„Es führt kaum ein Weg am zirkulären Wirtschaften vorbei“

Interview mit Prof. Dr. Jens Leker, geschäftsführender Direktor am Institut für betriebswirtschaftliches Management im Fachbereich Chemie und Pharmazie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Welche Rolle spielt die Wirtschaftschemie in der Batterieforschung? Was für Potenziale ergeben sich für Studierende in dieser „interdisziplinären Schnittstelle“ und wieso führt kaum ein Weg am zirkulären Wirtschaften vorbei? Diese und weitere Fragen beantwortet Prof. Dr. Jens Leker, geschäftsführender Direktor am Institut für betriebswirtschaftliches Management im Fachbereich Chemie und Pharmazie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, im Interview.

Henry Woolley und Atif Javed im Labor
© Prof. Dr. Jens Leker

Bei Batterieforschung denken einige Menschen zuerst an Chemie, Physik und Arbeiten im Labor – was prägt die Batterieforschung aus Perspektive der Wirtschaftschemie?

Prof. Jens Leker: „Die Arbeit im Labor ist wichtig, um neue Technologien zur effizienteren Speicherung von elektrischer Energie zu entwickeln. Besonders die Energiedichte und Energieeffizienz der Batterie haben große technische Bedeutung für verschiedene Anwendungszwecke. Oft bleibt aber eine begleitende detaillierte wirtschaftliche und ökologische Bewertung aus. In der Wirtschaftschemie unterstützen wir die Entwicklung von Zukunftstechnologien, indem wir die Laborarbeit um ökonomische und ökologische Aspekte ergänzen, zumal es eine hohe Akzeptanz von Lithium-Ionen-Batterien oder zukünftigen Batterietechnologien nur dann geben kann, wenn diese wettbewerbsfähig aus einer Kostenperspektive sind und einen klaren Beitrag zur Erfüllung der Klimaziele leisten. Diese Kriterien prüfen wir entlang der Batterie-Wertschöpfungskette – von der Mine bis zum Recycling.“

Welche Methoden und Modelle hat Ihre Forschungsgruppe für die Batterieforschung entwickelt und wodurch zeichnen sich diese aus?

Jens Leker: „Methodisch kommen in unserer Forschungsgruppe vor allem drei Modelltypen zum Einsatz: Kostenmodellierung, Lebenszyklusanalysen sowie Supply Risk Methoden.

Starten wir mit unserem Hauptkompetenzfeld: Kostenmodellierung. Unsere Forschungsgruppe hat ein eigenes Modell entwickelt, um auf der Basis eine Abschätzung der Zellkosten für unterschiedliche Kathodenmaterialien zu bestimmen. Hier sehen wir beispielweise, dass eine Reduzierung des Kobaltanteils in Lithium-Nickel-Cobalt-Mangan (NMC) Kathoden zu Kosten einsparen kann. Außerdem arbeiten wir mit Prozesskostenmodellen, um den Einfluss verschiedener Prozessparameter auf die Produktionskosten von Batteriezellen zu untersuchen. Dieses Modell hilft uns unter anderem, den Einfluss von verschiedenen Beschichtungsverfahren auf die Gesamtkosten zu modellieren. Aus der Praxis wissen wir, dass ein großer Teil der Kosten bereits in der Designphase eines neuen Produkts festgelegt wird, sodass unsere Modelle auch bei der Auswahl erfolgsversprechender Kandidatinnen und Kandidaten für zukünftige Batterietechnologien helfen.

Zudem nutzen wir Lebenszyklusanalysen (auch Life Cycle Assessments – LCA) um den ökologischen Nutzen verschiedener Batterietechnologien zu quantifizieren. Ein Aspekt sind dabei die CO2-Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette entstehen: von der Gewinnung der Rohstoffe über die Produktion bis hin zum Recycling. Kobalt zu gewinnen, braucht beispielsweise viel Energie, die heute zu großen Teilen aus fossilen Brennstoffen kommt. Auch die Produktion von verschiedenen Kathodenmaterialien ist sehr energieintensiv. Wir untersuchen unter anderem, wie die Wahl des Produktionsstandorts und der damit verbundene Energiemix den ökologischen Fußabdruck der Batterie beeinflussen.

