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Münster (web)
Wissenschaft zum Anfassen: Herbert Voigt demonstriert den "Lotus-Effekt" an einem Blatt.<address>© WWU/Peter Leßmann</address>
Wissenschaft zum Anfassen: Herbert Voigt demonstriert den "Lotus-Effekt" an einem Blatt.
© WWU/Peter Leßmann

"Botanik mit allen Sinnen erfahren"

Herbert Voigt ist seit 28 Jahren technischer Leiter des Botanischen Gartens – ein Porträt des Ur-Münsteraners

"Beißen Sie mal hinein und warten ab, was auf der Zunge passiert", sagt Herbert Voigt und pflückt den Blütenstand einer Jambú-Pflanze. Gesagt, getan. Zuerst fühlt sich meine Zungenspitze taub an, dann wacht sie langsam auf und ein Prickeln breitet sich im Mund aus. "Das fühlt sich lustig an, oder? Wenn ich das mit Kindern probiere, wollen die meistens gar nicht mehr aufhören", amüsiert er sich.

Für die wissen|leben habe ich mich mit dem technischen Leiter des Botanischen Gartens an seinem Arbeitsort getroffen, dabei Pflanzen gekostet und mich mit ihm über seine vielseitigen Interessen unterhalten. Die erste Station führt in sein Büro. An den Wänden reihen sich viele Bücherregale aneinander. Auf den zweiten Blick fallen darin Schokoladen-Weihnachtsmänner und kleine Figürchen auf. Herbert Voigt nimmt einen handgefilzten Zwerg aus dem Regal. "Den hat mir eine unserer ehemaligen Auszubildenden geschenkt – er hat sogar meine Frisur", sagt er und spielt auf seine langen, zu einem Dutt zusammengebundenen grauen Haare an. "Die Frisur ist übrigens aus einer gesunden Faulheit heraus entstanden und jetzt gefällt sie mir", fügt er hinzu.

"Das Interesse an der Natur habe ich von meiner Oma und meinen Eltern mitbekommen."

Entspannt geht der Ur-Münsteraner auch mit seinem heimischen Garten um, der ihm als Erholungsort viel bedeutet. Dieser ist so angelegt, dass sich der Arbeitsaufwand in Grenzen hält. "Eigentlich darf alles stehen, wie ich es angepflanzt habe. In meinem geordneten Chaos der Natur muss ich höchstens Rasen mähen und ab und an etwas zurückschneiden." Um die tierischen Mitbewohner kümmert sich seine Frau Ruth. Als Herbert Voigt von den Katzen, Hühnern und Bienen erzählt, holt er sein Smartphone und zeigt Fotos von ihrem ausgebauten Fachwerkspeicher mit dem großen Grundstück.

Dass er nach der Arbeit zu Hause im Garten werkelt, kommt nicht von ungefähr: Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht. "Ich glaube, das Interesse an der Natur habe ich von meiner Oma und meinen Eltern mitbekommen." Deshalb studiert er zunächst Landschaftsarchitektur in Osnabrück. Dann zieht es ihn als Entwicklungshelfer nach Borneo, wo er vier Jahre bleibt. "Ich habe auf einer Orang-Utan-Station und in einem Nationalpark gearbeitet und nebenher einen kleinen botanischen Garten aufgebaut." Als er zurückkommt, wird ihm klar, dass er sein Wissen über Zusammenhänge in Ökosystemen ausbauen will.

An der Universität Münster entsteht zu dieser Zeit der Studiengang Landschaftsökologie am Institut für Geographie. "Der ganzheitliche Ansatz klang gut, und deshalb entschied ich mich für Geographie mit Schwerpunkt Landschaftsökologie in Münster. Mein Nebenfach war Geomedizin, was gut dazu passte, weil ich aus Spaß und Interesse eine Ausbildung zum Heilpraktiker gemacht hatte." Nach dem Studium arbeitet er eine Zeit lang im Botanischen Garten in Bochum, bis er von einer Stelle im Botanischen Garten Münster erfährt. Er bekommt den Job und fängt 1988 an. "Damals war der Garten sehr klassisch angelegt, mit vielen Einzelbeeten und unzähligen Schildchen. Der Lerneffekt war nicht besonders groß", meint Herbert Voigt und ergänzt: "Weil Studierende als Hauptzielgruppe des Gartens ein ähnliches Lernverhalten haben wie andere Besucher, wollten wir das ändern."

