Dörthe Gruttmann
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Ansichtskarten

Ansichtskarten gelten als das erste illustrative globale Massenmedium und bilden den Hauptanteil der produzierten Bildpostkarten.(1) Dies bezieht sich sowohl auf ihre Auflagenhöhe, die Motivvielfalt als auch auf ihre räumliche und soziale Verbreitung, wie Sándor Békési darlegt.

 

Entwicklung und Funktionen von Ansichtskarten

Vorformen der Postkarte gab es bereits seit dem 18. Jahrhundert, beispielsweise Glückwunschkarten zum Neujahrsfest. Den Durchbruch markierte allerdings die Einführung der Korrespondenzpostkarte im Norddeutschen Bund 1870. Sie trug dem gesteigerten Mitteilungsbedürfnis Rechnung, wobei nun aufgrund der Industrialisierung weitere Entfernungen schneller überbrückt werden konnten. Zunächst handelte es sich in der Regel um Geschäftspost mit Motiven der eigenen Firma oder Fabrik bzw. mit dem eigenen Logo. In den 1890er Jahren kam es dann zu einem enormen Anstieg des Ansichtskartenverkehrs. So wurden laut Aiko Schmidt Ende des 19. Jahrhunderts im Deutschen Kaiserreich jährlich rund 88 Millionen Ansichtskarten produziert. Ab 1890 gab es aufgedruckte Bebilderungen. Zunächst waren dies (kolorierte) Lithografien, gefolgt von Fotografien sowohl in schwarz/weiß als auch nachkoloriert. Ab 1. Februar 1905 gab es eine gesetzliche Änderung bezüglich der Kartengestaltung: Ursprünglich stand auf der Bildseite wenig Platz für die Schrift zur Verfügung, da die zweite Seite allein dem Adressfeld vorbehalten war. Ab 1905 änderte sich die Aufteilung dergestalt, wie sie heute noch üblich ist. Auf der Vorderseite befindet sich das Text- und Adressfeld, die Rückseite ist der Bebilderung vorbehalten.
Die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg markiert zugleich die Hochphase der Ansichtskarte. Hiernach gab es einen deutlichen Einbruch, was u.a. an der starken Reduzierung der Motivauswahl erkennbar ist. Die Ursachen dazu liegen im Herstellungsverfahren begründet.(2) Wurde die Ansichtskarte gerne auch als Ersatz für Fotografien von Einwohnern verwendet, die ihr Viertel, ihre Straße aber auch sich selbst vor ihrem Haus bzw. Geschäft mittels Postkarte festhalten lassen haben, wurde dies in den 1920er Jahren zu teuer, da sich aufgrund des geänderten Herstellungsverfahrens hin zum Offsetdruck kleine Auflagen nicht mehr rentierten. Gleichzeitig verlor die Postkarte als günstiges Bildmedium ihren Rang durch das Vordringen neuer Medien mit Bildangeboten wie Illustrierten und Zeitschriften. Die Zunahme an Telefonanschlüssen und die Reduzierung der Postzustellung von mehrmals täglich auf einmal täglich bedeuteten einen weiteren Funktionsverlust für die Postkarte als Kommunikationsmedium. Die Multifunktionalität als bildliches Universalmedium und Sammelobjekt wurde umgewandelt in ein spezialisiertes Bildmedium, das hauptsächlich an Touristen gerichtet war (für Urlaubsgrüße) und das zu besonderen Anlässen (zum Beispiel Jubiläumsfeierlichkeiten oder Einweihungen) aufgelegt wurde. Dennoch dienten die Ansichtskarten weiterhin als eine Art Statussymbol (besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts), um anzuzeigen, dass man sich eine Reise leisten konnte. Die Funktion als Werbemittel blieb ebenfalls bestehen.
In der nationalsozialistischen Zeit wurde die Ansichtskarte darüber hinaus als Propagandamittel genutzt. Waren mit dem Ersten Weltkrieg die Euphorie der Gründerjahre und der Fortschrittsglaube verflogen, die sich bis dahin auch in Bildmotiven spiegelten, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg erneut Attribute des technischen Fortschritts, aber auch der Konsumgesellschaft dargestellt. Der Ansichtskarte kam nach 1945 zudem eine neue wichtige Funktion zu: In den zerstörten Städten, in denen Bauzeichnungen ebenfalls nicht mehr existierten, dienten Ansichtskarten der Rekonstruktion zerstörter Bauwerke. Daraus lässt sich gleichfalls erklären, warum in den 1960er Jahren eine Renaissance der Sammlertätigkeit (Philokartie) aufkam, besonders bei Museen und Stadtarchiven. Durch die Zerstörungen des Weltkriegs stellten Ansichtskarten wichtige Zeugnisse vergangener Stadtbilder dar – auch wenn die Abbildungen u.a. aufgrund von Bildbearbeitungen nicht die Realität per se wiederspiegeln. Diese erneute „Wachstums- und Sättigungsphase“ hält bis heute an, wobei Ansichtskarten in erster Linie nur noch dem Versenden von (Urlaubs-)Grüßen dienen.
Trotz der Beliebtheit von Ansichtskarten fand bisher noch keine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihrer Entwicklung und ihren Funktionen statt. Die meisten vorhandenen Studien konzentrieren sich zudem auf die Anfangs- und Hochphase der Ansichtskarte, spätere Epochen des 20. Jahrhunderts sind bisher kaum thematisiert worden. Daneben besteht ein Großteil der Veröffentlichungen aus Sammlerkatalogen und Bildbänden; bei letzterem werden meist ein Ort/eine Stadt oder ein bestimmter Themenbereich illustriert.

