Routen der Reformation

Das Projekt: die „erfahrbare“ Reformation
reformation-in-westfalen.de bietet neben einem Überblick über die Reformationslandschaft Westfalens die Möglichkeit, sich auf eine Spurensuche in dieser Region zu begeben. Zwei Wege führen zu den bekannten, aber auch zu weniger bekannten Zeugnissen dieser Epoche: Eine moderne Karte zeigt die Orte, an denen Gebäude oder einzelne Objekte von den religiösen Wirren des 16. Jahrhunderts zeugen. Dazu gehören Kirchenausstattungen genauso wie mit evangelischen Sprüchen und Bibelstellen geschmückte Häuserfronten, aber ebenso ähnlich verzierte Möbelstücke aus bürgerlichem und adligem Besitz, wie sie sich heute in vielen Stadtmuseen wiederfinden lassen. Neben der Karte erlaubt die Ortsliste in der rechten Spalte einen direkten Zugriff.
In zahlreichen Städten und Ortschaften Westfalens sind noch heute Zeugnisse der Reformation zu entdecken – die hier angebotenen „Routen der Reformation“ sollen dabei eine Hilfe sein. Gleichzeitig weisen die „Routen der Reformation“ auch auf Dauerausstellungen hin. Sie sind also eine Ergänzung zu den aktuellen Veranstaltungstipps und Vorträgen, die im Zuge des Reformationsjubiläums in ganz Westfalen stattfinden. Damit verbinden die „Routen der Reformation“ zeitgenössische Artefakte mit der aktuellen Rezeption des Reformationsjubiläums und laden ein, die Reformation erlebbar und – mit dem Auto, dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln – „erfahrbar“ zu machen.


Materielle Zeugnisse der Reformation: „erkennbare“ Schwierigkeiten
Woran erkennt man die Reformation, wenn man sie sieht? Diese locker formulierte Frage bringt ein schwerwiegendes Problem auf den Punkt. Hat sich das evangelische Bekenntnis sichtbar in der materiellen Kultur der Zeit niedergeschlagen? Gibt es eine spezifisch katholische oder protestantische Kunst? Dieses Thema wird in der Kunstgeschichte immer wieder diskutiert. Da es sich sowohl beim Katholizismus als auch beim Protestantismus jeweils um eine christliche Konfession handelt, können theoretisch beide auch die gleichen Symbole und Texte verwenden. So ist etwa das Kreuz für Katholiken, Lutheraner und Reformierte ein wichtiges Zeichen ihres Glaubens. Daher ist es manchmal gar nicht so einfach, katholische von evangelischen Objekten zu unterscheiden. Oftmals kann erst eine bestimmte Kombination verschiedener bildlicher Elemente und Texte, die Ein- bzw. Anordnung eines Gegenstandes im Raum oder der historische Kontext den entscheidenden Hinweis dazu liefern, ob ein Bildwerk, eine Architektur oder ein Alltagsgegenstand die protestantische Lehre repräsentiert. Die folgenden Ausführungen sollen diese Problematik verdeutlichen und als kleine mentalitätsgeschichtliche Einführung ins Thema dienen.


