Im Gespräch mit… Prof. Dr. Thomas Stodulka
Herr Stodulka, erläutern Sie bitte kurz: Was ist Permatil?
Permatil steht für Permakultura Timor Lorosa’e und ist eine Graswurzelorganisation, die sich seit vielen Jahren für nachhaltige Landwirtschaft, ökologische Bildung und soziale Gerechtigkeit in Osttimor einsetzt. Entstanden ist die Bewegung ursprünglich im Umfeld der Unabhängigkeit von Indonesien – heute ist sie Teil eines internationalen Netzwerks mit dem Namen Permatil Global mit Partnern auf der ganzen Welt.
Einzigartig ist, dass Permakultur in Osttimor offizieller Bestandteil des nationalen Schulkurrikulums ist – von der ersten bis zur neunten Klasse, unterstützt vom Präsidenten persönlich. Bereits zwischen 2015 und 2019 war sie an Grundschulen verankert, nun wurde das Programm dauerhaft ausgeweitet. Auf dieser Grundlage sind auch vier Lehrbücher für Permakultur in den Tropen entstanden, ein Fünftes zu ‚Planting Water‘ ist in Arbeit. Sie werden weltweit genutzt und wurden inzwischen über 200.000 Mal in 162 Ländern heruntergeladen. Für diese Pionierarbeit wurde Ego Lemos, der Begründer von Permatil und mein engster Forschungspartner, mit dem Ramon-Magsaysay-Award ausgezeichnet – einem der renommiertesten Preise Asiens.
Wie ist Ihre Verbindung zu Permatil?
Ich bin seit 2012 in Verbindung mit dem Begründer Ego Lemos und seit 2019 kollaborativ-forschender Teil der Permakulturbewegung in Osttimor, lerne von ihr und unterstütze das Team in der Zusammenarbeit zwischen Forschung, Bildung und Praxis. Meine Verbindung begann, als mir Ego Lemos damals ein kleines Booklet in die Hand drückte – „Permakultur für Kinder“. Die Prinzipien der Permakultur in den Tropen und ihr emanzipatorisches und dekoloniales Bildungspotenzial haben mich direkt gepackt. Später kam Ego nach Berlin, wo ich wohne, und wir begannen enger zusammenzuarbeiten. 2019 fing ich an, ihm auch ethnologische Fragen zu stellen, und Ego meinte: „Lass uns doch gemeinsam meine Promotion angehen.“ Daraus entstand ein kollaboratives Schreiben, in dem wir gemeinsam mit Jugendlichen ethnografische Fallstudien entwickeln und in Fachzeitschriften und Blogs publizieren. Ich lerne Gartenbau und wie man Böden, Berge, und versiegte Wasserquellen liest – und unterstütze andere beim ethnografischen Schreiben.
Was ist das Besondere an Permakultur für Sie persönlich – warum gerade Permakultur?
Permakultur ist für mich mehr als eine ökologische Praxis – sie ist eine Haltung. Es geht darum, Beziehungen zwischen Menschen, Pflanzen, Wasser und Erde zu verstehen und zu pflegen. Diese Arbeit ist langsam, kollektiv und tief verwurzelt im Alltag. In Osttimor bedeutet sie, Verantwortung füreinander und für das Land zu übernehmen – auch ohne große finanzielle Mittel oder technische Ausstattung. Mich fasziniert, dass Permakultur unterschiedliches Wissen auf so vielen Ebenen zusammenbringt: lokales Wissen, kosmologische Dimensionen, wissenschaftliche Ansätze, handwerkliche Fähigkeiten. Sie ist eine Form von Lernen, die verkörpert, spürbar und erlebbar ist. Und sie ist eine Möglichkeit, Forschung anders zu denken – jenseits von Hierarchien und akademischem Output, und die sich in wiederbelebten Quellen, Bäumen, Gemeinschaftsgärten, und niedrigerer Mangel- und Unterernährung äußert.
Was genau unterscheidet Arbeit mit Permatil von klassischer Entwicklungszusammenarbeit oder universitärer Forschung?
Normalerweise ist Forschung hierarchisch organisiert: Forschungsinstitutionen, Geldgeber*innen, oder Professor*innen geben die Richtung vor, und das Ziel sind begrenzt zugängliche Publikationen, neue Forschungsanträge das jeweilige Projekt zu verlängern, oder öffentlich wirksame Websites. Ich leite ja auch solche Projekte. Hier ist es ganz anders. Wir arbeiten kollaborativ, wir bringen Aktivist:innen, Jugendliche und Wissenschaftler:innen an einen Tisch. Das ist langsam – „slowness is key“ – aber dafür nachhaltig. Wir brauchen keine großen Teams oder Instrumente, keine Drittmittel, sondern Graswurzelarbeit. Viele Kolleg:innen fragen sich, was ich da mache, weil es nicht in die klassische Logik von Output und Forschungsökonomie passt. Aber genau das ist die Stärke: Es hat reale Konsequenzen für die Menschen vor Ort, beeinflusst sogar Schulcurricula und macht Wissen direkt nutzbar.
Und was ist das Perma Youth Camp?
PermaYouth ist aus dem Netzwerk von Permatil und Permatil Global hervorgegangen. Es ist eine extrem lebendige Jugendbewegung, die überwiegend junge Leute ab der High School anspricht. Alle drei Monate findet ein Perma Youth Camp statt: Aktivist*innen, Facilitator*innen und ganze Dorfgemeinschaften kommen für mindestens einen Monat zusammen, um die Infrastruktur für ein einwöchiges Camp aufzubauen. Dort nehmen dann 500 bis 1000 Jugendliche aus ganz Osttimor teil. Im Oktober 2025 fand zum ersten Mal ein internationales Perma Youth Camp statt. Bisher waren die Camps vor allem in infrastrukturell stärkeren Ländern wie Taiwan, Indien oder Südkorea. Dass es nun nach Osttimor kommt, ist ein riesiger Schritt, war aber auch ein immenser organisatorischer Aufwand.
