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Münster (upm/tk)
Gemeinsame Ziele: Unter Leitung von Dr. Stephan Jekat (l.) und Prof. Bodo Philipp (r.) haben Philipp Meister, Rebekka Lülf und Emre Biller (v.l.) neue Konzepte erstellt.<address>© WWU - Theo Körner</address>
Gemeinsame Ziele: Unter Leitung von Dr. Stephan Jekat (l.) und Prof. Bodo Philipp (r.) haben Philipp Meister, Rebekka Lülf und Emre Biller (v.l.) neue Konzepte erstellt.
© WWU - Theo Körner

Innovative Ansätze für geringere Güllemengen

Studierende aus dem Fachbereich Biologie haben im neuen Kurs Bioökonomie eigene Lösungen entwickelt

Rebekka Lülf sammelt akribisch Daten zu den Güllemengen in Deutschland. Sie notiert sich Zahlen, etwa die 300 Millionen Tonnen Urin und Kot, die Rinder, Schweine und Geflügel pro Jahr produzieren. Ebenso sammelt sie Angaben zu den chemischen Bestandteilen wie Nitrat, Phosphor und organischen Substanzen. Als die 25-jährige Biotechnologie-Masterstudentin an diesem Morgen an einem PC im Fachbereich sitzt, hat sie den Computerplatz gegen das Labor eingetauscht, in dem sie eigentlich die meisten Kurse absolviert. Monitor statt Mikroskop. Die Münsteranerin besucht die neue Lehrveranstaltung Bioökonomie. „Es handelt sich um eine junge Wissenschaftsrichtung, zu der aus biologischer Sicht umweltschonende und verantwortungsvolle Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen beigetragen werden können, von der Müllvermeidung bis hin zum Klimawandel“, erläutert Bodo Philipp, Professor für mikrobielle Biotechnologie. Unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hat die nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie2030 begonnen, ein milliardenschweres und ressortübergreifendes Förderprogramm, an dem fünf weitere Ministerien beteiligt sind. 
Die Studierenden sollen in diesem ersten Modul alternative Lösungsansätze zu der herkömmlichen biotechnologischen Herstellung von Hormonen wie Cortisol oder Östrogen entwickeln, die in der Pharma- und Kosmetikindustrie stark gefragt sind. Derzeit verwendet die Industrie dazu oftmals Nahrungsmittel wie Baumwollsaatöl oder die Yamswurzel. „Deren Einsatz ist angesichts der Ernährungsprobleme in vielen Regionen der Welt aber durchaus kritisch zu bewerten“, sagt Student Emre Biller, der den Kurs ebenfalls besucht. Berichte über das riesige Gülleaufkommen, gerade auch im Münsterland, haben die Studierenden aufhorchen lassen.

Denn bei ihren Recherchen kamen sie sehr schnell zu der Erkenntnis, dass sich in der Gülle enthaltene organische Bestandteile durchaus für die Herstellung von Hormonen nutzen lassen. Damit könne man die auf landwirtschaftliche Flächen ausgebrachte Güllemenge schon ein wenig verringern. Eine weitere Reduzierung werde erzielt, wenn aus den Fäkalien Wertstoffe wie Phosphor oder Kalium herausgezogen würden, um daraus Dünger zu gewinnen. Wenn man nun die Gülle auf verschiedene Weise weiter verwerte, werfe eine solche Veredlung schließlich auch einen beträchtlichen finanziellen Gewinn ab, kalkulieren die Studierenden.
„Mit diesen Überlegungen zur Vermarktung von Produkten hat der Kurs einen weiteren wichtigen Baustein der Bioökonomie beachtet“, erklärt Bodo Philipp. „Denn es stellt sich unweigerlich die Frage, ob neu entwickelte, ressourcenschonende Verfahren auch wirtschaftlich sind“. Um diesen Blickwinkel noch auszuweiten, traf sich der Kurs mit Vertretern von vier Start-up-Firmen, Ausgründungen aus dem Fachbereich Biologie. Mit den Unternehmern diskutierten sie über die Herausforderung, tragfähige Geschäftsmodelle für bio-basierte Innovationen zu entwickeln. „Die Ideen der Studierenden sind derzeit noch visionär, sie müssen es aber nicht bleiben, sagt Bodo Philipp. Das Treffen bot die Möglichkeit, „über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen“, meint Student Janis Hötzel. Um darüber hinaus weitere Perspektiven einzubeziehen, nutzte der Kurs die Zusammenarbeit des Fachbereichs mit dem Zentrum für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN). Nach Überzeugung von ZIN-Sprecherin Prof. Dr. Doris Fuchs befähigte ein Vortrag über politikwissenschaftliche Perspektiven die Studierenden, die Potenziale der Biotechnologie für die Umsetzung von Nachhaltigkeit kritisch zu überprüfen. Die Politikwissenschaftlerin und ihre Mitarbeiterin Carolin Bohn gewannen nach eigener Aussage tiefere Einblicke in naturwissenschaftliche Zusammenhänge, die Studierenden wiederum setzten sich mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen auseinander. Die interdisziplinäre Kooperation erwies sich somit als bereichernd für beide Seiten. Bei einer geplanten Neuauflage des Seminars am Ende des Wintersemesters werde der Schulterschluss mit dem ZIN ein wichtiger Bestandteil bleiben, betont Studiengangentwickler und Modulverantwortlicher Dr. Stephan Jekat.
Der erste Durchgang hat nach seinen Worten noch einen weiteren Vorteil klar erkennen lassen: Dadurch, dass sich Studierende unterschiedlicher Studiengänge am Fachbereich Biologie beteiligt haben (Biowissenschaft, Biotechnologie, molekulare Biomedizin), bereicherten sie mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen an die Aufgabenstellungen mögliche Lösungsansätze. Für Student Philipp Meister hatte das Seminar auch noch weitere Pluspunkte, bot es doch Gelegenheit, konzeptionell anders als sonst im Biologiestudium üblich zu arbeiten. „Wir haben in diesem Modul sehr selbstständig Lösungen von Problemen entwickelt und mussten dazu sehr häufig beispielsweise auf Internetrecherchen zu interdisziplinären Themen zurückgegriffen, um mit unseren Ideen weiterzukommen.“ Äußerst positiv bewertet der 27-Jährige dabei, dass man bei diesen neu entwickelten Ansätzen nicht eingleisig geblieben sei, sondern Probleme aus dreierlei Richtungen angepackt habe: naturwissenschaftlich, gesellschaftspolitisch und wirtschaftlich.
Für den Biowissenschaftler Bodo Philipp war es ein gelungener und motivierender Start. Denn er sieht noch zahlreiche Gebiete, auf denen die Bioökonomie gefragt sein wird. Traditionell setzen bereits die Land- und Forstwirtschaft oder auch die Nahrungsmittelbranche auf biologische Ressourcen, doch ebenso könne, so der Wissenschaftler, Biologie in Fragen der Kreislaufwirtschaft, auf dem Energiesektor oder auch in der Automobilbranche Antworten liefern. Dank der Vielzahl an Disziplinen, die die Biologie ausmachen, sei es möglich, eine große Bandbreite an Themen abzudecken. „Wir wollen den Bereich Bioökonomie nun weiterausbauen. Es geht schließlich um relevante ökonomische und ökologische Fragen der heutigen Zeit, für die die Biologie passende Lösungen entwickeln kann.“

Dieser Text stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 6, Oktober/November 2017.

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