 

Ansichtskarten von Städten

Trotz der thematischen Bandbreite (von Scherzkarten, Künstlerkarten über Portraitkarten bis zu erotischen Karten) stellen topografische Ansichten den größten Anteil der Ansichtskarten. Gemeint sind solche Karten, die Städte oder Landschaften bzw. die Natur in Gänze (zum Beispiel Total- oder Fliegeraufnahmen) oder in Ausschnitten (zum Beispiel einzelne Gebäude, Straßen, Plätze, Parkanlagen, Strände, Gebirge) abbilden. Dabei geht es im Folgenden insbesondere um Ansichtskarten mit städtischem Bezug. Diese Form der bildlichen Selbstdarstellung der Stadt nach außen war (und ist es immer noch) ein günstiges, aber werbewirksames Mittel, um sowohl ganz bestimmte Ausschnitte aus dem Stadtgefüge als pars pro toto der Stadt als auch die Stadtsilhouette selbst zu bewerben. Durch sie wurde die Stadt virtuell konstruiert. Denn die fotografischen Bildvorlagen wurden nicht selten bewusst manipuliert und bearbeitet, um einen positiven Eindruck zu vermitteln und als nicht schön oder „unerwünscht“ wahrgenommene Elemente zu entfernen. Dies beinhaltete das Reduzieren auf Ausschnitte, das Retuschieren oder die Montage von Gebäuden, Personen usw. bis hin zum Kolorieren. Dabei waren Städte – wenn es sich nicht um besondere Ereignisse wie zum Beispiel Stadtjubiläen handelte – nur in seltenen Fällen Auftraggeber bzw. Produzenten von Ansichtskarten. In der Regel brachten Verlage, Druckereien und Buchhandlungen diese heraus.
Bekannt und ein beliebtes Sammlermotiv stellen die chromolithografischen „Gruss aus“-Karten dar, die zwischen den 1890er Jahren und 1905 hergestellt wurden. Sie verbinden unterschiedliche Stadtansichten mit dekorativen Elementen. Gerne gezeigt wurden Symbole des Fortschritts (Bahnhof, Straßenbahn), der Urbanität (Schulen, Rathäuser, Marktplatz, Theater usw.) aber auch Denkmäler und Kirchen. Auf einigen dieser Karten ist das Produktionsjahr aufgedruckt. Bei nach 1905 produzierten Karten, die nicht gelaufen sind, ist eine genaue Datierung schwierig. Hier können oftmals nur ungefähre Zeitspannen angegeben bzw. diese einer Epoche zugeordnet werden.
Ansichtskarten sind hinsichtlich ihrer Funktion als Medium ambivalent: Einerseits müssen sie Alleinstellungsmerkmale der jeweiligen Stadt repräsentieren, was sie zu lokalen und teils regionalen Identitätsträgern macht, die gleichzeitig Touristen als Orientierungshilfe dienen. Andererseits unterliegen sie formal wie inhaltlich einer gewissen Standardisierung und vermitteln globale, allgemeingültige Stereotype, das heißt, Leitmotive wiederholen sich. Man kann an ihnen erkennen, was zu einer Zeit als abbildungswürdig und als ‚eines Besuches wert‘ galt. Da Ansichtskarten einen bedeutenden Teil des überlieferten kollektiven Bildinventars einer Stadt oder eines Stadtteils bilden, werden diese häufig in heimatkundliche Darstellungen aufgenommen. Somit finden die Ansichten der Postkarte Eingang in das örtliche, kollektive Bildgedächtnis.