Die Batterieproduktion benötigt verschiedene Rohstoffe und Chemikalien, die nicht nur unterschiedlich teuer und umweltverträglich, sondern auch mit unterschiedlichen Lieferrisiken verbunden sind. Kobalt ist beispielsweise für die Produktion von Kathoden derzeit noch elementar. Allerdings kommt dieses seltene Material zu großen Teilen aus dem Kongo, wo politische Unruhen ein Lieferrisiko darstellen. Mit unseren Supply Risk Methoden bewerten wir verschiedene Lithium-Ionen Technologien mit Blick auf diese Risiken.“

Die zirkuläre Wertschöpfung von Batterien gewinnt immer mehr an Bedeutung, Bedarf und Anforderungen an Batterien steigen gleichermaßen. Welchen Beitrag leistet hier die Wirtschaftschemie?

Jens Leker: „Wenn wir uns ökologische Aspekte von Lithium-Ionen-Batterien im Rahmen unserer Forschung in der Wirtschaftschemie anschauen, führt kaum ein Weg an der zirkulären Wirtschaft vorbei. Aktuell existieren zwei Recyclingverfahren für Lithium-Ionen-Batterien: Pyrometallurgie und Hydrometallurgie. Diese Verfahren haben unterschiedliche Charakteristiken mit Blick auf Energiebedarf und Möglichkeit der rückgewinnbaren Materialien aus dem Recycling. Lebenszyklusanalysen ermöglichen es uns, die ökologische Verträglichkeit dieser Recyclingverfahren zu bewerten und potenzielle Verbesserungspotentiale aufzuzeigen.

Außerdem sind Arbeiten in Planung, die unsere Kostenmodellierung auf die Recyclingphase erweitern. Ein besseres Verständnis der Kostensituation beim Batterierecycling wird es uns ermöglichen, potenzielle Recyclingkosten – oder Erlöse – bereits in frühen Phasen der Produktentwicklung einbinden zu können.
Derzeit wird die Entwicklung von Batterien mit Feststoffelektrolyt diskutiert, um die Energiedichte zu steigern. Unsere Lebenszyklusanalysen sowie Kostenmodelle sollen hier mittelfristig helfen, bereits vor dem Einstieg in eine potenzielle Massenproduktion von Feststoffzellen, Abschätzungen über die Recyclingkosten und Umweltaspekte bereitzustellen.“

Welche Chancen und Herausforderungen warten auf Studierende, die sich in der internationalen Forschungsschule BACCARA für einen wirtschaftschemischen Schwerpunkt entscheiden?

Jens Leker: „Wir arbeiten als interdisziplinäre Schnittstelle zwischen Technik und Wirtschaft. Studierende haben die Möglichkeit, ein breitgefächertes Methodensortiment kennenzulernen und dabei die ökonomische Kostenbewertungen mit der ökologischen Lebenszyklusanalyse zu kombinieren. Stellen wir uns vor, Sie oder Ihre Freunde aus der Chemie entwickeln im Labor eine neue 50Ah Natrium-Ionen Batterie mit guten technischen Eigenschaften. Zwei interessante Fragen stellen sich nun aus Sicht der Industrie: 1. Welche Kosten können wir für diese neuen 50Ah Natrium-Ionen Zelle erwarten? 2. Wie hoch ist der CO2-Fußabdruck dieser Zelle, und welcher potenzielle Beitrag zum Klimaschutz kann in einem Anwendungsfall beispielsweise dem stationären Batteriespeicher erreicht werden? Im wirtschaftschemischen Schwerpunkt werden Studierende mit dem Handwerkszeug ausgerüstet, diese Fragen zu beantworten. Ökologische und ökonomische Ergebnisse können Studierende dabei zurück an die Studierenden im Labor spielen, weil ihr eigener chemischerHintergrund und ihr Verständnis eine Kommunikation in gleicher Sprache ermöglicht.

Von Studierenden im Schwerpunkt Wirtschaftschemie erwarten wir eine große Bereitschaft, sich in ökonomische und ökologische Methoden einzuarbeiten und Kreativität bei der Entwicklung neuer Methodenverbesserungen mitzubringen. Die Anstrengungen werden mit einer hohen Praxisorientierung und einem breiten Verständnis von Kostenoptimierung bis Klimaschutz belohnt.“