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Münster (upm/bhe).
Dr. Stefanie Dahl hat die Machbarkeit eines Online-Bewegungsprogramms für die Pflege untersucht und gezeigt, dass dieses im Alltag umgesetzt werden kann.<address>© Uni MS - Brigitte Heeke</address>
Dr. Stefanie Dahl hat die Machbarkeit eines Online-Bewegungsprogramms für die Pflege untersucht und gezeigt, dass dieses im Alltag umgesetzt werden kann.
© Uni MS - Brigitte Heeke

„Schon kleine Erfolge können zur Selbstwirksamkeit beitragen“

Stefanie Dahl hat eine Online-Plattform mit Bewegungsübungen für Fachkräfte, Angehörige und Pflegebedürftige wissenschaftlich begleitet

Eine Online-Plattform mit Bewegungsübungen zur gemeinsamen Ausführung für Pflegende und Menschen mit Pflegebedarf kann zu deren Wohlbefinden und Lebensqualität beitragen. Darauf deuten Evaluationsergebnisse einer Untersuchung am Institut für Sportwissenschaft der Universität Münster hin. Das Programm „WHOLE“ richtet sich an Akteure in der häuslichen Pflege. Dr. Stefanie Dahl hat die Plattform wissenschaftlich evaluiert. Ihre Dissertation mit dem Titel „Gesundheit und körperliche Aktivität in der Pflege – Theoretische Grundlagen zur Implementierung körperlicher Aktivität in der Pflege und Evaluationsergebnisse zum Einsatz einer Lernplattform“ hat ein „Magna cum laude“ erhalten. Über das Projekt sprach sie mit Brigitte Heeke.

Eine Online-Plattform mit einem Bewegungsprogramm für die häusliche Pflege, kann das funktionieren?

Genau das war die Frage, die ich mir im Rahmen meiner Arbeit angeschaut habe. Wir wissen aus der Forschung, dass regelmäßige Bewegung gut für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit ist. Das Problem ist, dass viele Menschen sich dennoch nicht bewegen. Eine besonders betroffene Zielgruppe sind Menschen mit Pflegebedarf. Wir wollten erreichen, dass sich Pflegekräfte beziehungsweise pflegende Angehörige mit dem oder der Pflegebedürftigen zusammen bewegen. Für jemanden, der beispielsweise nicht mehr gut das Haus verlassen kann, ist es schwer zu regelmäßigen Zeiten beim Training zu erscheinen. Daher muss es Angebote geben, die sie auch wahrnehmen können. Also haben wir uns vor allem der häuslichen Pflege zugewandt und dafür Übungsvideos, Bilder und Anleitungen zur Verfügung gestellt. Per Fragebogen habe ich die Pflegekräfte befragt, ob die Online-Plattform und das Bewegungsprogramm umgesetzt werden können und wie die Teilnahme sich auf das Wohlbefinden ausgewirkt hat.

Was bringen solche Online-Programme denn über den Effekt auf Muskelkraft und Beweglichkeit hinaus?

Auch im Alter kann man noch etwas tun – selbst wenn man erst spät beginnt und es dadurch schwieriger ist sich zu motivieren. Die Fitness oder sportliche Leistung stand bei uns jedoch nicht im Vordergrund. Der Forschungsstand zur Wirksamkeit von Bewegungsprogrammen, die gemeinsam von pflegebedürftigen Personen und deren pflegenden Angehörigen durchgeführt werden, ist insgesamt noch überschaubar. Wir haben aber beobachtet, dass die Lebensqualität steigt. Schon kleine Erfolge können zur Selbstwirksamkeit beitragen: Eine ältere Dame berichtete beispielsweise, sie könne sich dank der Übungen nun selbst wieder die Haare kämmen. Eine solcher Rückgewinn für einen selbstbestimmten Alltag ist in meinen Augen wichtiger als motorische Parameter.

Welche Empfehlungen lassen sich daraus für die Praxis ableiten?

Die Übungen bieten eine Gelegenheit Zeit zusammen zu verbringen, die über das typische pflegerische Tun hinaus geht. Pflege wird oft als Belastung wahrgenommen. Dabei birgt sie auch Ressourcen, beispielsweise für das persönliche Wachstum der pflegenden Angehörigen oder eine stärkere Verbundenheit zueinander. Die gemeinsame Bewegung kann zu mehr Qualitätszeit, mehr Nähe oder einer Ablenkung vom Alltag beitragen. An der Basis, zum Beispiel in Pflegeheimen, gibt es bereits viele Initiativen und Ideen, wie Bewegung in den Alltag integriert werden kann. Das Pflegesystem in Deutschland bietet dazu einige Ansatzpunkte zur Gesundheitsförderung, jedoch hauptsächlich für die stationäre Versorgung. Die Wirksamkeit körperlicher Aktivität in der häuslichen Pflege ist nicht hinreichend geklärt und ihre Potenziale sind noch weitgehend unerforscht. Die Antworten der „WHOLE“-Teilnehmenden zeigen aber, dass solche Programme sich lohnen. Eine Abrechnung solcher Angebote mit den Kassen ist bisher noch kaum möglich. Hier sollte die Gesellschaft ihre Perspektive erweitern: damit es den Menschen besser geht, aber auch, weil Prävention viele Folgekosten einsparen kann.

Zur Person:

Stefanie Dahl studierte Sportwissenschaft - Bewegungsbezogene Gesundheitsförderung an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Sportwissenschaft an der Universität des Saarlandes. An der Universität Münster promovierte sie am Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaft über „Gesundheit und körperliche Aktivität in der Pflege: Theoretische Grundlagen zur Implementierung körperlicher Aktivität in der Pflege und Evaluationsergebnisse zum Einsatz einer Lernplattform (aus der Sicht von Pflegekräften)“. Die 36-jährige ist Absolventin des universitätseigenen Weiterqualifizierungsprogramms „Frauen managen Hochschule“ und arbeitet als Geschäftsführerin des Forschungsverbundes Kinder- und Jugendsport NRW (Professur für Bildung und Unterricht im Sport, Prof. Dr. Nils Neuber).

Originalpublikation:

Dahl, Stefanie. (2023). Gesundheit und körperliche Aktivität in der Pflege – Theoretische Grundlagen zur Implementierung körperlicher Aktivität in der Pflege und Evaluationsergebnisse zum Einsatz einer Lernplattform (aus der Sicht von Pflegekräften). 10.17879/88938508617.
DOI: 10.17879/88938508617

Methodik:

Die Studie basiert auf einer Erhebung per Fragebogen mit überwiegend geschlossenen Fragen. Befragt wurden Pflegekräfte und angehende Pflegekräfte, deren Situation überall unterschiedlich und daher nicht standardisierbar ist. Der Fokus lag eher auf der Machbarkeit und der Bewertung der Online-Plattform als auf der bewegungswissenschaftlichen Wirksamkeit. Die Teilnehmenden haben das Training für eine Nutzungsdauer von acht Wochen durchgeführt. Fragen nach entsprechenden Fortschritten dienten in der vorliegenden Arbeit daher eher zur Motivation der Teilnehmenden. Mittlerweile haben weitere Projekte auf das entwickelte Material zurückgegriffen.

Finanzierung:

Das „WHOLE“-Projekt erhielt von 2015 bis 2018 eine ERASMUS+-Förderung (Förderer: European Union / Projektnummer: 2015-1-DE02-KA204-002418). Die Federführung lag in Münster, beteiligt waren Universitäten, Pflegeschulen und andere Einrichtungen aus Israel, Bulgarien, Griechenland, Österreich, Irland und Deutschland.

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