Inzwischen haben wir sein Büro verlassen und schlendern durch den Garten. "Hier standen damals Rosenbeete", sagt er und zeigt auf eine Stelle neben dem Teich. "Die Grundidee der Neugestaltung war, den Wandel von der Natur- zur Kulturlandschaft darzustellen." Im Farn-Tal angekommen, erzählt er, dass ihm dabei auch die Ganzheitlichkeit am Herzen lag. "Als Ökologe versuche ich, Systeme als Ganzes zu betrachten. Wenn ich etwas über eine Pflanze lernen will, dann geht das am besten, wenn sie im korrekten, möglichst naturnahen Umfeld steht." Deshalb gedeihen beispielsweise die Farne in einer nachgebildeten Tallandschaft mit passenden Felsen aus Kalkstein und einem Flussbett mit abgerundeten Kieseln. "Die Gestaltung dieser Details ist nur in Zusammenarbeit mit dem engagierten Team des Botanischen Gartens möglich."

Herbert Voigt legt großen Wert darauf, Botanik und Biologie mit allen Sinnen erfahrbar zu machen. Lernen als Begreifen im wahrsten Sinne des Wortes. "Das geht zum Beispiel im Riech- und Tastgarten, vor dem wir hier stehen", sagt er und pflückt ein Salbeiblatt. "Nehmen Sie auch eines und reiben damit über Ihre Zähne und spüren, wie glatt die danach sind." Tatsache, die pelzige Blattoberfläche reinigt die Zähne. "Über solche Aktionen steige ich mit Besuchern in die Diskussion ein, warum das Blatt diese Struktur, Farbe oder Form hat." Sein Wissen über Pflanzen und Ökologie gibt er gerne bei öffentlichen Führungen weiter.

Bietet Yoga-Spaziergänge im Botanischen Garten an: Herbert Voigt.<address>© WWU/Peter Leßmann</address>
Bietet Yoga-Spaziergänge im Botanischen Garten an: Herbert Voigt.
© WWU/Peter Leßmann
Besonders beliebt ist der Yoga-Spaziergang ‒ 130 Leute waren im Oktober dabei. "Ich bin Yoga-Lehrer. Das habe ich neben Karate von einem koreanischen Kampfmönch in Asien gelernt." Ein weiterer Höhepunkt ist das Unkräuter-Essen, das er gemeinsam mit Köchen im Botanischen Garten veranstaltet. Statt die Unkräuter zu vernichten, werden sie schmackhaft zubereitet. "Ursprünglich war das eine Idee für Kinder. Auf der Suche, was denen schmeckt, musste auch meine Tochter Miriam das ein oder andere Mal kosten", berichtet er und lacht.

Neben der Arbeit im Garten und den Führungen identifiziert Herbert Voigt Pflanzen für den Zoll und berät den Giftnotruf der Kinderklinik. "Manchmal ist das etwas stressig, wenn ich zum Beispiel abends in der Pizzeria sitze und einen Anruf zu einem Vergiftungsnotfall bekomme." Wenn er nächstes Jahr in den Ruhestand geht, freut er sich erst einmal auf Entspannung. "Anfangs werde ich morgens aufstehen, wann ich möchte. Für die folgende Zeit habe ich schon so viele Projektangebote bekommen, dass ich mich bestimmt bremsen muss, damit ich nicht zu viel mache."

Autorin: Friederike Stecklum

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 7, 16. November 2016.

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