(D12) Vergleichende Studie zu Strategien der Pazifizierung religiöser Geltungsansprüche

Gegenwärtig findet eine Diskussion darüber statt, inwieweit nicht nur religionsextern-soziale Faktoren für das Gewaltförmigwerden religiöser Traditionen verantwortlich sind, sondern vorrangig religionsinterne Dispositionen. Im Vordergrund steht die Behauptung, dass als unbedingt geltend gemachte Wahrheitsansprüche sich als gegen konkurrierende Wahrheitsansprüche gerichtet verstehen müssen und deren Delegitimation betreiben, dass sie damit auch eine politisch-gesellschaftliche Dynamik entwickeln können, konkurrierenden Glaubensgemeinschaften das Existenzrecht gewaltsam streitig zu machen. In monotheistischen Religionen sind aber auch Strategien entwickelt worden, eigene Glaubensüberzeugungen nicht als gegen andere Religionssysteme gerichtet auszuformulieren, sondern sich aus religionsinternen Gründen positiv auf deren religiöse Geltungsansprüche zu beziehen. Das Forschungsprojekt soll solche Strategien nachzeichnen und evaluieren.

Gegenstand der Untersuchungen sind religiöse Selbstthematisierungsmodelle in Christentum und Islam, die es ermöglichen,

  1. die eigenen normativen Geltungen als Wahrheitsansprüche auszuformulieren, so dass auch die Weigerung „der Anderen“, die eigenen Geltungsansprüche vorbehaltlos anzuerkennen, wiederum aus innertheologischen Gründen hingenommen werden kann;
  2. die religionsinterne Vergewisserungsdynamik soweit zu kontrollieren, dass sie sich nicht gewaltförmig gegen als Verunsicherung wahrgenommene Tendenzen und Einflüsse wehren muss.

Untersucht werden Strategien einer komparativen Religionstheologie sowie theologische Versuche in Islam und Christentum, Erschütterungen und Relativierungen der religionsinternen Vergewisserung produktiv zu verarbeiten. Zu prüfen ist, inwieweit solche Modelle die gegenwärtige Kritik am Gewaltpotential monotheistischer Religionen relativieren können und inwieweit sie auf Grund einer nachvollziehbaren binnentheologischen Legitimation geeignet sind, das Selbstverständnis der jeweiligen religiösen Traditionen mitzubestimmen. Die Erarbeitung dieser Studien soll vernetzt erfolgen.

Das Projektziel soll auf zwei "Schienen" erreicht werden: durch die Fallstudien der Projektmitarbeiter Daniel Bugiel und Menno Preuschaft sowie durch die Vertiefung der Rahmenthematik bei regelmäßigen Arbeitssitzungen und Tagungen, an denen alle oder einzelne Projektbeteiligte mitwirken. Internationale Symposien sollen die Möglichkeit bieten, mit vergleichbaren Forschungsprojekten im Kontakt zu bleiben. Sie sollen darüber hinaus durch den Forschungsaustausch mit anderen Disziplinen (insbesondere Religionswissenschaft und Religionssoziologie) die "Rahmenfrage" klären helfen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit die jeweiligen religionsinternen Reflexions- und Selbstthematisierungspotentiale zum Tragen kommen können, und welche sozialen oder religiösen Systemzustände dies eher verhindern.

Folgende Veranstaltungen haben bereits stattgefunden:

  • Eine erste internationale Tagung des Projekts in Münster vom 28. bis 29. November 2008 trug den Titel "Infrage gestellte Gewissheit". Der bereits erschienene Tagungsband "Verwundete Gewissheit" enthält die überarbeiteten Referate von Peter Strasser, Eilert Herms, Reinhold Bernhardt, Nasr Hamid Abu Zayd und Muhammad Machasin sowie von allen Projektbeteiligten.
  • Klaus von Stosch, der inzwischen als Professor nach Paderborn berufen wurde, dem Projekt aber weiter als Co-Leiter angehört, hat in Zusammenarbeit mit der Theologischen Fakultät der Universität Basel eine internationale Tagung zum Selbstverständnis der Komparativen Theologie organisiert. Diese fand vom 31. Oktober bis zum 2. November 2008 statt und wurde vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" mitgetragen. So konnte in Europa zum ersten Mal dieses Konzept auf breiter Ebene und höchstem Niveau dargestellt und reflektiert und in die Diskussionen unseres Projekts eingebracht werden. Die Beiträge sind in dem Band "Komparative Theologie" dokumentiert.
  • Die Leiter des Projektes haben dieses auch bei einer Tagung vom 1. bis 3. Juni 2009 der Katholischen Akademie der Erzdiözese Paderborn in Schwerte vorgestellt und mit dem international weithin bekannten iranischen Koran-Gelehrten Prof. Dr. Mohammed Modjtahed Schabestari aus Teheran diskutiert.
  • In einer zweiten Arbeitsphase des Projektes wurde die in der ersten herausgearbeitete Ambivalenz religiöser Vergewisserungsprozesse an einem signifikanten theologischen Einzel-Thema diskutiert. Besonders geeignet erschien das Thema "Eschatologie". Dieses ist in der Tradition des Christentums wie des Islams in hohem Maße mit Gewaltvorstellungen aufgeladen und gegenwärtig Neuinterpretationen ausgesetzt, die solche Gewalttraditionen aufzuarbeiten und zu überwinden versuchen. Eine internationale Tagung zu diesem Thema hat unter dem Titel "Letzte Dinge. Eschatologie als Scheideweg/am Scheideweg" vom 29. bis 30. Januar 2010 in Münster stattgefunden und einen lebendigen Eindruck von Argumentationsmustern vermittelt, mit denen man dieses Ziel erreichen kann. Der Dokumentationsband befindet sich in Vorbereitung.

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