Protestantische vs. katholische Bildthemen
Beim Betrachten konfessionell beeinflusster Gegenstände fällt auf, dass Lutheraner und Katholiken unterschiedliche Bildthemen verwenden. In der katholischen Ikonographie ist die Darstellung von Heiligen sehr verbreitet, die im lutherischen Kontext keine Verwendung mehr finden, da ihnen ihre Legitimität von Luther aberkannt wurde. In lutherischen Darstellungen kommen ausschließlich Personen mit Bibelbezug vor. Dazu gehören beispielsweise Abbildungen der Apostel auf Kanzeln oder Mariendarstellungen im Kirchenraum. Ein ebenfalls häufig im lutherischen Kontext aufzufindendes Bildmotiv ist die Darstellung des letzten Abendmahles auf dem Altar. Diese Szene wurde von Luther selbst als die auf dem Altar zu bevorzugende Abbildung empfohlen. Die Darstellung des letzten Abendmahles diente auch der Abgrenzung zum Calvinismus, denn die Lutheraner sehen die Gegenwart Christi im Sakrament des Abendmahls als gegeben an, während im reformierten Bekenntnis das Abendmahl als bloße Erinnerungsfeier begangen wird.
Während die Stationen des Kreuzweges und Passionsszenen ein häufig abgebildetes Thema im Katholizismus sind, findet es im lutherischen Bekenntnis kaum Verwendung. Das Augenmerk der protestantischen Kunst lag in der Reformationszeit nicht auf dem Leiden Christi, sondern auf der Überwindung des Todes und der Auferstehung. In dieser Perspektive drückt sich die Heilsgewissheit der protestantischen Lehre aus. Christus als Weltenrichter ist zwar beiden Konfessionen als Bildmotiv bekannt, im Luthertum wird er aber als gnädiger, freundlicher Christus gedeutet. Erkennbar ist diese Schwerpunktsetzung unter anderem daran, dass das Richtschwert in Christi Händen im Zuge der Reformation durch einen Segensgestus ersetzt wurde. Während im Katholizismus dieses Bildmotiv stets von der Darstellung weiterer Heiligenfiguren begleitet wurde, die als Fürsprecher für die Verstorbenen auftreten, wurden diese in der lutherischen Bilderwelt durch betende Personen ohne weitere Attribute ersetzt. Von Luther selbst wurden für die bildliche Darstellung darüber hinaus sogenannte Lehrbilder empfohlen, die dem Betrachter die Heilige Schrift näherbringen und sich vor allem an Menschen ohne tiefgreifende Bibelkenntnisse richten sollten. Zu diesen zählen Motive wie ‚Christus und die Samariterin am Brunnen‘ oder der ‚Gute Hirte‘, die den Aspekt der Nächstenliebe hervorheben. Auch die Darstellung der ‚Taufe Christi‘ kann als lutherisches Motiv gelten, da Luther in der Taufe die sichtbar gewordene Zusage Gottes sah, den Menschen um Christi willen die Sünde zu vergeben. Die Taufe stellte für ihn also einen Bund mit Gott dar.
Die bildliche Wiedergabe der ‚Auferweckung des Lazarus‘, des ‚Jünglings von Nain‘ oder der ‚Tochter des Jairus‘ referieren wie die Darstellung Christi als Überwinder des Todes auf die Heilsgewissheit der protestantischen Lehre. In diesem Kontext ist auch die Darstellung des Sündenfalls gepaart mit Christus als Überwinder der Sünde – der Auferstandene durchbohrt mit seiner Fahne eine Schlange – als reformatorisch zu lesen.

Taufstein in der Marienkirche Osnabrück

Lutherischer Taufstein in der Marienkirche in Osnabrück (1560). Die Beschreibung finden Sie HIER. ©IStG


Konkrete Umsetzungen protestantischer Bildthemen
Die Taufe ist in allen christlichen Konfessionen ein wichtiges Sakrament und eines der ältesten Rituale des Christentums. Daher befinden sich sowohl in katholischen als auch evangelischen Kirchen Taufbecken. Während das Taufwasser im Katholizismus ein in der Osternacht geweihtes Wasser ist, das dann für ein Jahr im Taufbecken verwahrt bleibt, ist das Taufwasser im Protestantismus herkömmliches Wasser. Um das geweihte Taufwasser vor Verunreinigung zu schützen, waren katholische Taufbecken stets mit einem Deckel versehen. Dieser war im Protestantismus unnötig. Evangelische Taufbecken sind also häufig am Fehlen eines Deckels zu erkennen, wie etwa der lutherische Taufstein in der Osnabrücker Marienkirche zeigt. Umgekehrt gibt es aber auch im protestantischen Kontext Taufsteine mit Deckel, wenn zum Beispiel die bestehende Ausstattung weitergenutzt wurde. Darüber hinaus konnte das Taufbecken mit bestimmten Symbolen und Bildern verziert sein, die Hinweise auf die entsprechende Konfession liefern. Der genannte Osnabrücker Taufstein zeigt etwa Taufe und Beschneidung Christi, Kindersegnung und Auferstehung. Hinzu kommt der Standort des Beckens. Während in der mittelalterlichen Tradition das Taufbecken oftmals in einer eigenen Taufkapelle oder im Eingangsbereich der Kirche als Verweis auf den Beginn des christlichen Lebensweges zu finden war, rückten die Protestanten die Taufe in den Mittelpunkt des Gottesdienstes und des Kirchenraumes.
Konfessionelle Glaubensausrichtungen lassen sich besonders deutlich auch an Epitaphen ablesen. Doch was ist ein Epitaph eigentlich genau? In erster Linie handelt es sich dabei um ein Gedächtnismal, das zur Erinnerung an einen Verstorbenen errichtet wurde. Im Unterschied zum Grabstein, der die genaue Begräbnisstelle markiert, kann sich ein Epitaph unabhängig von der Grablege des betreffenden Verstorbenen im Kirchenraum befinden. Das Epitaph selbst besteht in der Zeit vor und nach der Reformation aus drei Elementen, die natürlich jeweils unterschiedlich ausgestaltet sein können. Neben der Darstellung eines Glaubensmotivs findet sich in den meisten Fällen eine Darstellung des Verstorbenen; oftmals ist auch die gesamte Familie mit abgebildet. Einen Abschluss erfährt die Dreiteilung durch eine Inschrift, die die Vita, den Lebensweg des Verstorbenen, nacherzählt. Bei dieser Gestaltung handelt es sich allerdings nicht um eine protestantische Neuerung. Die Epitaphe und ihre Dreiteilung sind wesentlich älter als die evangelischen Konfessionen. Doch lässt sich das jeweilige persönliche Bekenntnis oftmals aus dem Bildprogramm oder der Inschrift des Epitaphs ablesen. Eine eindeutige Definition der Bildinhalte, geordnet nach den Konfessionen, existierte zur Zeit der Reformation hingegen nicht. Wohl aber gab es von beiden Glaubenshaltungen präferierte Motive, die in ihrer Zusammenstellung vielfach eine Zuschreibung zur jeweiligen Konfession erlauben.

