Religiöse Texte als Ressource im kolonialen Kontext

Interview mit Historikerin PD Dr. Felicity Jensz über das Projekt GloBil

Felicity Jensz
© privat

Das internationale Projekt „Global Bible“ (GloBil) zielt auf eine kritische Analyse des britischen und deutschen Beitrags zur Schaffung einer globalen Bibel, also dem Versuch, diese in alle Sprachen der Welt zu übersetzen. In dem Projekt arbeiten Forscherinnen und Forscher der Universität Münster und der University of Bristol (UK) zusammen. Forschungsgegenstand sind Bibelübersetzungen aus drei Regionen: der Arktis, Ozeanien und Australien sowie Westafrika. GloBil zeichnet die globale Bibelbewegung in diesen drei Regionen nach und versucht, den Beitrag der indigenen Übersetzer:innen und Evangelist:innen sowie der britischen und deutschen Bibelgesellschaften aufzudecken. Der Großteil des Projekts ist in der traditionellen Geschichtsforschung verankert. Ein Ziel des Projekts ist die Veröffentlichung einer Datenbank, die mit Hilfe von Methoden der Digital Humanities erstellt wurde und auf den FAIR Prinzipien basiert, also auffindbar, länderübergreifend zugänglich, interoperabel und dauerhaft nutzbar ist. Diese Datenbank und die daraus resultierende Visualisierung sollen genutzt werden, um weitere wissenschaftliche Fragen aufwerfen und beantworten zu können.

Was ist der Gegenstand Ihres DH-Projektes am Exzellenzcluster, und welche Frage soll es mittels DH-Methoden beantworten?

Im GloBil Projekt, das am Centrum für Religion und Moderne (CRM) angesiedelt ist, erschließen wir die Archive deutscher und britischer Bibelgesellschaften und wollen auf diese Weise die Geschichte der globalen Bibelbewegung und ihrer Entdeckung der nicht-westlichen Sprachen freilegen. Ein Großteil des heutigen Wissens über diese Sprachen der nicht-westlichen Welt beruht auf der beschwerlichen, oftmals jahrzehntelangen Arbeit indigener Übersetzer und missionarischer Sprachwissenschaftler aus der Kolonialzeit. Allerdings ist dieses wichtige Wissen bis heute weitgehend in religiösen Archiven verborgen geblieben.

Ein Teil der Bibel war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in etwa 1.000 Sprachen übersetzt worden, darunter auch in viele, die zuvor keine Schriftsprache kannten. Diese rund 1.000 Sprachen, in denen die ganze Bibel oder Teile davon veröffentlicht wurden, sind im „Book of a Thousand Tongues“ aufgelistet. Obwohl das Buch eine Fülle von Informationen enthält, ist es schwierig, komplexe Fragen anhand dieses gedruckten Buches zu beantworten. Wir wollen aber an die Informationen heran und interessieren uns für komplexe Muster innerhalb der Daten. Deshalb wandeln wir diese Daten in ein Datenmodell um. Hierfür nutzen wir DH-Methoden wie OCR und Datenmodellierung (relationale oder verknüpfte Daten). Hier profitiere ich als Mitglied sehr vom DH-Wissen am Exzellenzcluster.

Wie sehen die DH-Methoden konkret aus, wenn Sie sie in Ihrem Projekt anwenden?

Um die DH-Methoden anwenden zu können, muss im Vorfeld viel Arbeit in die Vorbereitung fließen. Obwohl das gesamte „Book of a Thousand Tongues“ bereits als Scan vorliegt, muss der Text manuell nach Sprachen segmentiert werden. Dann kann es an die Konvertierung gehen, zum Beispiel mit einem Software-Tool wie etwa „OCR4all“, das die Segmente in maschinenlesbaren Text umwandelt. In diesen Segmenten können Daten wie Datum, Ort, Person und Sprache gefunden werden. Parallel dazu wird ein Datenmodell entwickelt. Das Datenmodell speichert die Informationen aus den Segmenten, aus denen mit Hilfe dieses Datenmodells neue Fragestellungen entwickelt und bearbeitet werden können.

Wie werden oder wurden diese Methoden entwickelt: ganz oder teilweise für Ihr Projekt (oder gab es frühere Anwendungen und Vorbilder)?

Der DH-Teil des Projekts wird mit Hilfe bestehender und bewährter Werkzeuge durchgeführt. Eine Besonderheit des Projekts wird das Datenmodell sein.

Welche Ergebnisse liegen bereits vor, welche erwarten Sie? Wie sähe dieselbe Forschungsarbeit ohne DH-Methoden aus?

Die ersten Ergebnisse der Archivarbeit zeigen, dass die Beziehungen zwischen britischen und deutschen Bibelgesellschaften sehr komplex waren und unter anderem auch durch ökonomische Faktoren geprägt wurden. Wir konnten auch den Beitrag einiger westafrikanischer „Gehilfen“ bei der Übersetzung der Bibel neu interpretieren und erstmals zeigen, dass diese viel mehr Einfluss hatten als ihnen bisher zugestanden wurde. Ergebnisse für den DH-Teil stehen noch aus, aber wir sind auf einem guten Weg. Ohne DH wäre das Projekt nicht in der Lage, die Informationen aus dem „Book of a Thousand Tongues“  eingehend zu untersuchen. Wir suchen nach Beziehungen zwischen den Datensätzen, hier machen es die Methoden der Digital Humanities einfacher. Da das Datenmodell es uns ermöglicht, die Datenbank zu erweitern, werden wir in der Lage sein, weitere Daten über das "Grundlagen"-Buch hinaus hinzuzufügen. Durch die DH-Tools verläuft die Indizierung des Inhalts viel schneller, als die manuelle Indizierung es könnte. Ohne DH gäbe es keine computergestützte Durchsuchbarkeit und Analyse der indizierten Inhalte.

Worin liegt die heutige gesellschaftliche Relevanz dieser Forschungsarbeit, worin liegt diesbezüglich der Wert der DH-Methoden?

Das Vermächtnis der Bibelübersetzungen ist noch heute in Afrika, Asien, Australasien und der Arktis zu spüren. Die Frage, wer welche Version der Bibelübersetzung für wen und mit welchen Mitteln herausgegeben hat, betrifft sowohl die Machtverhältnisse als auch die komplementären Netzwerke in der Kolonialzeit. Heutzutage ist ein Großteil der Geschichte der Bibelübersetzungen und der Bibelgesellschaften, die diese Übersetzungen möglich machten, in Vergessenheit geraten. Das GloBil-Projekt rückt den Beitrag der indigenen Übersetzer:innen und Evangelist:innen in den Vordergrund, die an den Übersetzungen beteiligt waren. Durch den DH-Aspekt des Projekts werden wir in der Lage sein, unsere Ergebnisse über das Datenmodell und die Datenbank weiterzugeben, das Material zu visualisieren und Forscher:innen aus der ganzen Welt die Möglichkeit geben, ihre eigenen Fragen an die von uns gesammelten Daten zu richten – was weitere Forschung über den Zeitraum unserer Förderung hinaus anregen wird. (exc/pie/tec)