|
Münster (upm/ap).
Am Oberverwaltungsgericht Münster wird am 12. März die Klage der AfD gegen ihre Einstufung als extremistischer Verdachtsfall verhandelt.<address>© Thomas Keßler - OVG NRW</address>
Am Oberverwaltungsgericht Münster wird am 12. März die Klage der AfD gegen ihre Einstufung als extremistischer Verdachtsfall verhandelt.
© Thomas Keßler - OVG NRW

„Die Erfolgsaussichten der AfD sind übersichtlich“

Verfassungsjurist Fabian Wittreck über die AFD-Klage gegen ihre Einstufung als extremistischer Verdachtsfall

Das Oberverwaltungsgericht Münster verhandelt ab dem 12. März (Dienstag) die Klage der „Alternative für Deutschland“ (AfD) gegen ihre Einstufung als extremistischer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Ein Urteil ist am Ende der Verhandlung zu erwarten, die sicherheitshalber für zwei Tage angesetzt ist. Der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Fabian Wittreck von der Universität Münster spricht im Interview mit Anke Poppen über die Aussichten des Verfahrens und die möglichen Konsequenzen.

Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten der Klage der AfD ein?

Sie dürften übersichtlich sein. Das Verwaltungsgericht Köln hat in vorheriger Instanz seine Arbeit gemacht. Es hatte eine doppelte Aufgabe: Das Gericht musste zum einen eine Tatsachengrundlage aufbereiten und sich zum anderen mit dem Argument der AfD auseinandersetzen, an die Einstufung als Verdachtsfall sei der gleiche Maßstab anzulegen wie an ein Parteiverbot. Beides hat das Verwaltungsgericht meines Erachtens sehr überzeugend getan. Die Liste an Einlassungen oder besser Entgleisungen von AfD-Funktionären, die das Gericht seinen Entscheidungen zugrunde legt, ist je nach Standort des Beobachters beeindruckend oder höchst deprimierend. Und das Gericht legt verständlich dar, dass der Antrag auf ein Verbot durch das Bundesverfassungsgericht eine vorherige Beobachtung durch den Verfassungsschutz voraussetzt und keinesfalls ausschließen kann.

Prof. Dr. Fabian Wittreck<address>© Brigitte Heeke</address>
Prof. Dr. Fabian Wittreck
© Brigitte Heeke

Mit dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig kann der Verlierer die nächsthöhere Instanz anrufen. Wie lange kann sich das Verfahren somit hinziehen?

Das ist keine Sache von Wochen oder wenigen Monaten. Deutsche Gerichte sind grundsätzlich frei, in welcher Reihenfolge sie eingehende „Fälle“ entscheiden. Es ist bezeichnend, dass die gerade abgewählte polnische rechtsnationale Regierung dies für wichtige Verfahren geändert hat. Die Ausgangsentscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln datieren vom März 2022. Es ist kaum zu erwarten, dass sich die Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichts weniger Zeit für eine bedeutsame Entscheidung nehmen als das Oberverwaltungsgericht.

Welche Konsequenzen hätte eine vom Oberverwaltungsgericht bestätigte Einstufung als extremistischer Verdachtsfall für ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD?

Zunächst keine – die zentrale Rechtsbehauptung des Verwaltungsgerichts Köln lautet ja gerade, dass an die bloße Einstufung als Verdachtsfall ein anderer Maßstab anzulegen ist als an ein Parteiverbot. Mittel- und langfristig steht natürlich ein Phänomen im Raum, das schon die griechische Philosophie beschäftigt hat: Wann wird aus einer Handvoll Sandkörner ein Haufen? Mit anderen Worten: Jede einzelne gerichtliche Entscheidung, sei es eine über die Einstufung als Verdachtsfall beziehungsweise als ,gesichert rechtsextremistisch‘ oder eine Verurteilung von AfD-Funktionär Björn Höcke wegen Volksverhetzung, ist ein Mosaikstein in einem Gesamtbild, über das am Ende das Bundesverfassungsgericht zu beurteilen haben wird.

Was wäre mit einem Parteiverbot gewonnen?

Die Frage nach dem politischen Sinn eines Parteiverbots kann ein Rechtswissenschaftler im Grunde nicht kompetent beantworten. Er darf nur als Bürger sprechen, dessen Ansicht keinen Deut mehr wert ist als diejenige anderer Bürger. Man kann nach den bisherigen Erfahrungen im In- und Ausland, etwa in der Schweiz, aber darauf verweisen, dass ein Parteiverbot Strukturen zerschlägt, Mandate und damit Aufmerksamkeit und Einfluss kostet sowie Finanzströme zum Versiegen bringt. Natürlich verschwindet mit dem Richterspruch nicht die Gesinnung derjenigen, die die AfD wählen. Aber der Rechtsstaat gewinnt Zeit und sendet ein wichtiges Signal: Schon der Verbotsantrag macht deutlich, dass die Bundesrepublik das Schutzversprechen ernst nimmt, das mit der Einbürgerungsurkunde und dem deutschen Pass einhergeht. Nach dem sogenannten Potsdamer ,Geheimtreffen‘ fragen sich Millionen von Menschen mit Migrationsgeschichte zu Recht, ob sie von diesen Ideen für eine Ausweisung betroffen sein könnten und wie die Mehrheitsgesellschaft auf diesen Tabubruch reagiert.

Links zu dieser Meldung