eine Unterrichtsanalyse in Einzel- oder Partnerarbeit an einem Notebook bewährt, deren Ergebnisse im Nachgang gemeinsam (anhand einer Musteranalyse) reflektiert werden.

    6. Unterrichtsanalyse gemeinsam anhand der Musteranalyse reflektieren.

    Bewährt hat sich, das Unterrichtsvideo erneut abzuspielen und dann zu stoppen und zu besprechen, wenn eine relevante Unterrichtsepisode auftaucht. So können die Teilnehmenden ihre Beurteilungen vergleichen, validieren und ggf. korrigieren. Achten Sie auf eine präzise Begründung beim Kategoriengebrauch, um eine Überdehnung der Kategorien zu verhindern. Grenzen Sie diesen unpräzisen Gebrauch von solchen Episoden ab, die zu wenig situative Informationen enthalten, um zu einer eindeutigen Begründung und Beurteilung zu kommen.

    7. Weitere bewährte Konsolidierungsschritte
    • Die Teilnehmenden fertigen eine weitere Unterrichtsanalyse zu den gleichen Analysekategorien an einem neuen Videoausschnitt (z.B. als Hausarbeit) an, um ihre Analysekompetenz zu festigen.
    • Die Teilnehmenden erhalten zu ihren weiteren Analysen auch eine Rückmeldung. Dies kann eine gemeinsame Reflexion, der nachträgliche Zugang zur Musteranalyse oder ein schriftliches Feedback durch Tutor:innen sein. 
  • Beispiele für eine Expertenbeurteilung eines Unterrichtsvideos

    Hier können Sie eine Unterrichtsanalyse mit dem Vierschritt anhand von zwei Beispielen einsehen. Für das Anschauen müssen Sie über das Meta-Videoportal registriert und eingeloggt sein:

     

  • Literatur zur Nutzung von Unterrichtsvideos

    Zum Einlesen aber auch für die Überarbeitung bereits bestehender Nutzungskonzepte empfehlen wir die folgenden Quellen:

    Junker, R., Rauterberg, T., Möller, K., & Holodynski, M. (2020). Videobasierte Lehrmodule zur Förderung der professionellen Wahrnehmung von heterogenitätssensiblem Unterricht. HLZ – Herausforderung Lehrer*innenbildung, 3(1), 236–255. https://doi.org/10.4119/hlz-2554 

    Junker, R., Zucker, V., Oellers, M., Rauterberg, T., Konjer, S., Meschede, N., & Holodynski, M. (Hrsg.) (2022). Lehren und Forschen mit Videos in der Lehrkräftebildung. Waxmann.

    Sonnleitner, M., Prock, S., Rank, A., & Kirchhoff, P. (Hrsg.) (2018). Video- und Audiografie von Unterricht in der LehrerInnenbildung. Utb. https://www.utb.de/doi/book/10.36198/9783838549569