(A2-12) Die Maximenliteratur im islamischen Recht: Normengestaltung zwischen theologisch-epistemologischen und juristisch-pragmatischen Anforderungen

Gegenstand des Projekts ist ein nahezu unerforschtes Genre innerhalb der islamischen Rechtsliteratur, das sich mit der Formulierung rechtlicher ‘Maximen’ (qawa’id) befasst. Im Zentrum des Forschungsvorhabens steht die Frage, in welchem Verhältnis diese ‘Maximenliteratur’ zur islamischen Rechtstheorie (usul al-fiqh) steht. Als Arbeitshypothese dient dabei die Annahme, dass die Maximenliteratur als ein zweiter, eigenständiger juristischer Metadiskurs neben der Rechtstheorie entstand, und dass in der Parallelität dieser beiden Diskurse ein Spannungsverhältnis zwischen theologisch-epistemologischen und juristisch-pragmatischen Anforderungen an Rechtsgestaltung greifbar wird.

Die Rechtstheorie reflektiert Recht primär unter dem Aspekt seiner religiösen Legitimation: In ihr wird das Paradigma formuliert, dass Recht aus den Offenbarungstexten hergeleitet werden muss, und es werden entsprechende exegetische Techniken entwickelt. Auf die faktische Normenentwicklung übte diese Rechtstheorie indessen einen relativ geringen Einfluss aus, was sich unter anderem dadurch erklären lässt, dass ihr textexegetischer Ansatz dem Bedürfnis nach umfassender und systematischer Rechtsgestaltung nur wenig entgegenkommt.

Mit der Maximenliteratur entsteht ab dem 10. Jahrhundert ein eigenständiger juristischer Metadiskurs, der Recht sehr viel stärker unter juristisch-pragmatischen Gesichtspunkten reflektiert und sich dabei den theologisch-epistemologischen Postulaten der Rechtstheorie bis zu einem gewissen Grade zu entziehen scheint: Die Maximenliteratur setzt bei den faktisch etablierten Normen an und versucht, dieses Material zu systematisieren und zu einer möglichst kohärenten, juristisch handhabbaren Struktur zu verdichten.

Sollte sich diese arbeitshypothetische Beurteilung der Maximenliteratur bestätigen, dann vollzog sich mit der Entstehung dieser Literatur eine Ausdifferenzierung rechtsbezogener Reflektion in unterschiedliche Diskurse, die sich – in einem relativen Sinne – als ‘theologisch’ und ‘juristisch’ voneinander abgrenzen lassen. Diese Erkenntnis würde uns helfen, das Verhältnis von Religion und Recht im historischen Islam präziser zu bestimmen und könnte mithin dazu dienen, die gängige Vorstellung von einer fehlenden Differenzierung zwischen diesen beiden Sphären in vormodernen Gesellschaften kritisch zu überprüfen.


Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform E Differenzierung und Entdifferenzierung und der Koordinierten Projektgruppe Verflüssigung und Verfestigung normativer Diskurse.

Teilprojekt: Institutionen des islamischen Rechts in Europa: Islamische Mediation und Schiedsgerichtsbarkeit in Großbritannien (Yvonne Prief)

In Großbritannien bestehen seit den 1980er Jahren Sharia Councils – Institutionen, in denen islamische Gelehrte als Mediatoren privatrechtliche Streitigkeiten zwischen Muslimen schlichten. Seit 2007 führt das Muslim Arbitration Tribunal gemäß dem Arbitration Act von 1996 staatlich anerkannte Schiedsverfahren in Einklang mit islamischem Recht durch. Das Angebot an fachlich qualifizierter muslimischer Mediation wächst zunehmend.

Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Hintergründen, Praxis und Folgen der Etablierung o.g. Institutionen ist bislang sehr lückenhaft. Hier setzt diese Arbeit an. Der Rahmen des staatlichen Rechts wird ebenso betrachtet, wie die herangezogenen islamischen Rechtsprinzipien. Es stellt sich die Frage nach einem faktischen Rechtspluralismus. Die Arbeit soll Vorzüge und Probleme der Institutionen sowie der angewendeten Streitschlichtungsmechanismen einschätzen und klären, ob diese ggf. eine Modellfunktion in Europa und konkret für Deutschland haben können. Neben der Auswertung von Fachliteratur und Pressedarstellungen stützt sich die Arbeit auf Ergebnisse empirischer Forschung (qualitative Interviews, teilnehmende Beobachtung).