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Münster (upm/anb).
Das Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ des französischen Malers Eugène Delacroix ist eine Ikone der (französischen) Freiheitsbewegung. Es verarbeitet die Barrikadenkämpfe der Julirevolution im Jahr 1830 in Paris – eine kurze, aber heftige und gewalttätige Auseinandersetzung zwischen den Bürgern und der Obrigkeit.<address>© Eugène Delacroix, Die Freiheit führt das Volk, 1830, Public domain, via Wikimedia Commons</address>
Das Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ des französischen Malers Eugène Delacroix ist eine Ikone der (französischen) Freiheitsbewegung. Es verarbeitet die Barrikadenkämpfe der Julirevolution im Jahr 1830 in Paris – eine kurze, aber heftige und gewalttätige Auseinandersetzung zwischen den Bürgern und der Obrigkeit.
© Eugène Delacroix, Die Freiheit führt das Volk, 1830, Public domain, via Wikimedia Commons

Auch Unfreiheit hat ihre Vorzüge

Warum Restriktionen sinnvoll sein können – eine Anregung

Die Demonstranten der Montagsdemos in der DDR haben für sie protestiert, Marius Müller-Westernhagen hat sie besungen, der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck predigt sie: die Freiheit. Laut dem „Atlas der Zivilgesellschaft“ der Organisation Brot für die Welt lebten 2023 nur 14 Prozent der Weltbevölkerung frei, konnten also ungehindert ihre Meinung sagen, sich versammeln oder gegen Missstände ankämpfen. Auch die Nichtregierungsorganisation Freedom House kommt in ihrem Bericht „Freedom of the World 2022“ zu dem Ergebnis, dass sich das globale Freiheitsniveau bereits zum 17. Mal in Folge verschlechtert hat. Freiheit ist, so müssen die Erhebungen gelesen werden, ein bedrohtes Gut. Ist es angesichts dieser Befunde rat- und sittsam, einen Text über die Vorzüge der Unfreiheit zu schreiben? Es ist zugegebenermaßen ein schwieriges, ja heikles Unterfangen – zumal als Bürger eines liberalen Landes. Doch dieser Text plädiert nicht dafür, die freien 14 Prozent abzuschaffen. Es ist klar, dass der Anteil der wirklich freien Gesellschaften zunehmen muss. Doch welchen Wert könnten Freiheitsbeschränkungen trotz allem haben?

Einen Hinweis geben die Organisatoren des Wissenschaftsjahres 2024 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, wenn sie unter anderem schreiben: „Welche Freiheiten brauchen wir – und wo bedarf Freiheit Grenzen? Wie schützen wir in Anlehnung an das Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts die Freiheit zukünftiger Generationen?“ Der Verweis auf den Klimawandel impliziert, dass es Freiheiten gibt, die auf Kosten anderer gehen – etwa auf die folgenden Generationen. Doch auch in der Gegenwart ist Freiheit auf dieser Welt ungleich verteilt. Nun hilft die Rechnung nicht viel, dass man etwas verbessern würde für die, die unfrei sind, indem man den anderen einfach etwas von ihrer Freiheit wegnimmt. Oder doch? Freiheit drückt sich nicht nur politisch aus, sondern auch ökonomisch. Begreift man einen Teil der Freiheit als Freiheit zu etwas, so vergrößert sich der Freiheitsspielraum mit dem Grad des Wohlstands. Je wohlhabender ein Mensch ist, desto mehr Handlungsoptionen bieten sich ihm. Dies führt dazu, dass sich in wohlhabenden Ländern ein besonders ressourcenintensiver Lebensstil etabliert hat, beispielsweise mit einem hohen Konsum von Lebensmitteln, einem großen Maß an Mobilität oder einem großen Flächenverbrauch pro Kopf.

Aber ist es in einer freien Gesellschaft angemessen, diese Freiheiten zu beschränken, um andere zu schützen? Ja, finden die Nachhaltigkeitsforscherin Carolin Bohn und der Politikwissenschaftler Dr. Tobias Gumbert. In einem Aufsatz über eine neue „grüne liberale Freiheit“ schreiben die beiden Wissenschaftler der Universität Münster, dass es zwar Menschen gebe, die jede Grenzsetzung als Freiheitsverlust empfänden und daher ablehnten. „Doch vor dem Hintergrund sich ausschließender Handlungsoptionen und endlicher natürlicher Ressourcen sind Begrenzungen von individueller Freiheit an einigen Stellen notwendig, um Freiheiten an anderen Stellen zu schützen.“ Entscheidend sei die gemeinsame Aushandlung dessen, was als schützenswert erachtet wird und daher Freiheitsbeschränkungen erlaubt. Dafür greifen die beiden Autoren das Konzept der Umwelt als „provider of basic needs“, also als Anbieter von Grundbedürfnissen auf. Der Schutz dieser Umwelt habe Vorrang vor der Freiheit zu ihrer Inbesitznahme.

