Vest Recklinghausen
Kartengrundlage: Nicolas Sanson d’Abbeville, Cercle de Westphalie, dat. 1659, erschienen 1675, Ausschnitt bearbeitet
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Vest Recklinghausen

Reformierender Landesherr: Erzbischof von Köln, Hermann von Wied, reg. 1515–1552, Gebhard Truchsess von Waldburg, reg. 1577–1583
Reformator: Martin Bucer
Beginn der Reformation: 1541
Kirchenordnung: 1543

Das Vest Recklinghausen stand zwar offiziell unter der Herrschaft des Kölner Erzbischofs, das Gebiet war aber seit dem späten 15. Jahrhundert an die Grafen von Schaumburg verpfändet, sodass der Erzbischof keine landesherrlichen Zugriffsrechte besaß. Allerdings lassen sich auch hier reformatorische Einflüsse erkennen, wie die erste nachtridentinische Visitation des Jahres 1569 erkennen lässt. Wie im Herzogtum Westfalen sickerten auch im Vest in den 1540er, 1550er und 1560er Jahren lutherische Vorstellungen ein – ohne, dass sich genau klären ließe, woher diese stammten.

  • Der Reformationsprozess bis 1590

    Vor allem durch die erzbischöfliche Visitation von 1569 lassen sich reformatorische Einflüsse im Vest Recklinghausen klar erkennen, wie die nachfolgenden Beispiele deutlich machen. So fanden die Visitatoren z.B. in der Pfarrei Henrichenburg (heute Stadt Castrop-Rauxel) eine gemischte Liturgie vor: Der ansässige Adel verlangte vom Pfarrer die Kommunion unter beiderlei Gestalt; dieser Bitte kam er 1567 nach. In Westerholt gab es keine Seelenmessen. Dort verließen die Gläubigen die Pfarrkirche nach der Predigt, die nach dem Evangelium gehalten wurde. Sie wollten „die Messe nicht bis zum Ende“ hören. In Buer lehrte der Pfarrer den Gläubigen die Existenz dreier Sakramente: Taufe, Abendmahl und Firmung.
    Auch die Pfarrerehe als Element des Luthertums lässt sich feststellen: Der Pfarrer Hermann von Ahsen aus Henrichenburg sagte 1569 der Visitationskommission, er sei im festen Glauben, verheiratet zu sein: „Wenn das wechselseitige Einverständnis das Wesen der Ehe ausmache, so sei er eben verheiratet.“ Die Provisoren der Pfarrei erklärten, „sie wüßten nichts anders, als daß ihr Pfarrer regelrecht geheiratet habe und verheiratet sei.“
    Auch lutherische Kirchenlieder waren in die katholische Messfeier integriert. Ebenfalls in Henrichenburg wurden auch deutsche Lieder während der katholischen, d. h. lateinischen Messe gesungen.
    Für das Vest Recklinghausen lässt sich also die Entwicklung von faktischen Simultaneen festhalten, entweder als Gottesdienst mit Integration eigentlich unvereinbarer liturgischer Elemente: Dieser bestand aus dem Wortgottesdienst mit deutschem Gesang sowie der Predigt. Wenn es zur Kommunion kam, wurde diese durch eine Ermahnung eingeleitet, dann folgten Konsekration und Austeilung unter beiderlei Gestalt. Ob es nach der Predigt einen (katholischen) Opferungsteil gab, bleibt offen. Die Elevation könnte damit in Zusammenhang stehen, muss es aber nicht. Oder der Gottesdienst fand in Gestalt zweier getrennter Gottesdienste statt. Doch auch diese waren in einer Kirche verortet, wie aus Recklinghausen nachzuweisen ist: Dort fanden um 1560 und – nach einer Pause – um 1570 in der Petruskirche zeitlich getrennt eine katholische Messe und ein evangelischer Gottesdienst statt.
    Somit ist für die Pfarreien im Vest Recklinghausen um 1569 noch kein klares Bekenntnis zu erkennen, sondern Mischformen mit katholischen und lutherischen Elementen.
    Dieser Tatsache mag es geschuldet sein, dass Erzbischof Gebhard Truchsess von Waldburg bei seinem Reformationsversuch des Erzstifts Köln ab 1580 und der dazugehörigen Gebiete, der in einer kriegerischen Auseinandersetzung mündete (vgl. dazu Herzogtum Westfalen), im Vest einige Zeit Unterstützung fand. Seine Truppen hatten 1583 das Vest mit Ausnahme der Stadt Dorsten eingenommen. Die Reformation versuchte Gebhard hier, durch den Simultangebauch der Kirchen und administrativer Maßnahmen gegen die sich weigernden Kleriker zu befördern. 1584 wurde er allerdings durch seinen vom Kölner Domkapitel zum neuen Erzbischof bestimmten Nachfolger und Gegner Ernst von Bayern (1554–1612) aus dem Vest verdrängt.

  • Der Reformationsprozess bis 1650

    In den ländlichen Gebieten des Vests griffen die Maßnahmen der katholischen Reform unter Ferdinand von Bayern (1577–1650), dem Neffen des Erzbischofs Ernst von Bayern, als Kölner Koadjutor (ab 1595) und als späterer Erzbischof (ab 1612) nur langsam. Zwar hatte im Vest die Bevölkerung größtenteils am katholischen Bekenntnis festgehalten, doch wurde erst im frühen 17. Jahrhundert der Laienkelch abgeschafft. Die schwierige Vermittlung der Glaubensnormen, die einem abgegrenzten Bekenntnis und konfessioneller Klarheit dienen sollten, wurde durch Predigt, Katechismus und schulische Erziehung erreicht. Die örtlichen Geistlichen wurden dabei durch die Mitglieder der Reformorden unterstützt.

Literatur
Franz Bosbach, Köln, Erzstift und freie Reichsstadt, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, hrsg. v. Anton Schindling u. Walter Ziegler, Bd. 3: Der Nordwesten, Münster 1991, S. 58–84.

Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 161–165, 334–344.

URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/territorienderreformation/vestrecklinghausen/index.html