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Münster (upm/ap).
Demonstrationen sind ein Mittel, um für mehr Klimaschutz zu kämpfen. Doch auch der Rechtsweg kann Veränderungen bewirken.<address>© stock.adobe.com - Halfpoint</address>
Demonstrationen sind ein Mittel, um für mehr Klimaschutz zu kämpfen. Doch auch der Rechtsweg kann Veränderungen bewirken.
© stock.adobe.com - Halfpoint

Vor Gericht für eine bessere Welt

Die Rechtswissenschaftlerin Nora Markard zeigt, wie Jura allen Menschen helfen kann

Können Erlasse und Dekrete, kann Recht helfen, die Welt zu verändern? Nora Markards Meinung ist eindeutig: ja. „Mit Gesetzen und Urteilen können einerseits Hierarchien gefestigt und Menschen beherrscht werden“, betont die Professorin für internationales öffentliches Recht und internationalen Menschenrechtsschutz der Universität Münster. Aber Recht sei veränderbar. Und mehr noch: „Es ist ein Instrument, um Verbesserungen zu erreichen, um beispielsweise Machtverhältnisse anzufechten und zur Emanzipation von Minderheiten oder diskriminierten Gruppen beizutragen.“ Wie funktioniert das, und welche rechtlichen Mittel gibt es überhaupt? Darüber hat Nora Markard mit dem Journalisten Dr. Ronen Steinke ein Buch geschrieben. An zwölf Beispielen aus zentralen Rechtsgebieten zeigen sie, wie Veränderungen mit Rechtsmitteln erwirkt werden können. Wir stellen vier davon vor.

Prof. Dr. Nora Markard<address>© Andreas Schmidt</address>
Prof. Dr. Nora Markard
© Andreas Schmidt

Mit Klimaschutzrecht den Planeten retten

Jugendliche der Inseln Pellworm und Langeoog bewirkten 2020 eine Verschärfung des Klimaschutzgesetzes. Sie hatten vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt, dass der deutsche Staat angesichts steigender Meeresspiegel und Extremwetterereignisse zu wenig für die langfristige Bewohnbarkeit ihrer Heimat tue. Sie bekamen recht: Die Grundrechtsbeeinträchtigung sei zwar erst in Zukunft zu erwarten, urteilten die Richter, könne aber nur noch jetzt mit stärkeren Gegenmaßnahmen verhindert werden. Vergleichbare Prozesse gab es in den Niederlanden, Lateinamerika und Australien. Sie führten zur Senkung der Treibhausgasemissionen und Stärkung der Rechte indigener Menschen. Während politische Beschlüsse oft an Legislaturperioden gebunden sind, haben Urteile von Verfassungs- und Menschenrechtsgerichten einen langfristigen Einfluss. Deshalb sind Gerichte wichtige Akteure für Fragen der Klimagerechtigkeit und werden immer häufiger angerufen.

Mit Strafrecht gegen Sexismus kämpfen

Die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist seit 2011 in Kraft. Sie besagt unter anderem, dass der Staat Frauen vor ihrem gewalttätigen Partner genauso schützen muss wie vor Fremden. Das war nicht immer so: In Deutschland war Vergewaltigung in der Ehe bis 1997 nicht als solche strafbar, sondern konnte nur als Nötigung strafrechtlich verfolgt werden. Sexuelle Selbstbestimmung ist erst seit den 1970er-Jahren ein eigenständiges Rechtsgut. Zuvor sorgte das Strafrecht für sexuelle „Sittlichkeit“, stützte also patriarchale Normen. So waren etwa Ehebruch und Sex unter Männern strafbar. Ein weiterer Fokus ist die Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen. Die Ärztin Kristina Hänel erlangte mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht einen Erfolg für die Aufklärung von Patientinnen: 2022 wurde der Paragraf 219a aus dem Gesetzbuch gestrichen. Bis dahin galt jede Information über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen als strafbare „Werbung“.

Mit Eigentumsrecht Mieter stärken

Das Recht auf Eigentum erscheint vielen Menschen als geradezu natürlich. Dabei gibt es Eigentum nur aufgrund eines staatlichen Rechtssystems, das es Menschen ermöglicht, andere von der Nutzung eines Gegenstands auszuschließen: ohne Recht kein Eigentum. Allerdings geht Eigentum laut Grundgesetz auch mit der Verantwortung einher, dass „Eigentum verpflichtet“, und sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Dies gilt auch für Wohneigentum. Laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist deswegen zum Beispiel die Untervermietung einer Wohnung zu erlauben, wenn die Mieterin oder der Mieter daran ein „berechtigtes Interesse“ hat – etwa ein Auslandssemester. Die Auslegung dieses Begriffs ist jedoch dehnbar und muss im Einzelfall abgewogen werden. So erstritt eine Mieterin 2022 in zweiter Instanz am Landgericht Berlin, dass sie ihre Wohnung an ukrainische Flüchtlinge untervermieten darf, um ihnen mehr Privatsphäre als in einer Sammelunterkunft zu ermöglichen.

Mit Sozialrecht Inklusion erreichen

Die Unterbringung von Menschen mit Behinderung in Sonderschulen und (geschlossenen) Heimen war lange Zeit Standard. Noch Ende der 1990er-Jahre urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Isolierung behinderter Kinder in Sonderschulen nicht zwingend als Diskriminierung zu bewerten sei – auch, wenn dies gegen den Willen der Kinder und deren Eltern erfolgt. Gegen solche Urteile protestiert die sich selbst so bezeichnende „Krüppelbewegung“, ein aktivistischer Zusammenschluss behinderter Menschen. Dazu gehört auch die Juraprofessorin Theresia Degener, die die seit 2008 geltende UN-Behindertenrechtskonvention mit aushandelte. Diese geht davon aus, dass es keiner bestimmten körperlichen oder geistigen Voraussetzungen bedarf, um autonom entscheiden zu dürfen, und verlangt maximale Inklusion. Allerdings wurden auch 2023 noch mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf nicht an Regelschulen unterrichtet – der Weg zur Teilhabe als Normalität ist noch lang. Aber seitdem haben Kinder und Eltern eine andere rechtliche Grundlage, um Inklusion einzufordern.

Autorin: Anke Poppen

Das Buch:

Nora Markard, Ronen Steinke: Jura not alone. 12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern. Frankfurt/Main: Campus 2024.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 4. April 2024.

 

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