Prof. Dr. Felix Ekardt, als Jurist, Philosoph und Soziologe in Leipzig, Berlin und Rostock tätig, spricht sich in einem Artikel in der „ZEIT“ ebenfalls dafür aus, angesichts des Klimawandels über die Freiheiten des Einzelnen und der Gesellschaft nachzudenken. Wichtig für ihn ist, dass nicht einfach diktatorisch darüber bestimmt werde, was ein richtiges Leben sei, sondern dass Verhalten reguliert werde, „wenn es anderen Menschen schadet, also ihre Freiheiten und Freiheitsvoraussetzungen beeinträchtigt“ – also wenn ein Zuviel der Freiheit des einen auf die rechtmäßige und möglicherweise eingeschränkte Freiheit des anderen trifft. Mit dieser Sicht steht Felix Ekardt in der Tradition von Immanuel Kant und dessen äußerst populärem Zitat „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“.

Auf der einen Seite steht also die Freiheit, zu konsumieren, was der Markt hergibt, und auf der anderen Seite die Freiheit, ein gesundes Leben in einer gesunden Umwelt zu führen – jetzt und in Zukunft. Die Autoren Bohn und Gumbert fordern, dass wir uns wieder und wieder eine Frage stellen sollen: „Wo müssen wir unsere Freiheit im Sinne der Freiheit anderer einschränken?“ Auch Prof. Dr. Michael Quante, Philosoph an der Universität Münster, sieht die Notwendigkeit der Freiheitseinschränkungen, da „nur die wechselseitig eingeräumte Freiheit des Anderen, die zugleich meine eigene einschränkt, Kooperation“ ermögliche. Dieser Ansatz war auch während der Coronapandemie zu beobachten: Erst das Zurücknehmen eigener Freiheiten zum Wohle anderer hat den Einzelnen wie die Gesellschaft durch diese Krise geführt. Aber auch im Straßenverkehr gilt: Durch Beschränkungen der Einzelnen werden Freiheiten möglich – etwa die Freiheit auf eine risikoarme oder reibungslose Fortbewegung, beispielsweise in einem Kreisverkehr. So gesehen kann ein Plädoyer für etwas mehr Unfreiheit gelesen werden als Aufruf zur Freiheit, etwas nicht zu tun, da „Grenzziehungen in diesem Sinne subjektiv als Zugewinn an Freiheit erfahren werden“, wie Bohn und Gumbert schreiben.

Autor: André Bednarz

 

Ausstellung auf der MS Wissenschaft

 

Was ist Freiheit? Welche Bedingungen sind notwendig, um sie zu ermöglichen? Welche Freiheiten brauchen wir, und wo bedarf Freiheit Grenzen? Diesen Fragen geht eine Ausstellung auf der „MS Wissenschaft“ nach. Vom 18. bis 22. Juli ankert das Wissenschaftsschiff, das im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und im Rahmen des Wissenschaftsjahres durch Deutschland tourt, in Münster und anschließend in Lüdinghausen. Die Arbeitsstelle Forschungstransfer der Universität Münster ist wieder mit an Bord und lädt zu Veranstaltungen mit Wissenschaftlern der Universität ein. Experten vom Philosophischen Institut werden mit den Gästen an Deck den Freiheitsbegriff diskutieren. Auch an einem Exponat bei der Mitmach-Ausstellung im Inneren des schwimmenden Science-Centers sind Wissenschaftler aus Münster beteiligt.


Das Wissenschaftsjahr

Seit mehr als 20 Jahren sind die Wissenschaftsjahre die zentrale Aktivität des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in der Wissenschaftskommunikation. Jedes Jahr steht ein neues, interdisziplinäres Zukunftsthema im Zentrum. 2024 wird unser Grundgesetz 75 Jahre alt und die Friedliche Revolution liegt 35 Jahre zurück. Zwei Jubiläen, die Gelegenheit bieten, das Thema „Freiheit“ in all ihren Facetten zu betrachten. Was wäre Forschung ohne Freiheit? Was wäre Freiheit ohne Verantwortung? Was wären wir ohne Freiheit? Mit vielfältigen Angeboten bietet das Wissenschaftsjahr einen Rahmen, um generationenübergreifend über Freiheit, ihren Wert und ihre Bedeutung zu diskutieren.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 31. Januar 2024.

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