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Münster (upm/kk)
Viele Arbeitsmigranten arbeiten auf dem Bau im Ausland.<address>© Unsplash - Ivan Henao</address>
Viele Arbeitsmigranten arbeiten auf dem Bau im Ausland.
© Unsplash - Ivan Henao

Handel mit Arbeitskräften floriert

Arbeitsmigranten aus Nepal: Hannah Uprety untersuchte in ihrer Dissertation Hintergründe und Strukturen

Sie arbeiten als Erntehelfer in Spanien, auf dem Bau in Malaysia oder als Reinigungskraft in Saudi-Arabien – meistens unter prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen und zu niedrigen Löhnen. Dennoch ist es für die meisten Arbeitsmigranten die einzige Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Gleichzeitig sind wirtschaftliche Entwicklungen vielerorts ohne den Einsatz ausländischer Niedriglohnarbeiter undenkbar. In ihrer Dissertation am Institut für Geographie hat Dr. Hannah Uprety am Beispiel Nepals die Mechanismen und Strukturen hinter solchen Formen der Arbeitsmigration untersucht. Ihr Fazit: Bei der Vermarktung nepalesischer Arbeitskraft spielen nicht nur heutige Weltmarktlogiken, sondern auch historische Machtkonstellationen und koloniale Infrastrukturen eine Rolle.

Dass die Bedingungen in den Zielländern oft katastrophal sind, zeigt die Diskussion über die Arbeitsmigranten in Katar. Schlagzeilen wie „Für unseren Torjubel starben 15.000 Menschen“ oder „WM der Schande“ machen auf die Situation aufmerksam. Hannah Uprety hat sich hingegen die Strukturen im Heimatland der Arbeiter angeschaut. „In Nepal werden die meisten Menschen nicht durch Zufall zu Arbeitsmigranten. Stattdessen gibt es eine regelrechte Migrationsindustrie, die den Export von Arbeitskräften ermöglicht“, sagt die Humangeografin. Dazu gehören unter anderem Rekrutierungs- und Vermittlungsagenturen, Qualifizierungsprogramme, Reisebüros sowie rechtliche und politische Rahmenbedingungen.

Dr. Hannah Uprety<address>© privat</address>
Dr. Hannah Uprety
© privat

 

Für Nepal sind die Auslandstätigkeiten elementar, denn der Geldtransfer aus dem Ausland macht laut Weltbank knapp ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts aus. Für ihre ethnografischen Untersuchungen reiste Hannah Uprety mehrere Male nach Nepal und sprach mit Arbeitsmigranten, lizenzierten Vermittlungsagenturen und informellen Agenten, Ausbildern und ausländischen Arbeitgebern. Sie schaute bei Auswahlverfahren und Trainings zu und sichtete Fotos, Videomaterial sowie Textdokumente. Auffällig sei, dass Arbeitgeber und Vermittlungsagenturen oft nach diskriminierenden Kriterien vorgehen – für manche Berufe sind die ethnische Zugehörigkeit und Hautfarbe ein entscheidendes Auswahlkriterium.

WWU-Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Apolte weist darauf hin, dass „Arbeitsmigration nicht per se schlecht sein muss“ – solange sie auf Freiwilligkeit beruht. „Die erwirtschafteten Devisen ermöglichten Importe, deren Bedeutung für die inländische Versorgung größer sein kann als das, was die Arbeitsmigranten unter den gegebenen ökonomischen Strukturen im Inland erzeugen können.“ Zwei Extreme prägen die bisherige Berichterstattung über nepalesische Arbeitsmigration: Die einen sehen darin eine Form der modernen Sklaverei, die anderen eine Entwicklungsmaschine für das Land. „Die Forschung von Hannah Uprety bricht diese Schwarz-Weiß-Sicht auf und zeigt die Graustufen dazwischen“, unterstreicht Prof. Dr. Paul Reuber vom Institut für Geographie, der Hannah Upretys Doktorarbeit betreute. „Der schmale Grat zwischen Fremdbestimmung und Selbstführung – also ob jemand durch die vielfältigen Bedingungen des gesellschaftlichen Umfeldes in Nepal gewissermaßen ‚gezwungen‘ wird ins Ausland zu gehen oder diese Entscheidung (vermeintlich) selbstbestimmt wählt – ist kaum voneinander abzugrenzen. Die Dissertation beschreibt erstmals auf Basis intensiver Feldarbeiten die komplexen Bedingungen der nepalesischen Arbeitsmigration in einer differenzierten Weise.“

Die Arbeiter, die in ihre Heimat zurückkehren, haben viel gelernt. Dieses Know-how können sie vor Ort einsetzen und ihr Wissen weitergeben.
In Nepal selbst ist das Ansehen der Arbeitsmigranten groß, viele Menschen haben den Traum von einer Perspektive im Ausland. Menschen, die in dieses System hineinwachsen, werden schon früh darauf vorbereitet, als „Ware“ exportiert zu werden. „Durch Auswahlverfahren und Kurse lernen die Menschen sich unterzuordnen. Sie nehmen Schritt für Schritt neue migrantische Identitäten an, die sich gut in den Weltmarkt integrieren lassen“, beschreibt Hannah Uprety.

Eine Chance für den kleinen Himalajastaat zwischen China und Indien sieht die 35-jährige Wissenschaftlerin darin, die Gewinne aus der Migration nutzbar zu machen. „Die Arbeiter, die in ihre Heimat zurückkehren, haben viel gelernt. Dieses Know-how können sie vor Ort einsetzen und ihr Wissen weitergeben“, betont die Expertin. Dadurch können sie die Situation noch aktiver für sich nutzen – denn passive Opfer sind die meisten trotz widriger Umstände auch jetzt schon nicht.

 

Zur Person

Hannah Uprety studierte Südasienstudien (B.A.) an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Humangeographie (M.Sc.) an der WWU Münster, an der sie 2021 promoviert wurde. Für ihre Forschung auf dem Gebiet der nepalesischen Arbeitsmigration erhielt sie den WWU-Dissertationspreis 2021 sowie den Dissertationspreis (3. Platz) des Britain-Nepal Academic Councils. Aktuell arbeitet sie in der Quartiersarbeit beim Internationalen Bund e.V.

Die Dissertation von Hannah Uprety erscheint voraussichtlich im August 2022 im Transcirpt Verlag.

 

Autorin: Kathrin Kottke

 

Dieser Text stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 6. April 2022.

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