Epitaph Pladise

Epitaph des 1598 verstorbenen Johann de Korte und seiner Ehefrau Wilhelmina von Ennigloh genannt Pladiese in der Kirche in Bad Holzhausen. Die Bildsprache des Epitaphs kann als eindeutig lutherisch bezeichnet werden. ©IStG

Ähnlich verhält es sich mit den oft formelartig zusammengesetzten Texten der Inschriften. Auch hier gab es von Katholiken bzw. Protestanten bevorzugt genutzte Formulierungen. Einschränkend muss festgestellt werden, dass die Vorliebe für einzelne Inschriftentexte nicht bedeutet, dass sich die jeweils andere Konfession dieser Textmuster nicht auch hätte bedienen können. Das macht die Zuordnung einzelner Epitaphe zu einer der beiden Konfessionen mitunter schwierig. Wenn eindeutige Stellungnahmen in den Inschriften fehlen – manchmal sind es sogar Schmähverse gegen die katholische Kirche – ermöglichen vor allem die Bildprogramme, eine Zuordnung der Konfessionen. Denn zum einen fehlt den lutherischen Epitaphen der Fürbittecharakter. Auch die Darstellung von Heiligen, die als Fürsprecher dienen sollten, wurde im Luthertum hinfällig. Weitere katholische Elemente – wie etwa die Darstellung des Rosenkranzes – entfielen ebenfalls. Vor allem aber wandelten sich die Bildthemen. Legte man in vorreformatorischer Zeit besonderes Augenmerk auf die Darstellung des Kreuzweges Christi, wandelte sich dieses Motiv nach Einführung der Reformation hin zu einer hoffnungsvollen Heilszusage. Nicht mehr das Leiden Christi wurde dargestellt, an seine Stelle trat Christus als Triumphator, der den Tod besiegt. Szenen aus der Passionsgeschichte fehlen bei den protestantischen Epitaphen, bei den Altgläubigen werden sie aber auch nach Etablierung der Reformation weiter verwandt. Ein wichtiger Konfessionsmarker findet sich häufig auch am oberen Abschluss des Epitaphs: Bildet dieser bei altgläubigen Werken häufig das Kruzifix, ist es bei den Anhängern der neuen Lehre oftmals jene erwähnte Auferstehung Christi.
Schwieriger wird eine konfessionelle Zuordnung bei Epitaphen, die sich konfessionsübergreifender Bildmotive bedienen, wie etwa der knienden Haltung des oder der Verstorbenen vor dem Kreuz. Das Kruzifix behielt auch bei Luther die zentrale Bedeutung, die es schon zuvor im Katholizismus hatte. Entsprechend wurde das Kreuzmotiv, das bereits vor der Reformation oft genutzt wurde, auch später und zwar von Anhängern aller christlichen Bekenntnisse als zentrales Motiv gewählt. Einen Aufschluss zur Konfessionszugehörigkeit kann hier dann oftmals nur der Inschriftentext oder das zugehörige Bildprogramm liefern.
Als dezidiert lutherische Bildthemen lassen sich auf den Epitaphen folglich Darstellungen der Überwindung des Todes deuten, zu denen aber auch das Gebet auf dem Ölberg zu rechnen ist. Diese Szene wird häufig zusammen mit der Kreuzigung und der Auferstehung verwendet. Neben der Darstellung des Auferstandenen, der über Sünde, Tod und Teufel triumphiert, sind auch die Heilshandlungen Christi oft zentrales Thema in der protestantischen Bildkunst. Die Darstellung der Taufe Jesu durch Johannes sei an dieser Stelle noch erwähnt (s.o.).
Als ein typisch katholisches Thema hingegen ist Jesus als Fürsprecher für den Verstorbenen vor Gott zu nennen. Die veränderte Glaubenshaltung findet sich natürlich auch in den Inschriften wieder. Die Hoffnung auf die Auferstehung tritt an die Stelle der Fürbitte und die Bitte um die Gnade Gottes.

