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Münster (upm).
Das IceCube-Labor an der Amundsen-Scott-Südpolstation in der Antarktis beherbergt die Computer, die die Rohdaten sammeln.<address>© Felipe Pedreros, IceCube/NSF</address>
Das IceCube-Labor an der Amundsen-Scott-Südpolstation in der Antarktis beherbergt die Computer, die die Rohdaten sammeln.
© Felipe Pedreros, IceCube/NSF

„Neutrinos lassen sich nur sehr schwer einfangen“

„IceCube“-Tagung in Münster: Interview mit Sprecher Ignacio Taboada über Fortschritte des Experiments

Physikerinnen und Physiker aus verschiedenen Ländern suchen mit dem Großexperiment „IceCube“ im Eis des Südpols nach Neutrinos. Diese schwer nachweisbaren Teilchen erreichen die Erde aus dem Kosmos. Rund 220 Angehörige des IceCube-Konsortiums treffen sich vom 18. bis 22. März zur Frühjahrstagung erstmals in Münster. Prof. Dr. Alexander Kappes und seine Arbeitsgruppe am Institut für Kernphysik der Universität Münster sind die Gastgeber. Christina Hoppenbrock sprach aus diesem Anlass mit dem Sprecher des IceCube-Konsortiums, Prof. Dr. Ignacio Taboada vom US-amerikanischen Georgia Institute of Technology, über die Herausforderungen der Neutrino-Forschung und die Fortschritten des Experiments.

Prof. Dr. Ignacio Taboada ist Sprecher des IceCube-Konsortiums.<address>© privat</address>
Prof. Dr. Ignacio Taboada ist Sprecher des IceCube-Konsortiums.
© privat
Sie reisen aus den USA an, um über die wissenschaftlichen Fortschritte am Südpol zu sprechen – warum ausgerechnet in Münster?

Unser Konsortium trifft sich zweimal im Jahr, um die Fortschritte unserer Forschung zu diskutieren. Die Frühjahrstagung wird von Alexander Kappes und seinem Team in Anerkennung ihrer führenden Rolle bei IceCube und dem geplanten IceCube-Gen2 ausgerichtet.

Neutrinos sind auch als ,Geisterteilchen‘ bekannt. Was ist eigentlich so geheimnisvoll an ihnen?

Neutrinos lassen sich nur sehr schwer ,einfangen‘. Ein gutes Beispiel ist eine Glasscheibe. Glas ist für Licht durchlässig. Ein Großteil des Lichts geht hindurch – aber nicht alles. Wenn man eine Glasscheibe von der Seite betrachtet, sieht man, dass sie einen Grünstich hat. Das liegt an dem Licht, das mit dem Glas wechselwirkt. Für Neutrinos ist Materie durchlässig, so wie Glas für Licht durchlässig ist. Aber um Neutrinos aufzuhalten, reicht eine Glasscheibe nicht aus. Dafür braucht man riesige Detektoren. IceCube ist einen Kubikkilometer groß, also etwa so groß wie ein kleiner Berg. Damit können wir die wenigen Neutrinos aufspüren, die wechselwirken.

Wie funktioniert das genau?

Die Neutrinos, die mit der Materie wechselwirken, erzeugen neue Teilchen. Diese Teilchen bewegen sich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch das Eis und erzeugen blaues Licht, die sogenannte Cherenkov-Strahlung. Wir beobachten Neutrinos mit optischen Sensoren, auch Digital Optical Modules (DOM) genannt, die dieses blaue Licht einfangen. Wenn wir wissen, wann das Licht an einem DOM eingefangen wurde, und wie viel Licht es war – es kann sogar nur ein einzelnes Photon sein – können wir die Richtung, aus der das Neutrino kam, und die Energie des Neutrinos bestimmen.

In den vergangenen zwei Jahren hat das IceCube-Konsortium zwei viel beachtete Artikel über den Stand der Forschung veröffentlicht …

Im November 2022 haben wir von mehr als 79 Neutrinos aus der Galaxie NGC 1068 mit dem Namen berichtet, die wir in gut neun Jahren Beobachtungszeit aufgezeichnet haben. Amateur-Astronomen kennen diese Galaxie vielleicht als Messier 77. Sie ist mit einem Fernglas zu sehen, obwohl sie 47 Millionen Lichtjahre entfernt ist. Das klingt enorm, aber nach kosmischen Maßstäben ist sie in der Nähe. Was mich an der Beobachtung von NGC 1068 am meisten begeistert, ist die Tatsache, dass die Neutrinoemission anscheinend ,stetig‘ ist. Wenn wir die Beobachtungszeit verdoppeln, sollten wir in der Lage sein, die Anzahl der Neutrinos, die wir von NGC 1068 beobachtet haben, ungefähr zu verdoppeln. Diese Erhöhung der Zahl wird es uns ermöglichen, zu verstehen, wie die Neutrinos dort entstehen. Wir vermuten, dass sie ihren Ursprung in der Nähe eines supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie haben, aber viele Details sind noch unklar.

Und worum ging es im zweiten Artikel?

Im Juni 2023 berichteten wir über die Beobachtung unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, mit Neutrinos. Wir gehen davon aus, dass es in der Milchstraße Neutrinoquellen gibt, wahrscheinlich handelt es sich um Überreste vergangener Supernova-Explosionen. Die Galaxie ist außerdem gefüllt von kosmischer Strahlung aus Protonen, Heliumkernen und schwereren Kernen – diese Strahlung entsteht ebenfalls in den Überresten von Supernova-Explosionen. Sowohl die Neutrinoquellen in der Milchstraße als auch die Ausbreitung der kosmischen Strahlung durch die Galaxie erzeugen Neutrinos, die wir mit IceCube nachweisen. Derzeit können wir diese gemessenen Neutrinos nicht nach Herkunft trennen. Aber wir freuen uns darauf, diese Frage zu lösen...

... wie viele weitere Fragen, oder?

Das stimmt. Das geplante Nachfolge-Observatorium ,IceCube-Gen2‘ mit einem achtmal größeren Volumen als IceCube soll die Beobachtung von nicht nur zwei Galaxien ermöglichen, sondern möglicherweise von zwei Dutzend. Und es soll durch die Ergänzung von Radioantennen zu den optischen Sensoren eine deutlich verbesserte Empfindlichkeit für Neutrinos höherer Energie haben.

 

Zum IceCube-Projekt:

Das IceCube Neutrino Observatorium befindet sich an der Amundsen-Scott-Südpolstation. Das Management und der Betrieb des Observatoriums erfolgen durch das Wisconsin IceCube Particle Astrophysics Center an der University of Wisconsin-Madison, USA. Dem IceCube-Konsortium gehören mehr als 400 internationale Physikerinnen und Physiker an, die Daten des Observatoriums nutzen, um den Kosmos mit Neutrinos zu erforschen. Zu den wichtigsten Errungenschaften des Konsortiums gehören die Entdeckung astrophysikalischer hochenergetischer Neutrinos, die Beobachtung von Neutrinos aus zwei Galaxien und die Beobachtung unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, mit Neutrinos.

Nach den USA ist Deutschland der wichtigste Partner bei IceCube. Hier sind die Universitäten Aachen, Berlin (Humboldt-Universität), Bochum, Dortmund, Erlangen-Nürnberg, Mainz, München (Technische Universität), Münster und Wuppertal sowie die Helmholtz-Zentren Deutsches Elektronen Synchrotron DESY und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beteiligt.

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