 

 

1) Der Begriff „Bildpostkarte“ wird oftmals synonym mit dem Begriff „Ansichtskarte“ verwendet. Er stellt allerdings eine eigene Form der Postkarte dar, bei der – meist zu Werbezwecken – ein Bild auf der Adressseite aufgedruckt ist.

2) Seit Mitte der 1920er Jahre breitete sich der Offsetdruck aus – ein indirektes Flachdruckverfahren, bei dem die Farbe erst auf einem Gummituch und von dort auf das Druckprodukt übertragen wird. Es stellt eine Weiterentwicklung der Lithografie (ebenfalls ein Flachdruckverfahren) dar, das jedoch durch die Umstellung zunächst sehr kostenintensiv und erst ab einer höheren Auflage rentabel war. Somit reduzierte sich die Anzahl der gedruckten Motive, die dafür hingegen in höherer Auflage erschienen. Daraus resultierend verschwanden gerade auch die von Privatpersonen und kleinen Geschäften in Auftrag gegebenen Postkarten, die nur in kleiner Auflage für einen kleinen Kreis an Personen bestimmt waren.

 

Dörthe Gruttmann
(8.2.2018)

Literaturhinweise:

  • Sándor Békési, Die topografische Ansichtskarte. Zur Geschichte und Theorie eines Massenmediums, in: Relation N. F. (2004), H. 1, S. 403–426.
  • Anett Holzheid, Das Medium Postkarte. Eine sprachwissenschaftliche und mediengeschichtliche Studie, Diss., Berlin 2011 (Philologische Studien und Quellen, 231).
  • Herbert Leclerc, Ansichten über Ansichtskarten, in: Archiv für deutsche Postgeschichte (1986), Heft 2, S. 5–65.
  • Aiko Schmidt, Von der Korrespondenzkarte zur illustrierten Postkarte, in: Friedrich Scheele (Hg.), Gruss aus Emden und Ostfriesland. Frühe Ansichtskarten, Oldenburg 2008, S. 12–37.
  • Dieter Schott, Die mentale Konstruktion von Stadt, in: Die Alte Stadt (1999), H. 4, S. 235–239.
  • Karin Walter, Postkarte und Fotografie. Studien zur Massenbild-Produktion, Würzburg 1995 (Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte, 56)
  • Dieter Weidmann, Postkarten. Von der Ansichtskarte bis zur Künstlerkarte, München/Berlin 1996.

Diese und weitere Literaturangaben sind zu finden in der Mediensuche.