Hausinschrift in Wiedenbrück

Hausinschrift in Wiedenbrück mit dem Wahlspruch der Reformation ©IStG

Auch Inschriften an profanen Gebäuden können die konfessionelle Gesinnung des Bauherrn verraten. Da Bauinschriften zumeist lediglich aus Textteilen – teilweise nur aus Abkürzungen – ohne erläuternde Bildmotive bestehen, ist eine zweifelsfreie Zuweisung zur protestantischen Lehre nicht immer möglich, denn die Heilige Schrift, die Bibel, aus der der Großteil der Hausinschriften stammt, ist allen christlichen Konfessionen gemeinsam. Ein eindeutig protestantischer Hintergrund ist hingegen bei konfessionellen Schmähsprüchen oder dem bekannten Akronym VDMIE – Verbum Domini manet in Eternum („Das Wort Gottes bleibet ewiglich“), dem Wahlspruch der Reformation, gegeben.
Die Sprachwahl, Lateinisch oder Deutsch, ist allerdings kein eindeutiger Konfessionsmarker. Vielmehr beeinflussten Stand und Adressatenkreis die Wahl der Sprache.


Die Auswirkungen der Reformation: kein schlagartiger Wechsel, sondern langsamer Wandel
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Wechsel der Konfessionen und die damit einhergehende Veränderung der Lehre und Ideen auch einen Wandel der Formensprache der materiellen Kultur zur Folge hatte. Form und Funktion etwa der Grabdenkmäler änderte sich: vom Andachtsbildnis, das zur Fürbitte aufrufen sollte, hin zum Erinnerungsmal, das den Verstorbenen in der Gewissheit der Auferstehung zeigt. Auch in den Inschriften veränderte sich der Inhalt: Der Betrachter wurde nicht mehr zum Gebet und zur Andacht aufgerufen, vielmehr wurden ihm die Verdienste des Verstorbenen vor Augen geführt. In vielen Fällen ist eine eindeutige Bestimmung der Glaubenshaltung jedoch nicht sicher möglich, da sich mit Einführung der Reformation die Traditionen in den Kirchengemeinden nicht schlagartig änderten. Wie das gesamte Reformationsgeschehen als Prozess zu beschreiben ist, wandelten sich auch Bildprogramme erst allmählich. Nicht alle Elemente des alten Glaubens wurden dabei von den Anhängern Luthers verworfen, genauso wie neue protestantische Inhalte und Motive auch von Katholiken übernommen wurden.


Ausgewählte Literatur
Susanne Wegmann, Der sichtbare Glaube. Das Bild in den lutherischen Kirchen des 16. Jahrhunderts, Tübingen 2016.

Jürgen Macha, Der konfessionelle Faktor in der deutschen Sprachgeschichte der Frühen Neuzeit, Würzburg 2014.

Susan Karant-Nunn, Tod, wo ist Dein Stachel? Kontinuität und Neuerung bei Tod und Begräbnis in der jungen evangelischen Kirche, in: Traditionen, Zäsuren, Umbrüche. Inschriften des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit im historischen Kontext, hrsg. v. Christine Magin, Ulrich Schindel u. Christine Wulf,Wiesbaden 2008, S. 194–204.

Doreen Zerbe, Memorialkunst im Wandel. Die Ausbildung eines lutherischen Typus des Grab- und Gedächtnismals im 16. Jahrhundert, in: Archäologie der Reformation, hrsg. v. Carola Jäggi u. Jörn Staecker, Berlin 2007, S. 117–163.

Dagmar Hüpper u. Jürgen Macha, Vom sprachhistorischen Umgang mit Inschriften, in: Literatur – Geschichte – Literaturgeschichte, hrsg. v. Nine Miedema u. Rudolf Suntrup, Frankfurt a.M. 2004, S. 525–550.