Wer trägt die Initiative?
Das Kernteam umfasst neben PermatilGlobal und hier gemeinsam mit vielen Freunden, vor allem Lachlan McKenzie, Ego Lemos und Permatil, etwa 50 jugendliche Volunteers aus den Dörfern, Yanti Wondeng und etwa 15 aus der Perma Youth Association, vielen jungen Künstler*innen, sowie einige Vertreter:innen aus den Bezirksverwaltungen, lokalen NGOs, dem Präsidenten Osttimors José Ramos Horta, auch einen Ethnologie-Studenten aus Münster, Jakob Kreß, der dort mehrere Monate für seine Masterarbeit forscht und eine Online-Story-Map für Permatil erstellt. Die Camps sind grundsätzlich kostenlos. Anders als in vielen Kontexten im Globalen Süden gibt es nicht einmal eine Entschädigung für die teils weite Anfahrt der Teilnehmenden. Trotzdem engagieren sich die Jugendlichen unglaublich stark – auch wegen der Teilnahmezertifikate, die sie später in Bewerbungen einbringen können. Ökologische Landwirtschaft und Gartenbau werden dadurch auch wieder aufgewertet und können für viele eine gute Karrieremöglichkeit sein.
Wem nützt die Kooperation besonders?
Vor allem den Jugendlichen. Sie bekommen nach den Camps Zertifikate, die sie später für Bewerbungen nutzen können. Das wertet Gartenbau und Landwirtschaft auf – ein Bereich, der gerade in Osttimor enorm wichtig ist. Es gibt trockene Regionen in den Bergen mit bis zu 80 Prozent Mangelernährung. Permakultur zeigt: Man kann wieder autark werden, Quellen reaktivieren, Nahrung sichern – mit lokalem Wissen und nachhaltigen Methoden. Für mich persönlich ist es unglaublich bereichernd, dass wissenschaftliche Arbeit hier auch konkrete Auswirkungen im Alltag hat. Das ist in den Geistes- und Sozialwissenschaften selten so unmittelbar und direkt erfahrbar.
Können Sie einen Moment nennen, der Ihnen in der Kooperation besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Ein Meilenstein war 2022, als ich eine Woche lang mittendrin war. In einem Dorf war ein Erdrutsch niedergegangen. Die Regierung riet den Menschen, wegzuziehen, aber die Bewohner:innen wollten ihr Land und vor allem ihre Wassergeister nicht verlieren, sie sind zentral für die Balance im Dorf. Also kamen 600 Jugendliche zusammen und lernten innerhalb von sieben Tagen, den Boden zu terrassieren. Mit wenig Geld, fast ohne finanzielle Ressourcen und trotzdem absolut wirkungsvoll. Zwei Jahre später ist das Wasser zunächst langsam, und jetzt tatsächlich wieder zurückgekehrt. Die Quelle ist heute wieder voll, und für viele Dorfbewohner:innen bedeutet das nicht nur die Rückkehr des Wassers, sondern auch die der Wassergeister, die wiederum soziale Interaktionen und gesellschaftliches Leben im Dorf mit sich bringen. Wo einst Dürre war, sowohl im ökologischen als auch im sozialen und kulturellen Sinne, fließt jetzt Leben.
Diese Begegnung zwischen lokalen Gemeinschaften und globalen Fragen wie Kolonialismus, Global Warming, und Globalisierung war unglaublich. Mit wenig Bürokratie, nicht top-down, sondern von der Basis aus. Das war für mich ein Aha-Moment. Als ich die Gärten zwei Jahre später wieder besuchte, hatte sich dort ein Kollektiv von zehn Jugendlichen gebildet, die das Projekt weiterführten und nun große Gemeinschaftsgärten anbauen – ganz ohne äußere Unterstützung.
Wie kann man selbst Teil dieser Bewegung werden?
Das ist tatsächlich ganz einfach. Permatil Global versteht sich als offenes Netzwerk – wer sich für Permakultur interessiert, kann Friend of Permatil werden und mit lokalen Gruppen in Osttimor in Kontakt treten. Über die Website oder die Facebook-Seite von PermaYouth kann man sich über Camps, Projekte und Austauschmöglichkeiten informieren oder ihnen direkt schreiben. Sie freuen sich über jeden Kontakt; außerdem können Interessierte mich auch für Forschungsprojekte oder Kollaborationen direkt ansprechen. Auch die Förderung von Studierenden ist über unsere Mobilitätsfonds und Erasmus-Programme möglich.
Welche Vision haben Sie für die Zukunft?
Meine Vision ist es, die Permakultur-Jugendbewegung aus Osttimor auch nach Münster zu bringen – vielleicht irgendwann ein Perma Youth Camp oder eine weltweit erste PermaUni in Deutschland, hier an der Universität Münster. Das Ziel ist ökologisch nachhaltiges und verkörpertes transkulturelles Lernen: Jugendliche aus ganz unterschiedlichen Kontexten sollen in echten Kontakt und Austausch kommen, voneinander lernen, ökologische Verantwortung teilen, und Ideen für ihre Zukunft entwickeln.
Ich bedanke mich herzlich bei Thomas Stodulka für das hoffnungsspendende, nette Gespräch!